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Bürgergeld teuer – Jobcenter leisten sich zu viele Fehler

Die Politik beklagt die Kosten. Die Akten zeigen etwas Grundsätzliches: Trotz versprochener Vereinfachungen im Bürgergeld bleiben Fehlerquoten bei Widersprüchen und Klagen sehr hoch. In mehr als jedem dritten angefochtenen Fall wird zu Gunsten von Bürgergeld-Empfängern korrigiert, was bedeutet dass bei jedem dritten bearbeiteten Widerspruch mehr Geld „herausspringt“. Anwälte berichten aus der Praxis, dass nahezu jeder zweite Bescheid, gegen den sie Widerspruch einlegen, Fehler enthält. Parallel wächst der Anteil der Untätigkeitsklagen. Das System produziert Streit – und das kostet.

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Ein Drittel der angefochtenen Bescheide ist falsch

Die Korrekturquote bleibt hartnäckig hoch. 2022 wurden 33,6 Prozent der Widersprüche ganz oder teilweise stattgegeben (Vorjahr 35,5 Prozent). Nach dem Wechsel vom Arbeitslosengeld II zum Bürgergeld in 2023 waren es 33,0 Prozent, geringfügig besser trotz Karenzzeit beim Vermögen und Wohnkosten. 2024 noch 32,5 Prozent. Die Abweichung ist gering. Das heißt: Unter den angefochtenen Bescheiden sitzt der Fehler in über jedem dritten Fall.

Widersprüche: hoch, hartnäckig – auch nach der Reform

JahrBedarfs-gemein-schaftenZugänge Widersprüche Abgänge WidersprücheWidersprüche Bestand JahresendeErfolgsquote (stattgegeben/ teilweise)
20212.829.755413.589439.76796.93535,5 %
20222.772.344403.856397.25389.91133,6 %
20232.905.194425.359419.54997.39433,0 %
20242.931.463423.357422.19596.95632,5 %

Auf Gerichtsebene sieht es kaum besser aus. Ohne Vergleiche lag die Stattgabequote bei 35,5 Prozent in 2021, 35,2 Prozent (2022), 35,4 Prozent (2023) und 33,9 Prozent (2024). zugunsten der Bürgergeld-Empfänger. Diese Größenordnung ist kein „Einzelfehler“, sondern ein Muster.

Klagen: Gerichte korrigieren häufig, Untätigkeit nimmt zu

Gerichte geben in rund einem Drittel der Entscheidungen recht. Der wachsende Anteil von Untätigkeitsklagen zeigt ein Verfahrensproblem: Sechs Monate ab Antrag ohne Bescheid bzw. drei Monate ohne Widerspruchsentscheidung – dann darf geklagt werden. Behörden müssen entscheiden, notfalls nach Aktenlage. Stillstand ist rechtswidrig und teuer.

JahrZugänge KlagenAbgänge KlagenKlage-Bestand JahresendeStattgabe (Urteil/ Beschluss)Anteil Untätigkeitsklagen
202161.38277.730144.75135,3 %3,3 %
202250.89366.595125.96235,2 %3,27 %
202347.93460.054109.34635,4 %3,60 %
202448.78557.01098.05033,9 %4,08 %

Wogegen gestritten wird: Vermögen, Unterkunft, Zugang

Die Karenzzeitz mit der Einführung des Bürgergeldes sollte gerade bei Vermögen und Unterkunft beruhigen. Tatsächlich hält sich der Rückgang bei den Widersprüchen in Grenzen.

Streitfeld im Widerspruchs-Bestand2021202220232024
Einkommen/ Vermögen14,65 %14,21 %14,54 %14,14 %
Kosten der Unterkunft 13,66 %13,59 %13,61 %13,55 %
Zugangsvoraussetz-ungen SGB II9,17 %9,4 %9,6 %9,72 %
Aufhebung/ Erstattung20,7 %19,5 %18,53 %18,45 %
Sanktionen2,64 %2,50 %1,60 %1,64 %
„Andere Gründe“28,99 %30,92 %32,87 %33,78 %

Typische Fehler: Schonvermögen falsch gerechnet. KdU-Karenz falsch angewandt. Warmwasser/ Heizung verwechselt. Bedarfsgemeinschaften falsch zugeschnitten. Die große Restkategorie „Andere Gründe“ steht für uneinheitliche Praxis und schwache Begründungen.

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Integration stagniert – Bestände bleiben länger im System

Weniger Abgänge in Arbeit bedeuten längere Verweildauer im Leistungsbezug. Das erhöht Beratungs- und Prüfaufwand – und kann eine Verschlechterung der Bescheidqualität zur Folge haben.

JahrIntegrationen gesamt (Jahressumme)Quote bedarfsdeckende Integrationendavon in sv-pflichtiger Beschäftigung
2021464.89512,3 %11,0 %
2022428.02911,5 %10,3 %
2023378.7279,6 %8,9 %
2024400.02210,1 %9,3 %

Die Integrationskraft fällt spürbar unter das Vorkrisenniveau 2021. Akten bleiben länger, Rückstände verfestigen sich – Fehler steigen.

