Behörden verstecken sich gerne mal hinter (Nicht-)Zuständigkeiten, was für Betroffene aber oft an die finanzielle Existenzgrenze mit all ihren Folgen geht. So auch in diesem Fall, bei dem das Jobcenter die Erwerbsfähigkeit eines Hilfebedürftigen anzweifelt. Dennoch wurde das Amt im Eilverfahren vom LSG Nordrhein-Westfalen dazu verdonnert, zumindest vorläufig Bürgergeld zu zahlen.
Bürgergeld beantragt
Zum Fall: Der seit vielen Jahren in Deutschland lebende Antragsteller stammt ursprünglich aus Italien, besitzt jedoch ein Daueraufenthaltsrecht, wodurch er grundsätzlich ein Anrecht auf Bürgergeld Leistungen hat. Da ihm zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes derzeit keinerlei Mittel zur Verfügung stehen, hat er beim Jobcenter einen Antrag auf Grundsicherung gestellt.
Jobcenter muss Bürgergeld auch bei vorrangigen Leistungen vorstrecken
Jobcenter lehnt Antrag ab
Reaktion des Jobcenters: Um über den Bürgergeld Antrag zu entscheiden, zog das Jobcenter ein arbeitsmedizinisches Gutachten der Bundesagentur für Arbeit heran. Darin wurde beschrieben, dass der Antragsteller nicht erwerbsfähig sei. Das Jobcenter schickte den Mann weiter an den Sozialhilfeträger der Stadt Herne – dort liegt die Zuständigkeit für Personen, die nicht erwerbsfähig sind. Aber: Auch der Sozialhilfeträger verweigerte dem Mann die existenzsichernden Leistungen.
Jobcenter handelt rechtswidrig
Das LSG Nordrhein-Westfalen befand im Eilverfahren, dass das Vorgehen des Jobcenters rechtswidrig war (L 9 SO 427/15 B ER). Die Begründung: Das Gericht gab dem Jobcenter zwar grundsätzlich Recht, dass Bürgergeld Leistungen die Erwerbsfähigkeit voraussetzen würden, doch habe das Jobcenter bis zur Feststellung einer Erwerbsunfähigkeit die Leistungen erst einmal zu zahlen.
Anhand dieser gesetzlichen Verpflichtung werde vermieden, dass Antragsteller, bei denen die Erwerbsfähigkeit noch nicht abschließend geklärt ist, zwischen die verschiedenen Antragsstellen geraten und letztlich von beiden Seiten – sowohl Jobcenter als auch Sozialamt – keine Leistungen erhalten. Ohne den Sozialhilfeträger hinzugezogen zu haben, dürfe das Jobcenter eine fehlende Erwerbsfähigkeit nicht annehmen.
Rente verspätet: Gericht schickt Rentner als Bittsteller zum Sozialamt
Ämter müssen zusammenarbeiten
Das Gericht ermahnte das Jobcenter, mit dem Sozialamt zusammenzuarbeiten. Das Jobcenter sei sogar verpflichtet, dem Sozialamt das arbeitsmedizinische Gutachten zu übersenden und in Erfahrung zu bringen, wie das Sozialamt die Erwerbstätigkeit der betreffenden Person einstuft. Es könne dem Sozialamt eine angebrachte Frist zur abschließenden Bewertung nennen. Sollte diese ohne eine Äußerung des Sozialamtes verstreichen, dürfe das Jobcenter Betroffenen die Bürgergeld Leistungen verweigern und sie an den Sozialhilfeträger weiterschicken. Den gesetzlichen Vorgaben folgend sei das Jobcenter im Zweifelsfall verpflichtet, ein über die Erwerbsfähigkeit bindendes Gutachten des Rentenversicherungsträgers anzufordern, so das LSG Nordrhein-Westfalen weiter.
Obwohl der Beschluss des LSG NRW schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, gilt sein Kern nach wie vor. Das Bundessozialgericht hat die Nahtlosigkeits-Logik inzwischen mehrfach bekräftigt – 2020 etwa mit dem Hinweis, dass Jobcenter sich nicht auf veraltete Gutachten stützen dürfen (B 14 AS 13/19 R) und 2024 mit der Klarstellung, dass auch nichterwerbsfähige Angehörige in einer Bedarfsgemeinschaft Anspruch auf Bürgergeld haben (B 7 AS 3/23 R). Solange die Erwerbsfähigkeit nicht endgültig feststeht, darf es also keine Leistungslücke geben – genau das zeigt der vorliegende Fall und bleibt heute uneingeschränkt gültig.