Im Bürgergeld übernimmt das Jobcenter die Miete (Kosten der Unterkunft, KdU). Zwar gilt in der Karenzzeit (aktuell 12 Monate) die Miete in voller Höhe als angemessen, doch auch danach und bei Neubezug wird in erster Linie nur der Preis – die Mietobergrenze – geprüft. Der tatsächliche Zustand der Wohnung bleibt faktisch außen vor. Leidtragende sind die Betroffenen, Vermieter profitieren vom gesicherten Zahlungsfluss, selbst bei gravierenden Mietmängeln.
Kurzüberblick: Der Systemfehler der Angemessenheit
- Preis vor Qualität: Für KdU zählen primär kommunale Mietobergrenzen, die tatsächliche Bewohnbarkeit wird nicht geprüft.
- Gefangene Mieter: Betroffene hängen aufgrund des knappen Wohnungsmarktes, der KdU-Zusicherungspflicht und der Kautionsfragen in Problemwohnungen fest.
- Fehlende Vermieteranreize: Pünktliche Mietzahlungen des Jobcenters schaffen keinen Druck zur Instandhaltung maroder Immobilien.
- Lösungsansatz: Wohnkosten an Mindeststandards koppeln, Fristen setzen und einen Schnellspur-Umzug bei Unzumutbarkeit ermöglichen.
Bürgergeld Mietobergrenzen – so hoch darf die Miete sein
Inhaltsverzeichnis
Was das Jobcenter prüft – und der Knackpunkt der Wohnqualität
Bei Bürgergeld orientieren sich die Kosten der Unterkunft an den Angemessenheitswerten des Jobcenters („schlüssige Konzepte“ der Kommune). Liegt die Bruttokaltmiete unter diesen Werten, gilt sie erstmal als angemessen. Das Problem: Die Angemessenheit ist allein preisbasiert. Ob Schimmel, defekte Fenster oder eine unsichere Elektroinstallation vorliegen, ist für die sozialrechtliche Wohnkosten-Bewilligung in der Regel irrelevant.
Dramatische Realität ignoriert: Das System sieht weg, selbst wenn das Wasser wochenlang nur kalt kommt, es tropft und schimmelt oder die Heizung ausfällt. Für die Betroffenen bedeutet das oft, monatelang in einer faktisch unbewohnbaren Wohnung leben zu müssen, während die Miete pünktlich aus öffentlichen Kassen fließt. Das Jobcenter zahlt den Preis, aber betroffene Mieter zahlen den Preis für die mangelnde Qualität. (Auch das ARD-Magazin PlusMinus hat sich diesem systemischen Missstand in seiner Sendung vom 22. Oktober 2025 gewidmet: Plusminus vom 22. Oktober 2025 in der ARD-Mediathek)
Wichtig: Die Beseitigung von Mängeln der Mietsache ist zivilrechtlich zu klären. Das bedeutet: Bürgergeld-Bedürftige müssen selbst aktiv werden, eine Mängelanzeige beim Vermieter stellen und gegebenenfalls eine Mietminderung durchsetzen. Dabei ist die Unterstützung eines Mietervereins oder eines Anwalts oft unerlässlich. Das Jobcenter ist kein Vertragspartner des Vermieters und bietet keine mietrechtliche Beratung an.
Der Effekt: Eine erfolgreiche Mietminderung kann den Vermieter zum Handeln bewegen. Für das Jobcenter bedeutet dies jedoch lediglich eine Senkung der tatsächlichen Mietzahlung – an der Angemessenheitsgrenze und am bestehenden Wohnproblem ändert das zunächst nichts. Die Verantwortung, die Wohnung bewohnbar zu halten, liegt beim Vermieter, die Klärung beim Mieter.
Warum Bürgergeld-Empfänger oft in Problemwohnungen festsitzen
Der oft gehörte Ratschlag „Dann zieh doch um“ scheitert an der komplexen Realität für Bürgergeld-Empfänger und der Jobcenter-Bürokratie:
1. Marktknappheit und Preisdeckel
Der Wohnungsmarkt für bezahlbaren Wohnraum ist in vielen Regionen extrem angespannt oder leer. Das liegt daran, dass die Mietobergrenzen des Jobcenters den Suchbereich der Betroffenen extrem einengen. Für das Geld, das das Jobcenter maximal zahlt, gibt es oft nur ein Minimalangebot an Wohnungen. Wohnungen, die preislich passen und bewohnbar sind, existieren kaum.
