Die SPD-Basis um Juso-Vertreter sammelt Unterschriften für ein Mitgliederbegehren gegen die Bürgergeld-Reform und die geplante Einführung des Grundsicherungsgeldes. Das Bürgergeld ist seit seiner Einführung eine Dauerbaustelle in den Medien und galt schon in den Koalitionsverhandlungen als Knackpunkt. Das Begehren zielt auf einen bindenden Parteibeschluss und erhöht den Druck auf Fraktion und Minister. Hält die SPD den vereinbarten Kurs nicht, drohen Nachverhandlungen und ein offener Koalitionskrach. Im Extremfall steht ein Bruch der Zusammenarbeit im Raum.
Inhaltsverzeichnis
Worum es im Begehren geht
Das Begehren setzt drei Eckpunkte: Keine Verschärfung von Sanktionen, mehr konkrete Hilfen für Bürgergeld-Empfänger und ein klares Stoppzeichen gegen Narrative, die Armut individualisieren.
Zu den Erstunterzeichnern zählen Juso-Vertreter und bekannte Sozialdemokraten. Parallel bestätigt eine SPD-Sprecherin, dass nur Unterstützungen auf der offiziellen SPD-Plattform zählen – Sammellisten auf anderen Wegen sind ungültig. Damit ist der Weg bewusst formal, nicht nur symbolisch.
Worauf sich der Protest richtet
Die Koalitionspläne zur Bürgergeld-Reform setzen auf strengere Mitwirkungspflichten und schärfere Sanktionen. Schaut man sich den Referenten-Entwurf des 13. SGB II-Änderungsgesetzes an, wird schnell deutlich, dass in vielen Bereichen durch die Einführung des Grundsicherungsgeldes als Nachfolger zum Bürgergeld mit erheblichen Verschärfungen zu rechnen ist. Wir haben berichtet:
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Gemeint sind vor allem schnellere und spürbarere Kürzungen bei Pflichtverstößen – etwa bei verpassten Terminen oder der Ablehnung zumutbarer Angebote. Auch Eingriffe bei Schonvermögen und Regelungen zu Unterkunftskosten stehen im Raum. Genau hier setzt das Begehren an: Es warnt vor einer Reform, die vor allem Druck erzeugt, aber wenig Chancen eröffnet. Die Basis fordert, Geld und Personal lieber in Qualifizierung, Beratung, Gesundheit und Vermittlung zu stecken – dort, wo Jobcenter seit Jahren über mangelnde Ressourcen klagen. Der Referentenentwurf zum 13. SGB-II-Änderungsgesetz sieht bereits ein Stufenmodell vor – mit spürbaren Kürzungen schon beim zweiten versäumten Termin und einer vollständigen Leistungssperre beim dritten.
Das Ziel: Kurskorrektur noch vor dem Gesetz
Formal will das Begehren mehr als ein Stimmungsbild. Es zielt auf einen bindenden Parteibeschluss, der SPD-Minister und Fraktion verpflichtet, die Reformpläne zu stoppen oder grundlegend umzubauen. Der Mechanismus ist erprobt. Mitgliederbegehren sind in der SPD als Instrument der innerparteilichen Willensbildung verankert. Ihr Nutzen ist politisch: Wer die Hürden nimmt, verschiebt die Gewichte in der Partei. Für Bürgergeld-Empfänger wäre das mehr als ein Symbol. Es könnte den Charakter der Reform kippen – weg von Strafe, hin zu Unterstützung.
Wie das Mitgliederbegehren funktioniert
Der Weg ist zweistufig. Zunächst braucht es ein Quorum zur Einleitung. Mindestens ein Prozent der gesamten Parteimitgliedschaft muss sich registrieren, verteilt auf mindestens zehn Unterbezirke aus drei Bundesländern. Die Frist dafür läuft maximal zwei Monate.
Wird das Quorum erreicht und das Begehren zugelassen, folgt die eigentliche Unterstützungsphase. Innerhalb von drei Monaten müssen 20 Prozent aller Mitglieder zustimmen. Erst dann gilt das Begehren als zustande gekommen. Der Parteivorstand prüft und veröffentlicht die Entscheidung.
Gibt er dem Begehren statt, ist der Beschluss umzusetzen. Lehnt er ab, kommt der Mitgliederentscheid – dann stimmen alle Mitglieder ab. Dieses Verfahren ist verbindlich und schafft Klarheit, aber es ist anspruchsvoll. Es verlangt echte Breite in der Partei, nicht nur eine lautstarke Gruppe.
Konsequenzen für Bürgergeld-Empfänger
Was bedeutet das für Betroffene? Kommt die Koalitionsreform wie angekündigt, steigen die Risiken schneller und tieferer Leistungskürzungen. Schon kleine Pflichtverstöße können teurer werden. Wer in schwierigen Lebenslagen steckt – Krankheit, psychische Belastung, Pflege in der Familie –, gerät unter zusätzlichen Druck.
