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Armutshammer: 21,1 % der Deutschen arm – Bürgergeld-Empfänger besonders gefährdet

Junge Frau steht traurig in karger Küche vor leerem Kühlschrank - Symbolbild für Armut

„Das kann mir nicht passieren!“ Bürgergeld beantragen zu müssen, arm zu sein und sozial ausgegrenzt zu werden – viele unterschätzen, wie schnell man sich in dieser prekären Situation wiederfindet. Im Jahr 2024 traf das offiziell 17,6 Millionen Menschen in Deutschland: Die Armuts- und Ausgrenzungs­­quote stieg auf 21,1 % und liegt damit erstmals knapp über dem EU-Durchschnitt von 21,0 %. Zum Vergleich: 2019 lag Deutschland noch bei 17,3 % und gehörte zu den besser gestellten Ländern; heute rangiert es nur noch auf Platz 19 von 29 EU-/EWR-Staaten. Eurostat – das Statistische Amt der Europäischen Union – liefert die zugrunde liegenden Zahlen.

Wo steht Deutschland im EU-Armutsranking?

2019 lag Deutschland auf Platz 9 von 29 EU/EWR-Ländern; 2024 nur noch auf Platz 19. Das ist ein Rückfall um zehn Ränge – der stärkste Absturz im gesamten Vergleich und zugleich ein historisches Tief.

Wie hoch ist die Armuts- bzw. Ausgrenzungsquote 2024?

21,1 % der Bevölkerung (rund 17,6 Mio. Menschen).

Was bedeutet die 60-Prozent-Schwelle des Medianeinkommens?

Haushalte unter 60 % des gewichteten Medianeinkommens gelten als armutsgefährdet (2024: 1.378 Euro netto für Singles; 2.893 Euro für ein Paar mit zwei Kindern).

Sind nur Bürgergeld-Empfänger arm?

Nein. 2024 bezogen etwa 5,4 Mio. Personen Bürgergeld – das sind weniger als ein Drittel aller armuts- oder ausgrenzungsgefährdeten Menschen. Armut ist damit längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Warum werden gerade die Jahre 2019 und 2024 verglichen?

2019 war das letzte Vor-Pandemie-Jahr und dient als neutraler Referenzpunkt; so wird sichtbar, wie stark die Quote in nur fünf Jahren gestiegen ist.

Wen trifft es?

Ob jemand von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht ist, richtet sich in der EU nach drei Kriterien. Ist mindestens eine dieser Bedingungen erfüllt, steht man bereits auf der Schattenseite des Lebens:

  • Das Einkommen bewegt sich unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze.
  • Der Haushalt ist von „erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen“.
  • Es handelt sich um einen Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung.

Genau diese drei Kriterien machen eine europaweite Vergleichbarkeit erst möglich – und dort wird die Lage für Deutschland brisant. Erstmals rutscht die Bundesrepublik nämlich über den EU-Durchschnitt. Die folgende Grafik zeigt, wie deutlich wir seit 2019 zurückfallen.

Deutschland 2024 erstmals ärmer als EU-Durchschnitt

Deutschlands Armutsquote steigt schneller als die der meisten Nachbarn – die beiden Diagramme zeigen den Absturz auf einen Blick.

Balkendiagramm 2019: Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Bevölkerung in 29 EU/EWR-Ländern, absteigend sortiert. EU-Durchschnitt 21,1 % (blauer Balken) liegt mittig; Deutschland 17,3 %; Spitzenwerte Rumänien 36 % und Bulgarien 33 %, geringster Wert Tschechien 12,1 %.
Balkendiagramm 2024: Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Bevölkerung in 29 EU/EWR-Ländern, absteigend sortiert. EU-Durchschnitt 21,0 % (blauer Balken); Deutschland 21,1 % (schwarz-rot-gold markiert) überschreitet erstmals den EU-Mittelwert; Höchstwert Türkei 30,4 %, Tiefstwert Tschechien 11,3 %.

