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Bundeskanzler will 10 Prozent beim Bürgergeld einsparen

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) will 10 Prozent beim Bürgergeld einsparen

Union und SPD haben sich auf einen Fahrplan zur Bürgergeld-Reform verständigt. Kanzler Friedrich Merz hält am Sparziel fest: „Zehn Prozent in diesem System einsparen […] muss möglich sein.“ Arbeitsministerin Bärbel Bas weist die Erzählung vom „unbezahlbaren Sozialstaat“ als „– und da entschuldige ich mich jetzt schon für den Ausdruck – Bullshit“ zurück. Parallel startet das Arbeitsministerium die Kommission zur Sozialstaatsreform und kündigt Verfahrensvereinfachungen an.

Was jetzt politisch verabredet ist

Bis Jahresende sollen die Eckpunkte der Reform vorliegen, so das Ergebnis des Koalitionsausschusses, über den Deutschlandfunk berichtet. Merz betont, niemand wolle den Sozialstaat abschaffen – Ziel sei eine zügige, klare Reform. Bas stellt schnellere Verfahren und bessere Vermittlung in Aussicht. Die Grünen-Spitze drängt auf mehr Tempo. Grünen-Chefin Brantner kritisiert, es sei „ärgerlich“, dass die Regierung „ein halbes Jahr“ gebraucht habe, um sich auf den Sachstand zu einigen, statt Lösungen vorzulegen. Aus grüner Sicht soll die Koalition nun rasch konkrete Maßnahmen vorlegen, die Arbeitsaufnahme erleichtern und Qualifizierung ausbauen. Es brauche zusätzliche wirtschaftliche Impulse, etwa niedrigere Lohnnebenkosten und Energiekosten sowie die rasche Umsetzung von Empfehlungen des Normenkontrollrats zur effizienteren Leistungsberechnung.

Merz’ Sparziel – und die Stellschrauben

Der Kanzler bekräftigt im TV-Interview zum Bürgergeld: „Zehn Prozent in diesem System einsparen […] muss möglich sein.“ Diskutiert werden drei Hebel: strengere Mitwirkungspflichten, engere Regeln bei Unterkunftskosten und ein klarer Vermittlungsvorrang in den Jobcentern. Fiskalisch liegt der größte Block bei Miete und Heizung. Dieser Bereich ist rechtlich geschützt – Einschnitte bergen Risiken für Umzüge, Mietschulden und Widersprüche.

Bas’ Linie: Vollzug statt Pauschalkürzungen

Bas setzt auf rechtssichere und schnelle Entscheidungen. Genannt sind zügigere Sanktionen bei klaren Pflichtverstößen, intensiver Datenabgleich gegen Leistungsbetrug und Verwaltungsvereinfachungen. Für 2026 steht eine Nullrunde beim Regelbedarf im Raum. Das bedeutet: nominal unveränderte Sätze – real spürbare Kaufkraftverluste. Sozialverbände kritisieren das deutlich.

Konkrete Bausteine aus dem Koalitionsvertrag

Die Koalition plant den Umbau zur „neuen Grundsicherung“. Kernelemente:

  • Vermittlung vor Verwaltung. Persönliche Angebote für alle erwerbsfähigen Leistungsberechtigten.
  • Fördern und Fordern. Geschärfte Mitwirkungspflichten, Sanktionen schneller und rechtssicher. Wiederholte Ablehnung zumutbarer Arbeit kann bis zur vollständigen Leistungsentziehung führen – im Rahmen der Rechtsprechung.
  • Vermögen und Wohnen. Wegfall der einjährigen Karenzzeit beim Vermögen, Schonvermögen an Lebensleistung geknüpft. Bei unverhältnismäßig hohen Unterkunftskosten entfällt die Karenz auch dort.
  • Regelsatz-Mechanismus. Rückkehr zum Vor-Corona-Anpassungsmodus, siehe: Bürgergeld-Kürzung mit Ansage – und keiner redet drüber
  • Missbrauchsbekämpfung. Bundesweite Bezahlkarte, erweiterter Datenaustausch zwischen Behörden, gestärkte Finanzkontrolle Schwarzarbeit.
  • Migration. Anreize, in die Sozialsysteme einzuwandern, sollen sinken.
  • AsylbLG statt Bürgergeld: Außerdem liegt ein Referentenentwurf vor, der vorsieht, dass neu einreisende Ukrainer ab dem Stichtag 1. April 2025 nicht mehr Bürgergeld, sondern geringere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten. Das geht auf eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag zurück. Bestandsfälle bleiben unberührt. Über den Entwurf ist noch nicht parlamentarisch entschieden.

Neu vom BMAS: Kommission zur Sozialstaatsreform

Das BMAS hat die Kommission zur Sozialstaatsreform (KSR) eingesetzt. Ziel: Modernisierung und Entbürokratisierung bei bewahrtem Schutzniveau. Im Fokus stehen steuerfinanzierte Leistungen wie Bürgergeld, Sozialhilfe, Wohngeld und Kinderzuschlag. Schwerpunkte sind Rechtsvereinfachung, schnellere Verfahren, Transparenz, mögliche Zusammenlegungen von Leistungen sowie bessere Erwerbsanreize. Staatssekretär Michael Schäfer: „Wir haben einen starken Sozialstaat. Aber er muss dringend moderner werden. Er muss schneller, transparenter und verständlicher werden.“ Die Umsetzung erster Maßnahmen soll ab Anfang 2026 beginnen, wie das BMAS unter Modernisierung des Sozialstaats – Hintergründe und Informationen über die Kommission zur Sozialstaatsreform (KSR).

Einordnung der Sparmaßnahmen

Zehn Prozent pauschal zu sparen klingt einfach, erzeugt im Vollzug aber Folgekosten. Hier stellt sich auch die Frage, woran man das Bürgergeld bemisst oder ob es zu viel kostet? Schaut man sich die Integrationen der Jobcenter an, stellt man fest, dass die Vermittlung in eine bedarfsdeckende Tätigkeit – also Ausscheiden aus dem Bürgergeld – massiv nachgelassen hat.

Zeitreihe 2015–2024 zur „Quote bedarfsdeckender Bürgergeld Integrationen“ von ELB: Gesamtintegration 11,9 % (2015) → Tief 9,5 % (2020) → Spitze 12,3 % (2021) → 10,1 % (2024). Integration in sv-pflichtige Jobs darunter: 10,3 % (2015) → 8,3 % (2020) → 11,0 % (2021) → 9,3 % (2024). Bedarfsdeckend = 3 Monate nach Integration keine SGB-II-Leistung.

Engere Mietobergrenzen reduzieren kurzfristig Ausgaben, erhöhen aber das Risiko von Umzügen, Mietschulden und Verfahren – gerade bei Familien und Alleinerziehenden. Härtere Sanktionen betreffen eine kleine Gruppe, binden Personal und bringen begrenzte Fiskaleffekte. Nachhaltig entlasten vor allem Maßnahmen, die in Arbeit führen: verlässliche Eingliederungsmittel, schnelle Anerkennung ausländischer Abschlüsse, Sprach- und Nachqualifizierung, stabile Arbeitgeberkontakte der Jobcenter und ausreichend Kinderbetreuung. Die KSR kann Doppelstrukturen abbauen und Verfahren beschleunigen. Entscheidend ist die Ausgestaltung – Kontrolle zielgenau, Schutz verlässlich.