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BSG: Schadenersatz darf nicht auf Hartz IV angerechnet werden

Ältere Frau zählt Geldscheine

Eine Hartz IV Bedürftige darf 3.000 Euro Entschädigung behalten, ohne dass der Betrag als Einkommen auf den Regelsatz angerechnet wird. Dafür sorgte das Bundessozialgericht mit einem Urteil (Aktenzeichen B 14 AS 15/20 R) vom 11. November 2021. Grund: Bei dem Betrag handelt es sich eine Wiedergutmachung für ein zu langes Gerichtsverfahren. Oder juristisch: um eine „zweckbestimmte Einnahme nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften“.

Vorausgegangen war ein Rechtsstreit mit dem Jobcenter um die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Dieses Verfahren zog sich in die Länge. Daher klagte die 67-jährige Hartz IV Bedürftige und erzielte einen Vergleich. Ihr und ihrem Ehemann wurde eine Entschädigung von jeweils 2.100 Euro gewährt. Gutgeschrieben wurden 3.000 Euro.

Jobcenter rechnet Entschädigung als Einkommen an

Diese Entschädigung wertete das Jobcenter als Einkommen, da es keine Privilegierung nach § 11a Abs. 3 SGB II sah mit der Begründung, dass diese Entschädigung nicht ausdrücklich zu einem anderen Zweck gezahlt würde, als die Grundsicherung selbst. Da eine vollständigen Anrechnung der einmaligen Einnahme im Monat des Zuflusses den Wegfall des Hartz IV Anspruchs bedeuten würde, teilte das Jobcenter den Gesamtbetrag von 3.000 Euro gemäß § 11 Abs. 3 S. 4 SGB II in sechs Raten á 500 Euro auf. Der Hartz IV Bescheid für die Zeit von Juni bis September 2017 wurde daraufhin aufgehoben und ab Oktober bestand kein Leistungsanspruch mehr. Gleichzeitig forderte die Behörde insgesamt 805,21 Euro zurück. Das Sozialgericht hob diesen Bescheid auf. Das Landessozialgericht wiederum hob das Urteil des Sozialgerichts auf. So landete der Fall beim Bundessozialgericht.

Kein anrechenbares Einkommen

Die Richter des Bundessozialgerichtes machten deutlich, dass das Jobcenter nicht berechtigt gewesen sei, den Bewilligungsbescheid aufzuheben.

„Weil kein Einkommen wegen der Zahlung aus dem Vergleichen anzurechnen war“,

heißt es in der Begründung.

Klägerin war leistungsberechtigt

Die Klägerin sei „leistungsberechtigte Person“, da sie mit ihrer Rente den Lebensunterhalt nicht sichern könne. Sie habe ununterbrochen die Anspruchsvoraussetzungen für Hartz IV erfüllt. Weitere Einnahmen seien nicht zu berücksichtigen gewesen. Denn:

„Die im Mai 2017 erhaltenen 3000 Euro sind unabhängig von ihrer Aufteilung auf die Klägerin und ihren Ehemann gemäß § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II bei der Klägerin in voller Höhe anrechnungsfrei.“

Ausgleich immateriellen Nachteils

Gezahlt worden sei die Entschädigung als „Ausgleich eines immateriellen Nachteils“ und zwar aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift. Diese beiden Aspekte sind in diesem Fall maßgebend. §11a Absatz 3 Satz 1 SGB II erklärt dazu:

„Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, sind nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach diesem Buch im Einzelfall demselben Zweck dienen.“

Öffentliche rechtliche Vorschriften

Wichtig ist hierbei, dass es sich um eine öffentlich-rechtliche Vorschrift handelt. Dem sei so, erklärte das Bundessozialgericht. Denn es habe sich um eine Vorschrift gehandelt, „die einen Träger öffentlich-rechtlichen Verwaltung zur Leistung ermächtigen oder verpflichten“. In diesem Fall war es der Entschädigungsanspruch.

Zweck der Zahlung: Wiedergutmachung

Der zweite Aspekt: der Zweck der Zahlung. Auch hier ließ das Gericht keine Zweifel daran, dass es einen „ausdrücklich genannten Zweck“ gibt, die „Wiedergutmachung immaterieller Nachteile durch die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens“. Damit handelt es sich um einen Zweck, der ausdrücklich über die Sicherung des Lebensunterhaltes hinausgeht und somit auch nicht den selben Zweck wie die Hartz IV Leistungen hat.

Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit

Diesem Umstand widmen sich auch die Fachliche Weisungen §§ 11-11b SGB II der Bundesagentur für Arbeit aus dem Februar 2020 zu den entsprechenden Paragrafen im SGB II. Dort wird unter Punkt 5.4 explizit auf solche Leistungen – mit Auflistungen – eingegangen, wie die Klägerin sie erhalten hat. Das zuständige Jobcenter hat diese Anweisung wohl missverstanden oder übersehen.

Ende des Spießrutenlaufs

Für die Frau und ihren Mann, der Pflegegeld erhält, endet mit diesem Urteil ein Spießrutenlauf. Das erste Verfahren gegen das Jobcenter zog sich in die Länge. Und die Klage aufgrund der Entschädigung ging gleich durch drei Instanzen. Dadurch sind enorme Kosten entstanden – unter anderem auch deshalb, weil ein Jobcenter den fachlichen Weisungen nicht folgte oder keinen rechtlichen Rat einholte.

BSG Az.: B 14 AS 15/20 R vom 11.11.2021
LSG Niedersachsen-Bremen 26.11.2019 – L 11 AS 1043/18
SG Hildesheim 24.09.2018 – S 37 AS 1532/17

Bild: Syda Productions/ shutterstock.com