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Bürgergeld-Urteil: Jobcenter darf keine neuen Schulden verlangen

Markierter Negativsalso auf Kontoauszug, Symbolisch für Schulden statt Bürgergeld

Das Bundessozialgericht (BSG) hat bestätigt: Jobcenter dürfen Bürgergeld-Empfänger nicht dazu drängen, einen Dispokredit zu nutzen, um mit neuen Schulden den Lebensunterhalt zu sichern. Ein überzogenes Konto gilt demnach nicht als „bereites Mittel“ und darf somit nicht als verfügbares Einkommen auf Leistungen angerechnet werden.

Jobcenter rechnet Steuererstattung als Einkommen an

Ausgangspunkt des Streits war der Fall eines alleinerziehenden Vaters. Er erhielt eine Steuererstattung in Höhe von knapp 2.400 €. Das zuständige Jobcenter rechnete diese einmalige Zahlung als verfügbares Einkommen an und teilte es auf sechs Monate auf. Monatlich wurden so 400 €, abzüglich einer Versicherungspauschale von 30 €, leistungsmindernd auf das Bürgergeld angerechnet. Das wesentliche Problem: Das Konto des Alleinerziehenden war überzogen und wies trotz der Gutschrift des Finanzamtes weiterhin einen negativen Kontostand von -360 € auf.

Kredit ist kein anrechenbares Einkommen beim Bürgergeld

Die Steuererstattung tilgte lediglich den bestehenden Dispokredit, für den die Bank hohe 12,55 % Zinsen berechnete. Ein tatsächliches Guthaben zur Bestreitung des Lebensunterhalts verblieb dem Mann somit nicht auf dem Konto. Der Hilfebedürftige legte gegen die Anrechnung Widerspruch ein, doch das Jobcenter beharrte auf seiner Entscheidung. Der Fall musste gerichtlich geklärt werden.

Disposchulden sind keine „bereiten Mittel“

Das Sozialgericht Gelsenkirchen wies die Klage als erste Instanz noch ab. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hingegen entschied im Berufungsverfahren, dass dem Kläger höhere Leistungen zustehen.

Es erklärte die Argumentation des Jobcenters für hinfällig, der Kläger hätte den Rahmen seines Dispokredits zur Deckung seines Bedarfs nutzen können. Das LSG führte aus: Ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter dürfe nicht auf die Inanspruchnahme eines Dispositionskredits mit erhöhter Zinsbelastung – also auf das Eingehen neuer Schulden – zur Bestreitung seines Lebensunterhalts als „bereites Mittel“ verwiesen werden, wenn er zuvor zugeflossenes Einkommen zur Rückführung des Solls auf diesem Konto verwendet habe.

Wegen Lebensmittelspenden kein Anspruch auf Bürgergeld

Jobcenter unterliegt vor dem BSG

Der Rechtsauffassung des LSG schloss sich auch das Bundessozialgericht als dritte und letzte Instanz an und wies die Revision des Jobcenters zurück (Az. B 4 AS 9/20 R, 24.06.2020).

Das BSG bestätigte zwar, dass eine Steuererstattung grundsätzlich ein anzurechnendes Einkommen darstelle. Entscheidend sei jedoch, dass die Rückzahlung dem alleinerziehenden Vater nicht tatsächlich als „bereites Mittel“ zur Verfügung stand. Die Erstattung glich nach der Gutschrift automatisch den Dispokredit aus und konnte somit nie aktiv zur Bedarfsdeckung der Familie eingesetzt werden. Das Gericht stellte klar:

Es fehlte an einer tatsächlichen Verfügbarkeit des Wertzuwachses, weil der Kläger nicht mehr auf den seinem Konto gutgeschriebenen Betrag in Höhe von ca. 2.400 € im Sinne eines tatsächlich vorhandenen „aktiven Guthabens“ zurückgreifen konnte

Trotz der Annahme des Jobcenters die „Inanspruchnahme eines Dispositionskredits für die tägliche Lebensführung sei lebensnah und treffe auf eine Vielzahl von Menschen zu“, war der Hilfebedürftige nicht verpflichtet, neue Schulden aufzunehmen, um seine aktuellen Bedarf zu decken.