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Bürgergeld-Regelsätze sind nicht transparent

Mathematiker berechnet Bürgergeld an einer Tafel

Das liebe Geld: Als Stein des Anstoßes sorgt es beim Bürgergeld immer wieder für Streit. Betroffene und Sozialverbände betonen, die Regelsätze seien zu niedrig. Gegner aus den Reihen von Union, FDP und AfD würden indes liebend gerne von Wucher und Prasserei sprechen. Dahinter steckt vor allem ein Problem: mangelnde Transparenz. Viele, die lauthals meckern, wissen überhaupt nicht, welche Ausgaben die Regelsätze abdecken – und welche nicht.

Statistik-Warenkorb statt Statistik-Modell

Eigentlich dürfte dies gar nicht der Fall sein. Denn die Regierung betont immer wieder, dass sie die Regelsätze für das Bürgergeld, vorher Hartz IV, nach einem Statistik-Modell ohne politischen Spielraum berechne. Das ist schlichtweg falsch. Ausgerechnet eine vom Bundesministerium für Arbeit und Sozial (BMAS) in Auftrag gegebene Studie („Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums von Kindern“) belehrt die Politik eines Besseren. Denn in Deutschland wird nicht mit einem Statistik-Modell, sondern mit einem Statistik-Warenkorb gearbeitet.

Ein enormer Unterschied

Modell oder Warenkorb: Man könnte meinen, dass es rein begrifflich eher Haarspalterei ist. Doch der Unterschied ist gewaltig und bildet die Basis für die immer wieder aufkeimende Kritik an der Berechnung oder vielmehr „Ermittlung“ der Bürgergeld-Regelsätze und damit der Bedarfe, die als unabdingbar gelten.

Berechnung der Regelsätze

In Deutschland gilt, auch laut Urteilen des Bundesverfassungsgerichts: Die Höhe der pauschalierten Lebensunterhaltsleistungen muss nach einem transparenten und methodisch abgesicherten Verfahren ermittelt werden, das sich am tatsächlichen Bedarf orientiert. Dafür gibt es das Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG).

Einkommens- und Verbrauchsstichprobe

Ausgangspunkt für das RBEG ist, erklären die Macher der Studie, die Einkommens- und Verbrauchsstrichprobe (EVS), die in der Bundesrepublik alle fünf Jahre durchgeführt wird. Sie spiegelt die Einkommens-, Vermögens- und Schuldensituation wider und informiert über die Ausstattung mit Gebrauchsgütern und die Konsumausgaben. Berücksichtigt werden hierfür 80.000 Haushalte.

Referenzhaushalte

Um nun den Bedarf von Bürgergeldempfängern zu ermitteln, werden bei Einpersonenhaushalten die unteren 15 Prozent und bei Paarhaushalten mit Kind die unteren 20 Prozent als Referenz genommen. Unberücksichtigt bleiben hierbei Ausgaben, die durch andere Leistungsansprüche gedeckt sind, etwa die Miete und die Heizkosten. In den Jahren ohne EVS erfolgt die Fortschreibung anhand der Lohn- und Inflationsentwicklung.

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Experten entscheiden über Bedarfe

Entscheidend ist: Würden die Daten eins zu eins übernommen, könnte man beim Bürgergeld von einem Modell sprechen. Aber: Ausgabenpositionen für Güter und Dienstleistungen, die gemäß normativen Setzungen als nicht existenznotwendig erachtet werden (wie etwa alkoholische Getränke und Tabak), bleiben berücksichtigt.

Ausgaben- und Experten-basierte Bemessung

Damit handelt es sich laut Studie um eine

„Mischung aus ausgabenbasierter und expert:innenbasierter Bemessung des materiellen Mindestbedarfs – mithin in der Terminologie der Forschungsliteratur um einen Statistik-Warenkorb“.

Der normative Anteil, also alles, was Experten herausrechnen, werde oft als willkürlich empfunden. Beispiele nennt Tacheles, der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein: Die Anteile (bezogen auf Kinder) für gesunde Ernährung, Windeln oder einen Zoobesuch seien zu niedrig.

Methodische Schwäche

Die Studie nennt die normative Unterscheidung zwischen bedarfsrelevanten und nicht bedarfsrelevanten Gütern und Dienstleistungen, eine „methodische Schwäche“. Dadurch werde das Standard-Budget unterschätzt. Derlei Probleme ließen sich durch ein rein ausgabenbasiertes Verfahren vermeiden.

Transparenz schafft Akzeptanz

Die tatsächlichen Ausgaben für die Bemessung der finanziellen Mindestbedarfe beim Bürgergeld zu berücksichtigen, biete Vorteile. Veränderungen im Konsum, auch hinsichtlich der nachgefragten Güter, ließen sich zeitnäher und präziser abbilden. Der normative Grundcharakter hingegen lasse den Entscheidungsträgern „erheblichen Gestaltungsspielraum“. Dabei gelte: Eine regelgebundene Vorgehensweise, bei der das Existenzminimum anhand der beobachteten Konsumausgaben bemessen werde, sorge im Gegensatz zu rein politisch gegriffenen Setzungen für mehr Transparenz und damit auch für mehr Akzeptanz.

Studie des BMAS

Bild: Gorodenkoff/ shutterstock.com