Gleichzeitig drohen mit der Reduzierung der Freibeträge empfindliche Einschnitte bei Schonvermögen oder strengere Maßstäbe bei Unterkunftskosten – trotz Karenzzeit Begrenzung der Höchstmiete auf das 1,5-fache der angemessenen Wohnkosten. Das kann zu Umzügen, Schulden oder zusätzlichen Streitfällen mit dem Jobcenter führen.
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Gelingt der Basis der SPD der Durchbruch, verschiebt sich der Fokus. Sanktionen bleiben möglich, würden aber stärker an Unterstützung gekoppelt. Vorrang bekämen Stabilisierung, Qualifizierung, Sprachkurse, Gesundheitscoaching, Schuldnerberatung und Kinderbetreuung. Kurz: weniger Angst, mehr Hilfe, um Arbeit realistisch zu ermöglichen.
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Konsequenzen für die SPD
Innerparteilich ist das Begehren ein Machtmittel. Erreicht es die 20-Prozent-Hürde, muss die Parteispitze entscheiden, ob sie den Kurs dreht – oder einen Mitgliederentscheid riskieren. Für die SPD ist es damit auch eine Identitätsfrage: Die Erinnerung an die Agenda-Jahre ist frisch genug, um Unruhe auszulösen, wenn soziale Leitplanken wackeln.
Konsequenzen für die Koalition – bis hin zum Bruch
Dreht die SPD nach einem erfolgreichen Begehren ab, gerät der vereinbarte Kurs zur Grundsicherung ins Rutschen. Möglich sind Nachverhandlungen, Verzögerungen im Gesetzgebungsprozess oder das Herauslösen strittiger Punkte in Verordnungen. Scheitert das Gesetz im Bundestag an fehlenden SPD-Stimmen oder wird der Kompromiss sichtbar zerlegt, droht eine Koalitionskrise – im Extremfall ein Bruch der Zusammenarbeit.
Als Mehrheitspartei pocht die CDU auf Vertragstreue: „Die Reform ist gemeinsam im Koalitionsvertrag vereinbart – wir erwarten, dass die SPD sich daran hält“, sagt Unionsgeschäftsführer Steffen Bilger.
Warum das Thema gerade jetzt eskaliert
Die Reform wurde als Antwort auf Missbrauchsdebatten verkauft. Doch die Basis moniert, dass solche Debatten Randphänomene großziehen und den Alltag in Jobcentern verzerren. Dort braucht es Zeit, Personal und Instrumente, die wirken. Wer den Regelsatz in der Grundsicherung unangetastet lässt, gleichzeitig aber die Sanktionsschraube dreht, sendet ein falsches Signal.
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Genau das treibt die Initiatoren an. Ihr Narrativ: Wer arbeiten will, braucht verlässliche Brücken – Qualifizierung, Gesundheit, Kinderbetreuung, bezahlbaren ÖPNV, digitale Geräte, stabile Wohnverhältnisse. Wer nur droht, spart kurzfristig und zahlt langfristig drauf. Zugleich erhöht der Koalitionsvertrag den Druck, die Einigung sichtbar umzusetzen – ein Lackmustest für Kanzleramt, Fraktion und Basis.
Was in den nächsten Wochen zählt
Entscheidend sind zwei Faktoren. Erstens die Breite: Gelingt es den Initiatoren, in unterschiedlichen Landesverbänden und Unterbezirken tragfähige Mehrheiten zu organisieren, rückt das 20-Prozent-Quorum in Reichweite. Zweitens die Zeit: Je näher der Gesetzentwurf an den Bundestag rückt, desto größer der Nachverhandlungsdruck – und desto höher das Eskalationspotenzial in der Koalition.
Stimmen aus der Politik
Bereits vor Veröffentlichung des Referentenentwurfs des Arbeitsministeriums verteidigte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) die Reformlinie beim Bürgergeld gegen Kritik. Im ZDF-„heute journal“ sprach er von „richtigen, notwendigen, guten Beschlüssen“ und sah rechtlichen Spielraum bis hin zur vollständigen Streichung von Leistungen bei anhaltender Nichtmitwirkung – ein Instrument, das der Entwurf als schärfste Stufe vorsieht.
Arbeitsministerin und SPD-Co-Vorsitzende Bärbel Bas betont seit Juni den Doppelansatz der Reform: unterstützen und sanktionieren; zuletzt bekräftigte sie in WELT TV, „die, die nicht mitmachen wollen, ganz klar auch zu sanktionieren“. Zugleich stellt sie im Deutschlandfunk klar, dass harte Sanktionen dem Staat kaum Einsparungen bringen, weil echte Totalverweigerer wenige sind.
Unterm Strich: Die CDU drängt seit langem auf härtere Regeln, die SPD hat sie mit unterschrieben – nun versucht die Basis den Kurs zu drehen. Schafft das Begehren die Quoren, stehen Nachverhandlungen an, andernfalls bleibt der Kurs. Für Betroffene entscheidet sich damit, ob die Reform vor allem Druck macht – oder echte Unterstützung liefert.

