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Urteil: Bürgergeld-Mehrbedarf für handelsübliche Straßenschuhe

Person mit kaputten Schuhen

19,46 Euro monatlichen Mehrbedarf für handelsübliche Straßenschuhe hat das Sozialgericht einer Bürgergeld Empfängerin zugesprochen. Geklagt hatte eine 56-Jährige, die aufgrund einer neurologischen Erkrankung ein verändertes Gangbild aufweist, was zu einem überdurchschnittlichen Verschleiß ihrer Schuhe führt.

Antrag auf Mehrbedarf

Die Hilfebedürftige stellte einen Antrag auf einen monatlichen Mehrbedarf von 70,00 EUR, um den erhöhten Verschleiß ihrer Schuhe zu kompensieren. Sie argumentierte, dass ihre Gehbehinderung zu einer ungewöhnlichen Abnutzung der Schuhe führe, was einen speziellen Bedarf darstelle, da ihre Schuhe bereits nach ein bis zwei Monaten auf der Innenseite abgelaufen seien. Der schräge Abrieb der Sohlen bereits ihr nachweislich Knie- und Fußschmerzen, weshalb sie häufiger auf neue Schuhe angewiesen sei.

Den Antrag der Frau lehnte das Jobcenter ab und verwies sie an die Krankenkasse zwecks Kostenübernahme von orthopädischen Schuhen. Obwohl die Beschwerden der Frau gutachterlich festgestellt wurden, hatte das Jobcenter zudem Zweifel an der Notwendigkeit der Schuhe. Da auch ein Widerspruch keinen Erfolg hatte, landete der Fall schlussendlich vor Gericht und wurde zugunsten der Bürgergeld Bedürftigen entschieden.

Entscheidung und Berechnung des Mehrbedarfs

Das Sozialgericht gab der Klage statt und erkannte ohne mündliche Verhandlung den erhöhten Bedarf an Schuhen an. Die Klägerin hatte innerhalb des sechsmonatigen Bewilligungszeitraums vier Paar Schuhe im Gesamtwert von 256,84 Euro gekauft, was durch ärztliche Atteste als notwendig bestätigt wurde. Das Gericht erkannte ihr einen Anspruch auf Mehrbedarf für handelsübliche Schuhe wegen krankheitsbedingter Abnutzung zu.

Ein Verweis auf die Krankenkasse sei auch nicht möglich, so das Gericht. Die Klägerin begehre handelsübliche Schuhe und keine orthopädischen Schuhe. Zudem zahlten Krankenkassen nur für Hilfsmittel, die keine Gegenstände des täglichen Lebens seien, was bei handelsüblichen Straßenschuhen ausscheide.

Die Berechnung des Mehrbedarfs basierte auf einer detaillierten Analyse der Ausgaben der Klägerin für Schuhe. Es wurde festgestellt, dass ihr Bedarf an Schuhen monatlich bei 24,76 EUR lag. Dieser Betrag wurde ermittelt, indem der durchschnittliche Betrag pro Schuh (36,95 EUR) mit der Anzahl der im Durchschnitt monatlich benötigten Schuhe (0,67 Paar) multipliziert wurde. Dieser Bedarf überstieg den durchschnittlichen Bedarf an Damenschuhen (basierend auf einem Regelbedarf von 424 Euro in 2019) ab 14 Jahren für einen Referenzhaushalt um 19,46 EUR (24,76 EUR klägerischer Bedarf im Monat – 5,30 EUR durchschnittlicher Bedarf). Mittlerweile beträgt der Regelbedarf in der Regelbedarfsstufe 1 seit diesem Jahr 502 Euro und steigt ab 2024 auf 563 Euro.

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Rechtliche Grundlagen

Das Gericht stützte seine Entscheidung auf § 21 Abs. 6 SGB II, der einen Mehrbedarf anerkennt, wenn dieser unabweisbar, laufend und erheblich vom durchschnittlichen Bedarf des Bürgergeld Regelsatzes abweicht. Gleichzeitig stellte das Gericht klar, dass sich der erhöhte Mehrbedarf der Klägerin auf 4,5 – 4,6 Prozent des monatlichen Regelbedarfs belaufe und somit in relativer Sicht zum Regelsatz in einem Bereich befinde, der nicht außer Betracht bleiben dürfe.

Bedarf ist regelmäßig und dauerhaft

Interessant sind auch die Aussagen des Gerichts am Ende der Entscheidung. Hier haben die Sozialrichter festgestellt:

„Schließlich ergeben auch die Umstände des vorliegenden Einzelfalles, dass die Klägerin
grundsätzlich einen regelmäßigen monatlichen höheren Bedarf hat, der aufgrund der angeborenen Erkrankung ohne bestimmte zeitliche Beschränkung anfällt […]. Längerfristige Planungen bieten der Klägerin keine Möglichkeit zur Deckung dieses „immer wieder“ anfallenden besonderen Bedarfs.“

Bedeutung des Urteils

Dieses Urteil ist von großer Bedeutung, da es die individuellen Bedürfnisse von Menschen mit besonderen gesundheitlichen Einschränkungen anerkennt und zeigt, dass das Sozialrecht flexibel genug ist, um auf diese Bedürfnisse einzugehen. Es bestätigt, dass der Mehrbedarf für alltägliche Gegenstände wie Schuhe, die aufgrund einer Behinderung oder Krankheit schneller verschleißen, durch Mehrbedarfe beim Bürgergeld abgedeckt sein können. Im Regelfall werden die Jobcenter diese allerdings zunächst abweisen, so dass man sich seine Ansprüche mühsam einklagen muss. Dieser Fall zeigt allerdings auch, dass es sich lohnt.

Sozialgericht Hamburg – Az.: S 39 AS 100/21 vom 23.08.2022

Bild: Ralf Geithe/ shutterstock.com

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