Deutschland hat 2024 eine rote Linie überschritten: Erstmals liegt hierzulande der Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen bei 21,1 % – knapp über dem EU-Mittel von 21,0 %. 2019 lag Deutschland noch bei 17,3 %. Dieser Anstieg um 3,8 Prozentpunkte lässt die Bundesrepublik im Ranking der 29 EU- und EWR-Staaten von Platz 9 auf Platz 19 abstürzen – der deutlichste Rückfall in der gesamten Tabelle.

Auch die Grundsicherung spiegelt die Entwicklung: Nach einem Tiefstand von 3,9 Millionen Hartz-IV-Empfängern 2019 kletterte die Zahl infolge Pandemie, Inflation sowie der Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten bis 2024 auf etwa 5,4 Millionen Bürgergeld-Empfänger. Dabei spielt die Zuwanderung eine sehr gewichtige Rolle, wie Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen: Trennt man das Armutsrisiko in 2024 nach Staatsangehörigkeiten, verbleiben bei Deutschen (unabhängig eines Migrationshintergrunds) 17,6 %, während der Anteil ohne deutsche Staatsbürgerschaft bei 40 % liegt.

Armut beschränkt sich dabei längst nicht mehr auf klassische Transferhaushalte. Laut Destatis gelten inzwischen 6,5 % der Erwerbstätigen als „Working Poor“,“ weil ihr Lohn unter 60 % des Medians liegt – fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren.

Armut beschränkt sich dabei längst nicht mehr auf klassische Transferhaushalte. Laut Destatis gelten inzwischen 6,5 % der Erwerbstätigen als „Working Poor“,“ weil ihr Lohn unter 60 % des Medians liegt – fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren.

Insgesamt leben heute rund 17,6 Millionen Menschen in Armut oder sozialer Ausgrenzung. Hohe Mieten sowie gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise drücken immer stärker in die Mittelschicht. Wer früher mit Durchschnittseinkommen auskam, nähert sich nun gefährlich der Armutsgrenze, während Rücklagen durch die Inflation an Wert verlieren.

Unsere Nachbarn schlagen einen anderen Kurs ein: Niederlande verbessern sich (16,5 % → 15,4 %), Polen reduziert deutlich (17,9 % → 16,0 %), Österreich bleibt nahezu stabil (16,5 % → 16,9 %) und selbst Dänemark begrenzt den Anstieg (17,3 % → 18,0 %). Deutschland hingegen koppelt sich ab und trägt nun eine höhere Armutslast als der europäische Durchschnitt – ein Alarmsignal, das Kaufkraftverluste und Wohnkostendruck endlich ins Zentrum der Politik rücken muss, damit der Abstieg nicht zur neuen Normalität wird.

Ob Armut zur Ausnahme oder zur Regel wird, entscheidet sich letztlich an den finanziellen Spielräumen der Haushalte – die immer kleiner werden.

Zu niedriges Einkommen

Mit Blick auf das Einkommen gilt man als armutsgefährdet, wenn das Gehalt weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung ausmacht. Für einen Single galt dies 2024 bei einem Betrag von 1.378 Euro netto (1.314 Euro in 2023) – also nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben. Bei einem Paar mit zwei Kindern betrug der Schwellenwert 2.893 Euro (2.759 Euro in 2023). Separiert man nur diesen Faktor, waren im Vorjahr 15,5 Prozent aller Deutschen armutsgefährdet.

Gut zu wissen: Was steckt hinter den „1.378 Euro netto“?

Eurostat ermittelt jährlich das sogenannte Median-Äquivalenzeinkommen. Dabei wird das verfügbare Haushaltseinkommen (nach Steuern und Abgaben) mit der OECD-Äquivalenzskala gewichtet, sodass sich verschieden große Haushalte vergleichen lassen. Sortiert man anschließend alle Personen der Reihe nach, verdient exakt die Hälfte mehr, die andere Hälfte weniger als diesen Median.

  • Für Deutschland lag dieses gewichtete Medianeinkommen 2024 bei 27.619 Euro pro Jahr, das sind rund 2.302 Euro pro Monat.
  • Als armutsgefährdet gilt, wer unter 60 % dieses Medians bleibt. Sechzig Prozent von 2.302 Euro ergeben 1.381 Euro; Destatis rundet auf 1.378 Euro netto monatlich für einen Single-Haushalt ab.

