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Justizskandal? Sozialrichter riskiert Karriere für Bürgergeld-Empfänger

Wie unabhängig können Gerichte und Richter arbeiten, wenn von oben massiv Druck ausgeübt wird, um bestimmte Vorgänge in die gewünschte Richtung zu lenken? Diese Frage drängt sich bei einem Vorlagenbeschluss des Sozialgerichtes Karlsruhe auf. Ein Richter, der sich für die Belange von Bürgergeldempfängern stark macht, wird plötzlich drangsaliert, eingeschüchtert und als ungeeignet bezeichnet. Der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein „Tacheles“ spricht von einem „Justizskandal erster Güter“.

Coronazuwendungen für Hartz-IV-Empfänger

Der Vorlagenbeschluss, der den zuständigen Richter in Bedrängnis gebracht hat, dreht sich um die Coronazuwendungen der Bundesregierung an SGB-II-Beziehende – seinerzeit Hartz IV, heute das Bürgergeld. Das Sozialgericht Karlsruhe bittet darin das Bundesverfassungsgericht zu klären, ob die Zuwendungen ausreichend waren. Aus Sicht des Karlsruher Richters waren sie es nicht. Diese Einschätzung hat ihn in Teufels Küche gebracht.

Massive Einschüchterung

Der Fall zog und zieht sehr weite Kreise. All das wird – neben dem eigentlichen Aspekt, den Zuwendungen während der Corona-Pandemie – im Vorlagenurteil offengelegt. Die Arbeiten an dem Beschluss hätten sich demnach unter anderem deshalb verzögert, weil der Kammervorsitzende durch die Justizverwaltung des Landes Baden-Württemberg eingeschüchtert worden sei

Zensur und dienstrichterliche Beurteilung

Das fing „harmlos“ an, indem eine Pressemitteilung zu dem Fall kurzerhand zensiert wurde. Dabei habe man sich auf fehlendes öffentliches Interesse berufen. Einwendungen diesbezüglich seien auch nach 28 Monaten nicht beantwortet worden. Es folgten härtere Geschütze. Der Vorsitzende der Kammer wurde in einer dienstrichterlichen Beurteilung als ungeeignet bezeichnet. Dagegen hat der Richter bereits erfolgreich geklagt. Zudem sei ein Disziplinarverfahren eingeleitet und verschleppt worden.

Kein beherztes Eintreten für Recht und Gesetz

Der Richter erhebt daher schwere Vorwürfe, spricht von kollektivem Rechtsbruch, zu dem die Richterschaft am Sozialgericht Karlsruhe durch die Landesjustizverwaltung Baden-Württemberg angestiftet worden sei. Von solchen Richtern sei „kein beherztes Eintreten für Recht und Gesetz zu erwarten“. Stattdessen habe man den „evidenten COVID-19-Mehrbedarf“ von Menschen, die auf Grundsicherung für Arbeitssuchende angewiesen seien, geleugnet. Dieses Problem sieht der zuständige Richter in ganz Deutschland: 

„Demgemäß unterließen es die Richter der Landessozialgerichtsbarkeiten bundesweit vor allem wegen ihrer richterlichen Abhängigkeit von Haushaltsgesetzgebern und Justizverwaltungen, den voraussichtlich verfassungswidrigen § 70 Satz 1 SGB II (Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie) nach Art. 100 Abs. 1 Alt. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Nichtigerklärung vorzulegen.“

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Bitte um Unterstützung

Dieses Vorlagenurteil war laut Aussage des Vereins „Tacheles“ kurz auf sozialgerichtsbarkeit.de zu finden – später führte der Link unerklärlicherweise ins Leere. Wer das Urteil lesen möchte, findet es hier https://openjur.de/u/2473860.html oder hier https://t1p.de/5nhvn (SG Karlsruhe, Urteil vom 06.06.2023 – S 12 AS 2208/22; S 12 AS 1358/23; S 12 AS 1359/23). Gleichzeitig ruft „Tacheles“ auf, den Richter zu unterstützen. Denn es kommt ganz gewiss nicht oft vor, dass jemand seine Karriere für Bürgergeldempfänger aufs Spiel setzt. 

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