2. Bürokratische und rechtliche Hürden (Die „Zusicherungspflicht“)
Wer umziehen will, braucht vorher die Zusicherung des Jobcenters (§ 22 Abs. 4 SGB II). Diese wird nur erteilt, wenn die neue Wohnung die strengen Preisgrenzen (Mietobergrenzen) einhält.
- Unsicherheit im Prozess: Ohne diese Zusicherung kann kein Mietvertrag unterschrieben werden. Weil das Jobcenter lange braucht, um alles zu prüfen, gehen die wenigen freien Wohnungen meist an andere Interessenten, die sofort zahlen können.
- Kautionsproblematik: Die Kaution muss beim Jobcenter als Darlehen beantragt oder über eine Bürgschaft gelöst werden. Auch das bedeutet zusätzliche Anträge, Wartezeiten und Prüfungen, die den Umzug verzögern.
- Besondere Bedarfe: Wenn aus gesundheitlichen Gründen oder wegen der Familiengröße besondere Anforderungen (z. B. Barrierefreiheit) an die Wohnung gestellt werden, ist das Angebot noch knapper und die Genehmigung dauert länger.
3. Festhalten an der alten Wohnung (Status quo-Falle)
Selbst bei gravierenden Mängeln ist es für Betroffene der sicherste Weg, nicht wohnungslos zu werden, wenn die Miete für die aktuelle Wohnung weitergezahlt wird. Ein gescheiterter Umzug kann dazu führen, dass die Kosten für die neue Wohnung nicht anerkannt werden, was die Existenz gefährdet.
Ergebnis: Die Kombination aus engen Preisvorgaben, knappem Markt und den bürokratischen Hürden der Umzugszusicherung zwingt Menschen, trotz dokumentierter Mängel in problematischen Wohnungen zu verharren, während die KdU für diese „Bruchbude“ weitergezahlt werden.
Sicherer Zahler: Wie Vermieter von renovierungsbedürftigen Wohnungen profitieren
Für viele Vermieter, insbesondere jene, die ältere oder sanierungsbedürftige Wohnungen im unteren Preissegment besitzen, sind direkte KdU-Zahlungen durch das Jobcenter ein attraktives Geschäftsmodell.
1. Finanzielle Sicherheit und Risikominimierung
Die Zahlung des Jobcenters hat für Vermieter den Status einer staatlichen Zahlungsgarantie.
- Pünktlichkeit & Ausfallsicherheit: Die Miete kommt sicher und pünktlich zum Monatsanfang, ohne das Risiko, dass Mieter in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Das Ausfallrisiko ist de facto minimal.
- Kein Inkasso nötig: Vermieter müssen sich nicht um Mietrückstände, aufwendige Mahnverfahren oder Inkassokosten kümmern, was die Verwaltungskosten massiv senkt.
2. Geringer Instandhaltungsdruck und hohe Rendite
Da die Zahlungsgarantie des Jobcenters allein an den Preis (die Mietobergrenze) gebunden ist, entsteht für den Vermieter kein wirtschaftlicher Druck, in die Qualität der Wohnung zu investieren.
- Subventionierter Status quo: Solange die Miete die kommunale Obergrenze nicht übersteigt, wird sie vom Staat vollständig bezahlt – selbst wenn die Wohnung sanierungsbedürftig ist. Die geringen Instandhaltungskosten führen zu einer hohen Rendite für den Vermieter.
- Aussitzen bei Großen Akteuren: Große Wohnungskonzerne und Genossenschaften können Mängelanzeigen und kleinere Mietminderungen aufgrund ihrer Größe und Finanzkraft dickfällig aussitzen. Sie verfügen über große Rechtsabteilungen und haben oft kein Interesse an schnellen Einzelreparaturen, solange die Miete vom Jobcenter gesichert fließt. Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei Weitem, was diese Strategie begünstigt.