Was die Last treibt – aber die Fehler nicht entschuldigt

Bestände und Ausländeranteile

JahrBedarfsgemein-schaftenELB gesamtELB AusländerAnteil Ausländer an ELB
20212.829.7553.792.1781.426.22937,6 %
20222.772.3443.717.8921.564.30342,1 %
20232.905.1943.929.3681.828.96546,6 %
20242.931.4633.987.7001.889.45447,4 %

Mehr Fälle und ein höherer Ausländeranteil bedeuten mehr Sprachbarrieren, mehr Dokumentenprüfung und mehr Schnittstellen. Das erklärt Last – nicht die Fehlerquote. Qualität ist Pflicht, egal wer den Antrag stellt.

Ukraine macht den Sprung sichtbar

JahrRegelleistungs-berechtigte Ukraine (RLB)ELB UkraineFrauen (ELB)Männer (ELB)
202117.97916.17710.6895.488
2022361.216239.927177.57262.355
2023703.660481.453332.044149.409
2024714.736503.886330.053173.833

Der Zufluss aus der Ukraine ab 2022 besteht überwiegend aus Frauen mit Kindern. Viele sind zunächst nicht arbeitsfähig. Das erklärt zusätzliche Hürden bei Sprache, Dokumenten, Anerkennung von Abschlüssen und Kinderbetreuung. Im selben Zeitraum hat auch die Widerspruchsquote bei der Prüfung der Zugangsvoraussetzungen zum Bürgergeld zugenommen, wobei sich hier aus den Daten der Bundesagentur kein direkter Zusammenhang feststellen, da die BA keine tiefergehenden Daten zur Verfügung stellt.

Gleichzeitig befanden sich Juli 2024 252.000 und Juli 2023 rund 253.095 (+116.000 zum Vorjahresmonat) bei Jobcentern gemeldete Personen in „Fremdförderung“, überwiegend ukrainische Flüchtlinge in Sprach- und Integrationskursen. Diese Gruppen binden Personal und erzeugen Schnittstellenarbeit – die Bescheide werden dadurch nicht einfacher.

Politische Gegenentwürfe erhöhen eher die Prüflast

  • Neue Grundsicherung: Vermögens-Karenz abschaffen, Schonvermögen an „Lebensleistung“ knüpfen, KdU wieder ab Beginn auf Angemessenheit prüfen. Das heißt: mehr Prüfung ab Tag 1.
  • Ukraine-Wechsel ins AsylbLG: Neueinreisende in ein anderes System, Bestandsfälle im Bürgergeld. Zwei Rechtskreise für eine Gruppe – mehr Übergänge, mehr Streit. (Bürgergeld-Stopp für Ukrainer – Gesetzesentwurf)
  • Begrenzung Zuwanderung in Sozialsysteme (Koalitionsvertrag): Selbst wenn das gelingt, lösen sich Verfahrensfehler nicht von allein.

Roter Faden zieht sich durchs Bürgergeld

Teuer und komplizierter wird es, weil das Verfahren Fehler produziert. Die Zahlen greifen ineinander:

  • Hohe Korrekturquoten trotz Reform.
  • Gerichte korrigieren häufig, Untätigkeit wächst – Fristen werden gerissen.
  • Vermögen/ KdU bleiben Streitfelder, obwohl die Karenzzeit vereinfachen sollte.
  • Integration schwächer, Bestände bleiben länger.
  • Ukraine-Zufluss erhöht Last und Komplexität – die Qualität muss damit Schritt halten, tut es aber nicht.

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Politische Debatte verfehlt den Kern

Das Bürgergeld ist nicht „pauschal zu teuer“. Teuer ist ein fehleranfälliges Verfahren, das aus Vereinfachung Mehrprüfung macht. Wer sparen will, muss zuerst die Verwaltungsqualität reparieren: klare Erstprüfung mit vollständiger Unterlagenliste, vorläufige Bewilligung statt Ketten-Nachforderung, konsequente Entscheidung nach Aktenlage vor Fristablauf.

Ursachen liegen in komplexen Übergangsregeln, schwankenden fachlichen Hinweisen, hoher Fluktuation und knapper Zeit in der Sachbearbeitung. Für Leistungsberechtigte heißt das mehr Unsicherheit und längere Verfahren.

Wer nur die Kosten kritisiert, verfehlt den Kern. Das System produziert Streit. Jede Korrektur kostet Zeit und Geld. Gerichte müssen nötigenfalls die fehlende Qualitätssicherung ersetzen. Der Anteil der Untätigkeitsklagen steigt. Gleichzeitig stagniert die Zahl strittiger Entscheidungen bei Vermögen und Unterkunft – ausgerechnet dort, wo die Reform Entlastung versprach. Kurz: Das Problem ist nicht „zu viel Bürgergeld“, sondern zu wenig saubere bzw. klare Umsetzung in der Verwaltung.

Quellen: