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Sozialbetrug: Bürgergeld-Bedürftige permanent unter Generalverdacht

Angeklagter vor einem Richter

Die Rolle des Buhmanns wurde Bürgergeld Bedürftigen über Jahre auf den Leib geschneidert. Geht es mit der Wirtschaft bergab, werden Arbeitsstellen nicht besetzt oder fühlen sich Arbeitnehmer übervorteilt: Schuld sind die Ärmsten. Und dann steht da noch der Vorwurf des Sozialbetrugs im Raum. Sobald Boulevardmagazine berichten, dass Leistungsempfänger in Luxuskarossen vorfahren, stehen alle Betroffenen unter Generalverdacht. Die offiziellen Zahlen liefern ein völlig anderes Bild – doch das stört Kritiker schon lange nicht mehr.

Einzelfälle werden hochstilisiert

Das Bürgergeld und Betroffene als Wurzel allen Übels an den Pranger zu stellen, hat selbst bei seriösen Magazinen Methode. Damit pusht man die Vorurteile, macht Quote und betätigt sich eifrig als Brandstifter. Besonders beliebt ist das Thema Sozialbetrug. Suggeriert wird, dass nahezu jeder, der auf Hilfe angewiesen ist, den Staat und damit die Allgemeinheit betrügt. Einzelfälle, die den Sozialkassen schaden, werden zum flächendeckenden Problem hochstilisiert.

Zahlen zum Sozialmissbrauch

Das ZDF hat die Themen Sozialmissbrauch und Sozialbetrug näher beleuchtet und dazu auch um aktuelle Zahlen gebeten. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) beziffert die Fälle von Leistungsmissbrauch im Kontext der Grundsicherung für Arbeitssuchende mit 119.000 Fällen (2022). Der Zoll hat 85.700 Ermittlungsverfahren eingeleitet – wobei nicht nur Bürgergeld-, sondern auch Arbeitslosengeldempfänger involviert waren.

Bürgergeld: Übelste Vorurteile gegen Armutsbetroffene

Vertrauen in den Sozialstaat wird untergraben

Angesichts von über fünf Millionen Menschen, die auf Bürgergeld angewiesen sind, ergibt sich aus diesen Daten ein eher geringer Anteil von schwarzen Schafen. Diesbezüglich betont auch die BA, dass schwere und bandenmäßige Missbräuche in Relation zu allen Bürgergeld Bedürftigen selten vorkommen. Sie

„untergraben aber das Vertrauen in den Sozialstaat und bringen alle Leistungsberechtigten generell in Verdacht“.

Der finanzielle Schaden

Den finanziellen Schaden durch Sozialbetrug schätzt die BA auf 272,5 Millionen Euro (2022), der Zoll geht von 87,9 Millionen Euro aus. Aber: Der Ökonom Friedrich Schneider von der Uni in Linz, der sich seit Jahren mit Sozialbetrug befasst, rechnet mit einer hohen Dunkelziffer. Dabei bezieht er sich vor allem auf den Bereich Schwarzarbeit. Insgesamt betrachtet sei der finanzielle Schaden durch Steuerhinterziehung allerdings fast doppelt so groß wie der durch Sozialmissbrauch.

Stigma: Bürgergeld Bedürftige werden für Stimmenfang verheizt

Steuerhinterziehung wird weniger stigmatisiert

Dieses Ungleichgewicht, auf das auch Experten wie Professor Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung aufmerksam machen, ändert indes nichts an der Sichtweise. Die erklärt Friedrich Schneider:

„Sozialbetrug wird stärker stigmatisiert und hervorgehoben. Wenn jemand unrechtmäßig Kindergeld bezieht, wird das als etwas Unmoralischeres angesehen, als wenn jemand Steuern hinterzieht.“

Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, nennt das schlicht „Armenbashing“. Dabei geht es weniger ums Geld, sondern eher darum, einen Sündenbock für die Probleme dieser Welt zu finden.

Bild: Gorodenkoff/ shutterstock.com