Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass einem Antragsteller Regelleistungen nach dem Bürgergeld zustehen, obwohl das zuständige Jobcenter seinen Antrag zunächst abgelehnt hatte. Grundlage der Ablehnung war die Annahme, der Mann habe nicht alle geforderten Unterlagen eingereicht – insbesondere solche, die seine geschiedene Ehefrau betreffen. Das Gericht stellte jedoch fest, dass diese Nachweise im vorliegenden Fall für die Leistungsbewilligung unerheblich waren und rügte das Vorgehen des Jobcenters als unangemessen.
Der Kläger, ein schwerbehinderter Mann (GdB 80, Merkzeichen G und B), beantragte Bürgergeld zur Sicherung seines Lebensunterhalts. Er lebt mit seiner ebenfalls schwerbehinderten, geschiedenen Ehefrau (GdB 100, Merkzeichen RF) in einer Bedarfsgemeinschaft – beide stehen unter Betreuung. Zuvor bezog er in einer anderen Stadt Sozialhilfe nach dem SGB XII und stellte nach seinem Umzug einen vorläufigen Bürgergeld-Antrag.
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Jobcenter fordert umfangreiche Unterlagen
Zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit verlangte das Jobcenter im Rahmen der Antragstellung zahlreiche Nachweise, darunter auch Unterlagen der Ex-Frau. Gefordert wurden:
- Kopie Personalausweis Partnerin
- Nachweis Sozialversicherungsnummer (z.B. Kopie Sozialversicherungsausweis) von Ihnen und Partnerin
- Mitgliedsbescheinigung Krankenkasse von Partnerin
- Kopie Krankenkassenkarte von Ihnen und Partnerin
- Nachweis Kindergeld von Ihnen
- Nachweis Antragstellung Wohngeld Partnerin
- letzter Bewilligungsbescheid und Aufhebungsbescheid Sozialhilfe von Ihnen
- Nachweise sonstiges Einkommen (falls vorhanden)
- (gegebenenfalls) Nachweis Höhe Kfz-Haftpflichtbeitrag und Kfz-Schein
- (gegebenenfalls) Kopie Schwerbehindertenausweis Partnerin
- Kontoauszüge ab 01.06.2023 bis 17.01.2024 aller Konten (inklusive Kreditkarten und Onlinebezahlsystemen z.B. Paypal) von Ihnen und Partnerin (auch Sparkonten! Ihre Partnerin hat diverse Konten aufgelöst und lässt monatliche Sparraten abbuchen)
Das Jobcenter argumentierte, dass ohne diese Informationen und Nachweise keine Prüfung der Bedürftigkeit des Klägers möglich sei, da beide in einer Bedarfsgemeinschaft leben und somit auch Einkommen und Vermögen der geschiedenen Ehefrau relevant seien.
Ablehnung und Eilrechtsschutz
Weil die angeforderten Unterlagen der Ex-Frau nicht vollständig vorgelegt wurden, lehnte das Jobcenter den Bürgergeld Antrag des Klägers ab. Es berief sich auf § 66 SGB I (Folgen fehlender Mitwirkung), wonach Leistungen verweigert werden können, wenn der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und dadurch die Aufklärung des Sachverhalts erschwert wird.
Daraufhin legte der Kläger Widerspruch ein und beantragte beim Sozialgericht Gelsenkirchen einstweiligen Rechtsschutz, um dennoch die beantragten Leistungen zu erhalten. Das Sozialgericht lehnte den Antrag jedoch ab und folgte der Argumentation des Jobcenters. Es sah die Hilfebedürftigkeit des Klägers als nicht ausreichend nachgewiesen an, da vermeintlich wichtige Dokumente seiner geschiedenen Ehefrau fehlten (Az. S 33 AS 310/24 ER).
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Erfolg vor dem LSG
Der Kläger ging daraufhin in Berufung vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen. Das LSG entschied zugunsten des Klägers und stellte fest, dass die vom Jobcenter verlangten Unterlagen der geschiedenen Ehefrau für die Bewilligung der Regelleistungen des Klägers tatsächlich nicht relevant waren. Der Kläger hatte die notwendigen Nachweise, die seine eigene Hilfebedürftigkeit betreffen, fristgerecht eingereicht. Die Mitwirkungspflicht des Klägers erstreckte sich nicht auf Unterlagen, die keinen unmittelbaren Einfluss auf die Berechnung der ihm zustehenden Regelleistungen haben (Az. L 21 AS 486/24 B ER und L 21 AS 487/24 B).
Folglich hob das Landessozialgericht die Entscheidung des Jobcenters und den Beschluss des Sozialgerichts auf und verpflichtete das Jobcenter, die Regelleistungen rückwirkend zu gewähren. Das LSG betonte, dass die Ablehnung der Leistungen durch das Jobcenter auf einer fehlerhaften Beurteilung beruhte. Der Versuch, die Ablehnung auf fehlende Unterlagen der geschiedenen Ehefrau zu stützen, sei unangemessen gewesen, da diese Dokumente für den Anspruch des Klägers selbst unerheblich waren.