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LSG kippt Bürgergeld-Kürzung bei junger Mutter

Mutter mit Baby über Jobcenter frustriert

Träume sind für Bürgergeldempfänger meist Schäume. Sie zerplatzen wie eine Seifenblase. Um ein Beispiel zu nennen: Die erste eigene Wohnung bleibt für Betroffene unter 25 Jahren in vielen Fällen Wunschdenken. Jobcenter dürfen junge Bürgergeld-Bedürftige aber auch nicht nach Gutsherrenart sanktionieren, sollten sie umziehen, sondern müssen genau hinschauen. Das beweist der Fall einer jungen Mutter, bei dem das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die Kürzungen des Jobcenters in einem Eilverfahren kippte.

Auszug bei den Großeltern

Das Eilverfahren vor dem LSG: Eine 2000 geborene Frau, damit unter 25 Jahre alt, war 2020 zunächst aus der Wohnung der Großeltern aus- und bei den Eltern ihres Freundes eingezogen. Dort musste sie sich weder an den Kosten für die Miete noch den Ausgaben für die Heizung beteiligen. Aufgrund ihres Alters erhielt sie auch nur gekürzte Regelleistungen.

Neue Wohnung mit Lebensgefährten und Sohn

Irgendwann kippte die Stimmung und es kam zu einem Konflikt, der laut Aussagen der jungen Mutter und ihres Lebensgefährten eskalierte. Daraufhin zogen sie in eine eigene Wohnung. Allerdings hatte sie sich für den Umzug nicht die Zustimmung vom Jobcenter eingeholt, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) auch übernommen werden.

Amt verweigert Kostenübernahme

Deshalb weigerte sich das Amt, zu zahlen. Ferner blieb es bei der Regelung gemäß § 20 Abs. 3 SGB II, wonach unter 25-Jährige, die zu Hause leben, nur Anspruch auf die Regelbedarfsstufe 3 haben – knapp 80 Prozent dessen, was für einen alleinstehenden Erwachsenen vorgesehen ist. Daran änderte aus Sicht des Jobcenters auch der Umstand nichts, dass die Frau 2022 Mutter eines Sohnes geworden war.

Erlass einer einstweiligen Anordnung

Der Fall wurde zunächst vor dem Sozialgericht Detmold verhandelt. Es folgte der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch die junge Mutter beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen. Dort stellte man sich auf ihre Seite: Sie hat Anspruch auf Übernahme der KdU und die Zahlung der Regelbedarfsstufe 2, weil sie mit ihrem Lebensgefährten in einer Bedarfsgemeinschaft wohnt.

Die Feinheiten des § 22 SGB II

Entscheidend in diesem Fall: Es handelte sich nicht um den Auszug aus der Wohnung der Eltern. Denn § 22 SGB II bezieht sich ausschließlich auf die Konstellation, dass ein unter 25-Jähriger bei den Eltern auszieht. Dem muss das Jobcenter zustimmen. Dazu ist die Behörde gemäß § 22 SGB II in drei Fällen verpflichtet:

•          Betroffene können aus schwerwiegenden Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern verwiesen werden.

•          Der Umzug ist erforderlich, um in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden zu können.

•          Es liegt ein ähnlich schwerwiegender Grund vor.

Diese Einschränkungen sollen verhindern, dass junge Erwachsene aus dem Haushalt der Eltern ausziehen und dadurch die Zahl der Bedarfsgemeinschaften steigt. Das ist umstritten, sagt auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, gerade im Hinblick auf die Freiheits- und Gleichheitsgesichtspunkte.

Kein erstmaliger Umzug

Die Regeln beziehen sich allesamt auf den erstmaligen Umzug aus dem Elternhaus. Das trifft auf die junge Frau allerdings nicht zu. Der erste Umzug (gesetzlich: im Sinne eines Auszugs) erfolgte aus dem Haus der Großeltern (nicht dem der Eltern, wie vom Gesetzgeber umschrieben) in die Wohnung der Eltern des Freundes. Der Folgeumzug mit dem Lebensgefährten und dem gemeinsamen Sohn fällt daher nicht unter § 22 SGB II.

LSG widerspricht Jobcenter

Der Auslegung des Jobcenters, dass es sich bei dem Streit mit den Eltern des Lebensgefährten lediglich um einen Generationenkonflikt handelte und eine Zusage nötig gewesen wäre, stimmte das Landessozialgericht daher nicht zu.

Berechtigung zum Auszug

Zum Zeitpunkt, als die Klägerin Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellte, habe sich die zugrundeliegende Situation eklatant geändert.

„Durch die Geburt des gemeinsamen Kindes (…) bestand eine Berechtigung zum Auszug“,

so das Gericht. Daher sei es nicht mehr gerechtfertigt, die Leistungen der Frau zu kürzen.

„Eine für die Antragstellerin jahrelang bestehende Leistungsreduzierung würde gegen das Übermaßverbot verstoßen“,

betonten die Richter.

Deshalb: Eine abweichende Feststellung der Bedarfe der Antragstellerin, insbesondere ein Wegfall des Anspruchs auf die anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 5 SGB II sowie ein abgesenkter Regelsatz finde nicht statt.

LSG Nordrhein-Westfalen, Az.: L 7 AS 310/23 B ER vom 13.03.2023
Vorinstanz: SG detmold, Az.: S 11 AS 881/22 ER vom 09.02.2023

Bild: ErsinTekkol/ shutterstock.com

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