Für andere Haushaltsgrößen wird derselbe Schwellenwert mit der Äquivalenzskala multipliziert: Ein Paar mit zwei Kindern unter 14 Jahren benötigt mindestens 2.893 Euro netto (1,0 + 0,5 + 0,3 + 0,3 = 2,1 Skalenpunkte × 1.378 Euro). Liegt das verfügbare Einkommen darunter, zählt der Haushalt statistisch als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet.

Zum Vergleich eine Auswertung der Zahlungsansprüche von Bürgergeld Bedürftigen in 2024. Im Dezember 2024 hatten Ein-Personen-Haushalte einen durchschnittlichen Zahlungsanspruch an das Jobcenter in Höhe von 1.031 Euro monatlich (962 Euro in 12/2023). Bei Familien mit Kindern waren es 2.214 Euro monatlich (2.026 Euro in 12/2023). Hierbei muss man berücksichtigen, dass sich diese Beträge nach Anrechnung des Einkommens sowie Kindergeld etc. ergeben.

Zum 01.01.2024 wurde der Bürgergeld Regelsatz in der Regelbedarfsstufe 1 von 502 Euro auf 563 Euro angehoben. Hierdurch erhöhten sich auch die Zahlbeträge im Januar 2024 deutlich, bei einem Single-Haushalt auf 1.029 Euro sowie bei Partnern mit Kindern auf 2.246 Euro.

Bürgergeld trotz Job

Angesichts dieser Zahlen darf man sich nicht wundern, warum immer mehr Menschen trotz Arbeit auf Bürgergeld angewiesen sind. Sie müssen mit Jobcenter-Leistungen aufstocken, weil der Lohn nicht reicht, den Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten. Nach aktuellen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit lag für 2024 die durchschnittliche Aufstocker-Quote bei 20,72 % – in Zahlen: im monatlichen Schnitt gingen 826.444 der 3.987.700 erwerbsfähigen Hilfebedürftigen einer Arbeit nach. Für 2023 lag die Quote etwas niedriger bei 20,25 % – 795.846 der 3.929.369 Erwerbsfähigen haben gearbeitet.

Bürgergeld trotz Job: Mindestlohn schlicht zu niedrig

Materielle Entbehrung

Geht es um „erhebliche materielle und soziale Entbehrung“, so betraf dieser Aspekt 6 % der Bevölkerung (5 Millionen Menschen). Zur Erklärung: Als Entbehrung gilt zum Beispiel, dass ein einwöchiger Urlaub bereits außerhalb der finanziellen Möglichkeiten liegt, man die Miete sowie Versorgungsleistungen nicht bezahlen kann oder nicht in der Lage ist, einmal im Monat mit Freunden oder Familie essen zu gehen.

Niedrige Erwerbsbeteiligung

Der Punkt „niedrige Erwerbsbeteiligung“ erklärt sich weitgehend von selbst. Die Mitglieder betroffener Haushalte sind wenig oder gar nicht in den Arbeitsmarkt eingebunden. Konkret muss die Erwerbsbeteiligung der erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder bei unter 20 Prozent liegen. Im Jahr 2024 galt dies für 9,8 % der Bevölkerung unter 65 Jahren (6,2 Millionen Menschen).

Bürgergeld Bedürftige offiziell arm

Hierunter fallen dann auch viele Bürgergeld Bedürftige. Sie sind somit laut Aussagen des Statistischen Bundesamtes ganz offiziell von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Eine Tatsache, die viele nur allzu gerne leugnen – auch seitens der Politik. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass zur Bemessung des Bürgergeld Regelbedarfs die unteren 15-20 % der Referenzhaushalte nach Einkommen herangezogen werden. Nach Angaben von Eurostat sind davon im vergangenen Jahr 82 % von

4 von 10 verzichten aufs Bürgergeld – aus Scham

Quellen: