Sperre des Stromanschlusses: Die erfreuliche Entwicklung der vergangenen Jahre dürfte sich im Zuge der Corona-Pandemie umkehren. War die Zahl der Stromsperren, von denen auch viele Hartz IV Bedürftige betroffen sind, zuletzt rückläufig, rechnen Sozialverbände in Bayern jetzt mit einem drastischen Anstieg. Sie fordern, die Bedingungen für die Sperren anzupassen und die Gebühren zu streichen.
Hartz IV: 20% Unterdeckung bei Strom
Sperren nur aufgeschoben
Aktuelle Zahlen zu den Stromsperren in Bayern für 2020 liegen derzeit noch nicht vor. Sie werden vom Bundeswirtschaftsministerium für Ende September erwartet. Im Jahr 2019 waren es 27.040 – bundesweit bei 289.000. Zwei Jahre zuvor lag der Wert noch bei 35.843 (bundesweit über 330.000), darunter sehr viele Hartz IV Bedürftige. Insofern hat sich zumindest im Hinblick auf dieses Problem eine leichte Entspannung abgezeichnet. Aber. Die Trendwende steht vor der Tür – und dies bundesweit.
Die Vorsitzende des bayerischen VdK-Landesverbandes, Ulrike Mascher, warnt eindringlich: „Für das vergangene Jahr und das Jahr 2021 wird sich die Situation sicherlich anders darstellen.“ Viele Stromversorger hätten angesichts der Corona-Pandemie die Sperren bei Stromschulden zwar aufgeschoben. Doch die Schulden blieben und liefen weiter. Gleichzeitig steigen die Strompreise. Was dann passiert, dürfte niemanden überraschen.
„Es ist damit zu rechnen, dass es wieder vermehrt zu Stromsperrungen kommen wird“,
so Mascher.
Jede zweite Stromsperre betrifft Hartz IV Haushalt
Energiekosten mit Hartz IV kaum bezahlbar
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Bayern macht ebenfalls auf das Problem aufmerksam. Viele hätten aufgrund von Corona ihre Arbeit verloren. Zudem hätten die Menschen deutlich mehr Zeit in der Wohnung verbracht. Daher seien höhere Zahlen bei den Stromsperren sehr wahrscheinlich, erklären die beiden Landesvorsitzenden Nicole Schley und Stefan Wolfshörndl. Sie mahnen:
„Jede Sperre ist eine zu viel, denn in den betroffenen Haushalten leben Menschen ohne Licht, warmes Wasser und die Möglichkeit ihre Lebensmittel zu kühlen.“
Stromsperren dürften deshalb erst ab höheren Rückständen erlaubt sein, fordert der AWO-Landesverband. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke geht einen Schritt weiter. Sie plädiert für ein Verbot der Stromsperren. Sie seien für Hartz IV Bedürftige und jeden anderen Betroffenen eine „soziale Katastrophe“. Fast jedem zehnten Haushalt in Bayern sei 2018 eine Stromsperre angedroht worden. Pro Sperre verlangten die Versorger dann im Schnitt 100 Euro. Das sei zynisch, so Gohlke.
Hartz IV reicht nicht für Strom: Druck auf Regierung wächst
Nach aktueller Gesetzeslage darf der Stromversorger bereits bei einem Rückstand von mindestens 100 Euro den Strom abstellen, sofern die Unterbrechung der Energielieferung vier Wochen vorher und ein weiteres mal drei Tage vorher angedroht wurde. In 2019 haben 4,75 Millionen Haushalte in Deutschland eine Sperrandrohung erhalten.
Das eigentliche Problem aber: „Die Energiekosten sind gerade für Niedriglohnbeschäftigte und Hartz IV Empfänger kaum noch bezahlbar.“