3. Missbrauchsanfälligkeit des Systems
Dieses System wird in Einzelfällen sogar gezielt ausgenutzt, indem Mängel ignoriert oder bewusst Wohnungen zu überhöhten Preisen im Rahmen der Obergrenzen an Hilfsbedürftige vermietet werden. Solche Praktiken verdeutlichen die Notwendigkeit einer besseren Qualitätskontrolle seitens der öffentlichen Hand.
Was sich ändern müsste – Konkrete Reformvorschläge
Um die öffentliche Finanzierung von Mangelwohnungen zu beenden und die Betroffenen zu schützen, wären folgende Sofortmaßnahmen notwendig:
| Maßnahme | Zielsetzung |
|---|---|
| Mindeststandards koppeln | KdU-Zahlungen an einfache Qualitätskriterien binden (z. B. keine massiven Schimmelschäden, funktionierende Heizung/Fenster, sichere Elektrik) – mit Nachweis und Fristsetzung. |
| Pflicht-Hinweis & Fristen | Erreicht das Jobcenter die Kenntnis gravierender Mängel, muss der Vermieter informiert und eine Frist zur Beseitigung gesetzt werden. |
| Schnellspur bei Unzumutbarkeit | Priorisierte Umzugszusagen und unbürokratische Kautionslösungen (z. B. Bürgschaften) bei ärztlich attestierten Eilfällen. |
| Mieter-Unterstützung | Standardisierte Mängelanzeigen-Formulare und Kooperationen mit Mietervereinen zur rechtlichen Ersthilfe. |
| Transparenz schaffen | Einrichtung kommunaler Meldestellen für Problemimmobilien und Wiederholprüfungen bei auffälligen Adressen. |
| „Zweckdeckel light“ einführen | Statt eines pauschalen Mietdeckels: ein zielgenauer Preisdeckel für KdU-Wohnungen, der zwingend mit Mindeststandards und Instandhaltungsnachweisen verknüpft wird. |
Jobcenter: Neuer Mietendeckel gegen Bürgergeld-Betrug
Was Betroffene jetzt tun können: Ihre Hebel nutzen
Da systemische Änderungen lange dauern, können Sie Ihre Position sofort stärken. Nutzen Sie diese Schritte, um Druck auf den Vermieter auszuüben und den Weg für einen möglichen Umzug zu ebnen:
- Mängel lückenlos dokumentieren:
- Machen Sie Fotos und Videos der Mängel (Schimmel, defekte Heizung, nasse Wände).
- Führen Sie ein detailliertes Protokoll (Datum, Uhrzeit, was ist passiert/defekt).
- Tipp: Liegt eine Gesundheitsgefahr vor, holen Sie ein ärztliches Attest ein. Dieses Dokument ist der stärkste Hebel bei Behörden!
- Schriftliche Mängelanzeige an den Vermieter:
- Setzen Sie den Vermieter schriftlich und nachweisbar (Einschreiben, Fax mit Sendebericht) in Kenntnis.
- Fordern Sie eine klare Frist zur Behebung (z. B. 14 Tage). Tun Sie das bevor Sie eine Mietminderung in Betracht ziehen.
- Jobcenter parallel informieren:
- Melden Sie die unzumutbaren Zustände (inkl. Ihrer Dokumentation) sofort dem Jobcenter.
- Legen Sie Akten an! Das Jobcenter muss Kenntnis von den Problemen haben, falls Sie später dringend umziehen müssen.
- Umzug proaktiv vorbereiten:
- Warten Sie nicht, bis die Situation unerträglich wird. Suchen Sie aktiv nach Wohnungsangeboten, die die KdU-Grenzen einhalten.
- Geschwindigkeit zählt: Holen Sie konkrete Wohnungsangebote ein und leiten Sie diese sofort zur Zusicherung an das Jobcenter weiter.
- Klären Sie die Kaution frühzeitig: Beantragen Sie ein Darlehen oder eine Bürgschaft beim Jobcenter, um bei einer Zusage schnell handlungsfähig zu sein.
- Akte sauber führen – Ordnung ist Macht:
- Legen Sie einen Ordner an für jeden Schriftverkehr (Ihre Mängelanzeigen, die Antworten des Vermieters, alle Jobcenter-Bescheide).
- Je vollständiger und geordneter Ihre Unterlagen sind, desto einfacher und schneller kann Ihnen ein Mieterverein oder ein Anwalt helfen.

