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Jobcenter-Richtwerte: Bürgergeld wird zur Schuldenfalle

Besorgte Frau prüft mit Taschenrechner Schulden - Symbolbild für Schuldenfalle beim Bürgergeld durch zu niedrige Jobcenter-Richtwerte.

Das Bürgergeld soll als Grundsicherung hilfebedürftigen Menschen ermöglichen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Die Realität zeigt jedoch ein anderes Bild – vor allem bei den Wohnkosten. Denn wer als Leistungsempfänger eine Wohnung bewohnt, deren Miete die vom Jobcenter festgelegte Obergrenze überschreitet, gerät schnell in eine finanzielle Schieflage.

Unrealistische Richtwerte

Außerhalb der Karenzzeit übernimmt das Jobcenter nur die Miete, die als „angemessen“ gilt. Doch diese Angemessenheitsgrenze ist häufig realitätsfern, weil sie sich auf veraltete Mietspiegel stützt, die dem tatsächlichen Wohnungsmarkt hinterherlaufen. Gerade in Großstädten ist es für Leistungsempfänger daher nahezu unmöglich, eine bezahlbare Wohnung zu finden, deren Miete den Vorgaben des Jobcenters entspricht – siehe etwa die veralteten Richtwerte in Berlin. Selbst beim Wohngeld wird die tatsächliche Miete fairer berücksichtigt.

So teuer darf die Wohnung mit Bürgergeld sein

Zwang zur Kostensenkung

Stuft das Jobcenter die tatsächliche Miete als zu hoch ein, werden Betroffene zur Senkung der Kosten der Unterkunft (KdU) aufgefordert – das Kostensenkungsverfahren nimmt seinen Lauf. Innerhalb von bis zu sechs Monaten müssen entweder die Wohnkosten reduziert oder eine günstigere Bleibe gefunden werden. Ausnahmen bestehen nur, wenn die Wohnungssuche nachweislich trotz intensiver Bemühungen erfolglos bleibt.

Leichter gesagt als getan: Günstigere Wohnungen, deren Kosten innerhalb der Jobcenter‑Grenzen liegen, sind auf dem angespannten Wohnungsmarkt Mangelware. Bürgergeld‑Bezieher haben es ohnehin schwer, eine neue Wohnung zu finden – nicht zuletzt, weil Vermieter zahlungskräftige Mieter bevorzugen.

Können Betroffene nach Ablauf des Kostensenkungsverfahrens ihre Wohnkosten nicht senken und auch keine vom Jobcenter akzeptierten Nachweise vorlegen, übernimmt das Amt künftig nur noch die Miete bis zur Angemessenheitsgrenze. Viele Leistungsbezieher müssen die Differenz dann aus dem Regelsatz selbst zahlen – die sogenannte „Wohnkostenlücke“, die sie finanziell stark belastet.

KdU: Jobcenter zahlt beim Bürgergeld 20 Prozent zu wenig für die Miete

Haushalte mit Wohnkostenlücke

HaushalteAnteilØ Lücke
2023320.00012,2 %103 €
2024339.00011,6 %118 €
Bundesweite Anzahl der Bürgergeld-Haushalte mit Wohnkostenlücke, Quelle: Berliner Mietverein

Mietschulden drohen

Die finanzielle Belastung durch die Wohnkostenlücke kann schnell zu Mietschulden führen – mit gravieredenden Folgen. Viele Vermieter verlangen bei der Wohnungsbewerbung eine Mietschuldenfreiheitsbescheinigung. Kann siewegen offener Forderungen nicht vorgelegt werden, scheitert die Wohnungssuche. Besonders dramatisch: Diese Mietschulden entstehen oft unmittelbar aus politischem Versagen. Fehlender sozialer Wohnungsbau und realitätsferne Mietobergrenzen drängen viele in eine Sackgasse – der Staat treibt die Mieten nach oben, statt sozialen Wohnraum zu fördern.

Häufig kommen zu den Mietschulden noch Stromschulden hinzu, da Stromkosten nicht als KdU gelten und ebenfalls aus dem Regelbedarf bestritten werden müssen – auch hier ist der vorgesehene Bedarf meist zu niedrig angesetzt.

Hürden beim Zuverdienst

Für viele Bürgergeld‑Empfänger wäre ein Hinzuverdienst theoretisch eine Entlastung. Doch die Hilfebedürftigkeit hat meist nachvollziehbare Gründe – sie resultiert nicht aus Faulheit oder mangelndem Willen, sondern aus realen Lebensumständen. Viele Betroffene haben gesundheitliche Einschränkungen, befinden sich in schwierigen familiären Situationen (etwa als pflegende Angehörige oder Alleinerziehende ohne bezahlbare Kinderbetreuung) oder sind aus Alters‑ und Qualifikationsgründen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Hinzu kommen strukturelle Probleme wie fehlende Arbeitsplätze oder unzureichende Integrationshilfen.

Für diese Menschen bleibt der Teufelskreis bestehen: steigende Mietschulden, keine Aussicht auf eine günstigere Wohnung und keinerlei Spielraum, der Abwärtsspirale zu entkommen. Hier geht es um systematische Hürden, nicht um individuelles Versagen.

Ruf nach Sozialbau

Die Lösung liegt letztlich bei der Politik. Ohne eine Anpassung der Mietobergrenzen an die realen Mietspiegel und eine massive Förderung des sozialen Wohnungsbaus wird sich die Lage für Bürgergeld‑Empfänger kaum verbessern. Der Staat trägt Verantwortung, die er nicht länger ignorieren kann – sonst bleibt das Bürgergeld ein System, das eigentlich Existenz sichern soll, Betroffene in der Praxis jedoch häufig in die Verschuldung treibt.