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Aus Scham: 40 Prozent verzichten aufs Bürgergeld

Mann lehnt ab

Scham und die Angst vor der Reaktion des Umfelds halten immer mehr Menschen davon ab, mit dem Bürgergeld Hilfe in Anspruch zu nehmen, die ihnen zusteht. Unter dem Strich sind es, so eine Studie des Sozialwissenschaftlers Felix Wilke von der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, vier von zehn Anspruchsberechtigten, die ganz bewusst darauf verzichten, einen Antrag auf Bürgergeld zu stellen. Verantwortlich dafür ist vor allem die ständige Hetze gegen Betroffene.

Enormer Druck für Betroffene

Galt Hartz IV bereits als Stigma, ist der Druck für Bürgergeld Bedürftige inzwischen noch größer. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht gegen Leistungsempfänger geschossen wird. Mal werden die Regelsätze als unangemessen hoch beschimpft und immer öfter nach härteren Strafen gerufen. Und bei all dieser Kritik schwingt immer der Vorwurf mit, dass Bürgergeldempfänger schlichtweg faul sind und jederzeit einen Job finden könnten.

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Gefühl des Scheiterns

Knapp die Hälfte der Deutschen ist laut Felix Wilke der Auffassung, dass nur, wer wirklich auf Bürgergeld angewiesen ist, es auch beantragen sollte. Das macht etwas mit jenen, die tatsächlich finanzielle Unterstützung benötigen. Sie betrachten den Antrag auf Bürgergeld aufgrund des Drucks von außen als persönliches Scheitern und belastend. Daher nehmen 40 Prozent der Berechtigten ihren Anspruch auf Bürgergeld nicht wahr. Sie suchen stattdessen nach anderen Lösungen, nutzen die Hilfe der Familie oder tauschen, um auch mit wenig Geld über die Runden zu kommen.

Armut prägt Menschen

Professor Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), warnt davor, dabei nur die Einsparungen im Sozialsystem zu sehen. Unter den Anspruchsberechtigten seien viele Familien mit Kindern. Wer in Armut aufwachse und schon in den ersten Lebensjahren Armut erfahre, bleibe auch später arm.

Das Bürgergeld ist kein Almosen

Daher fordert der DIW-Präsident, Menschen nicht länger zu einem Bürgergeldantrag zu zwingen und sie zu nötigen, „die Hosen runterzulassen“. Das Bürgergeld sei kein Almosen, sondern ein Rechtsanspruch, betonen Marcel Fratzscher und Felix Wilke: „Bei der Rente würden sie nie auf die Idee kommen: Verdienen sie das jetzt, was sie da jetzt bekommen?“

Sanktionen haben keinen Nutzen

Dass mit mehr Bürgergeld Bedürftigen auch höhere Ausgaben einhergehen, ist den beiden Experten bewusst. Ebenso, dass die Armutsquote dadurch steigen würde. Doch schon aus Gründen der Gerechtigkeit sollte die Gesellschaft diese Leistung erbringen, meint der Sozialwissenschaftler. Von der Idee, Menschen mit härteren Sanktionen zur Arbeit zu zwingen, hält er indes nichts. Auch Marcel Fratzscher spricht sich gegen Leistungskürzungen aus, weil sie keinen wirtschaftlichen Nutzen hätten.

Titelbild: pathdoc / shutterstock.com