Erwerbstätige Eltern müssen den Start in eine neue Beschäftigung oder einen höher dotierten Job sechs Monate lang ohne den vollen Kinderzuschlag (KiZ) überbrücken. Das hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in einer aktuellen Entscheidung (Az.: L 9 BK 2/25 B) bestätigt.
Das Gericht erklärte die starre gesetzliche Regelung, wonach für die Berechnung des KiZ das Durchschnittseinkommen der letzten sechs Monate maßgeblich ist, für verfassungsrechtlich unbedenklich. Das Urteil zwingt Familien mit aktuell steigendem Einkommen in eine lange Wartezeit und konterkariert damit den eigentlichen Sinn der Leistung: die Vermeidung des Bürgergeld-Bezugs.
Kinderzuschlag 2025: bis 552 € pro Kind statt Bürgergeld
Der Kern des Rechtsstreits: Verfassungskonformität der Wartezeit
Vor Gericht stand die Frage, ob die sogenannte sechsmonatige Bemessungsperiode (Vergangenheit) für den Kinderzuschlag rechtmäßig ist, wenn sie Eltern, die gerade erst eine ausreichende Erwerbstätigkeit aufgenommen haben, in die Hilfebedürftigkeit drängt.
| Wer hat geklagt? | Wie hat das LSG entschieden? |
|---|---|
| Kläger | Eine erwerbstätige Mutter (oder ein Elternpaar), die nach Aufnahme einer neuen Arbeit die Mindesteinkommensgrenze für den KiZ zwar aktuell erreicht hatte, deren Durchschnittseinkommen aus den sechs Vormonaten aber noch zu niedrig war. Die Klägerin argumentierte, die starre Regelung verstoße gegen den Gleichheitssatz und das Sozialstaatsprinzip. |
| Entscheidung | Das LSG bestätigte die Sicht der Familienkasse. Es sieht in der Sechs-Monats-Regel (§ 6a Abs. 8 Satz 1 BKGG) einen zulässigen Mechanismus zur Verwaltungsvereinfachung und zur Sicherstellung der Leistungskontinuität. Der Gesetzgeber habe eine „pauschalierende“ Regelung wählen dürfen. |
Das Prinzip der Pauschalierung: Der Gesetzgeber will mit der starren Frist die Verwaltungsvereinfachung sichern. Da der Kinderzuschlag stets für sechs Monate am Stück bewilligt wird, soll die rückwirkende Durchschnittsberechnung des Einkommens eine hohe Planungssicherheit für die Familien garantieren.
Das LSG räumte zwar ein, dass die starre Frist Härte in der Übergangszeit für Eltern mit stark steigendem Einkommen schafft. Es betonte jedoch, diese Härte sei „abgemildert“, da die Betroffenen in dieser Zeit auf die ergänzendes Bürgergeld vom Jobcenter ausweichen könnten, um ihre Existenz zu sichern.
Was ist der Kinderzuschlag und wer bekommt ihn?
Der Kinderzuschlag ist eine vorrangige Sozialleistung, die erwerbstätigen Eltern helfen soll, die trotz Arbeit ihren Bedarf als Eltern decken können, deren Einkommen aber nicht für den gesamten Bedarf der Kinder ausreicht. (Hinweis: Obwohl die Leistung umgangssprachlich oft als „Kindergeldzuschlag“ bezeichnet wird, ist der korrekte Begriff „Kinderzuschlag“ oder „KiZ“. Er wird zusätzlich zum regulären Kindergeld gezahlt.)
| Kriterium | Details (Stand 2025) |
|---|---|
| Zweck | Die Familie soll nicht auf die nachrangige Grundsicherung (Bürgergeld) angewiesen sein. |
| Voraussetzung | Die Eltern müssen die Mindesteinkommensgrenze erreichen (Paare: 900 € brutto, Alleinerziehende: 600 € brutto). |
| Höhe | Bis zu 297 € monatlich pro Kind. |
| Bezugsdauer | Wird in der Regel für sechs Monate bewilligt. |
Folgen des LSG-Urteils: Die Lücke und der Zwang zur Grundsicherung
Durch die bindende Sechs-Monats-Regel des LSG-Urteils entsteht für Eltern, die gerade einen neuen Job aufgenommen haben, eine massive finanzielle Unsicherheit:
- Finanzielle Lücke: Wer den vollen KiZ-Anspruch hat, dem entgehen durch die Wartezeit bis zu 297 € pro Kind und Monat. Über die sechs Monate summiert sich der potentielle Verlust auf bis zu 1.782 € pro Kind.
- Wohngeld als Puffer: Da der Kinderzuschlag bei der Wohngeldberechnung nicht als Einkommen gilt, fällt das Wohngeld in dieser Übergangszeit in der Regel höher aus und kompensiert zumindest einen Teil des fehlenden KiZ. Trotzdem bleibt fast immer eine Unterdeckung.
Wohngeld oder Bürgergeld – wann was beantragen?
Erzwungener Umweg und die Nachteile des Bürgergelds
Reicht die Kombination aus Erwerbseinkommen und (erhöhtem) Wohngeld zur Deckung des gesamten Familienbedarfs nicht aus, bleibt zur Abwendung einer Notlage nur der Antrag auf ergänzendes Bürgergeld beim Jobcenter. Dieser erzwungene Umweg bringt für die Eltern erhebliche Nachteile mit sich:
| Kriterium | KiZ-Bezug (Zielzustand) | Bürgergeld-Bezug (Übergangslösung) |
|---|---|---|
| Behördenkontakt | Familienkasse; keine Vermittlungsauflagen. | Jobcenter; es drohen Kooperationspläne, Meldeverpflichtungen und Sanktionen bei Pflichtverletzung. |
| Stigmatisierung | Gilt als Lohnersatzleistung für Kinder, um Arbeit zu belohnen. | Gilt als Grundsicherung und ist häufig mit Stigmatisierung verbunden. |
Wichtig für betroffene Eltern:
- Umgehend Wohngeld beantragen: Es berücksichtigt das aktuelle (und zukünftige) Einkommen und kann die Lücke abfedern.
- Bürgergeld prüfen: Bleibt die Lücke dennoch zu groß, ist der Antrag auf ergänzendes Bürgergeld beim Jobcenter die einzige Möglichkeit, die Existenzsicherung in den ersten sechs Monaten zu gewährleisten. Um keine Ansprüche zu verlieren, empfiehlt es sich, Bürgergeld parallel zum Wohngeld zu beantragen (zum: Bürgergeld Rechner).
- KiZ-Antrag nach sechs Monaten: Nach Ablauf des Bemessungszeitraums sollte der KiZ-Antrag erneut gestellt werden, um den Bürgergeld-Bezug schnellstmöglich zu beenden (zum KiZ-Rechner).
Verfahrenshergang:
- LSG Nordrhein-Westfalen – Az.: L 9 BK 2/25 B vom 26.09.2025
- SG Dortmund – Az.: S 104 BK 23/24 vom 11.01.2025

