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Gerecht? Rente mit 70 trifft vor allem die Armen

Älterer, körperlich belasteter Arbeiter mit Schutzhelm reibt sich in einer Halle die Stirn, symbolisiert die Sorge vor der Rente mit 70 und die Belastung durch harte Arbeit.

Die Forderung nach der Rente mit 70 steht im Raum und wird von vielen als unumgänglich bezeichnet, um das Rentensystem stabil zu halten. Die Folgen eines solchen Schritts bleiben dabei meist unerwähnt, sind teils aber gravierend. Experten gehen davon aus, dass ein höheres Renteneintrittsalter die soziale Ungerechtigkeit fördern und der Gesundheit vor allem Armutsbetroffener schaden wird.

Grundsicherung im Alter zur Existenzsicherung

Dass immer mehr Rentner weiterhin arbeiten oder trotz 45 Jahren Maloche auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind, sollte eigentlich zum Nachdenken anregen. Doch eine prominente Lösung, die derzeit diskutiert wird, ist die Anhebung des Rentenalters – auf 70 Jahre.

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Viele sind jetzt schon am Limit – Die Realität des Rentenalters

Der Sozialverband VdK weist anhaltend darauf hin, dass die soziale Realität der Forderung nach der Rente mit 70 widerspricht. Experten des Verbands betonen, dass schon das derzeit steigende Regelalter (aktuell 66 Jahre und 4 Monate für 1960 Geborene) viele Beschäftigte überfordert. Vor allem Menschen in körperlich und/oder psychisch stark belastenden Berufen – wie Dachdecker, Paketboten oder Pflegekräfte – schaffen es schlichtweg nicht, bis zum abschlagsfreien Renteneintritt zu arbeiten und müssen Abschläge in Kauf nehmen. Die Rente mit 70 würde diese Ungerechtigkeit massiv verschärfen.“

Geringverdiener gehen früher in Rente

Es seien vor allem Geringverdiener, die Abschläge bei der Rente in Kauf nehmen müssten. Und die Statistik verweise noch auf einen weiteren Aspekt: Arbeiter hätten eine um vier Jahre geringere Lebenserwartung als Beamte und reiche Rentner lebten fünf Jahre länger als arme Senioren. Damit werde die geringe Rente auch kürzere Zeit bezogen.

Rentenkürzung durch die Hintertür

Vor der Gefahr der größeren sozialen Ungerechtigkeit warnte Philipp Frey vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe). Er sieht die Rente mit 70 als de facto „eine Rentenkürzung durch die Hintertür“. Dieses Argument gilt unverändert: Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht bis 70 durchhalten kann, muss hohe Abschläge in Kauf nehmen. Leidtragende sind dabei vor allem Menschen mit kleinen Gehältern, deren Rest-Lebenserwartung ohnehin oft geringer ist als die von Besserverdienenden.“

Die gesundheitlichen Folgen

Die finanziellen Folgen der Rente mit 70 sind ein Aspekt. Nicht minder wichtig ist der Blick auf die gesundheitlichen Konsequenzen. Aktuelle Daten, die die gesundheitlichen Konsequenzen einer weiteren Anhebung des Rentenalters direkt abbilden, sind weiterhin Mangelware. Die oft zitierte Analyse vom DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) aus dem Jahr 2022 zur Rentenreform von 1999 (Anhebung des Renteneintrittsalters von Frauen von 60 auf 63 Jahre) behält daher ihre Relevanz in der aktuellen Diskussion.

Höheres Sterberisiko

Drei Jahre länger arbeiten zu müssen, sorgte für eine deutliche Zunahme bei psychischen Erkrankungen, Übergewicht und Problemen mit dem Muskel-Skelett-System. Besserungen habe es keine gegeben. Ähnliche Ergebnisse zeigen eine Studie aus Spanien. Sie belegt: Wer später in Rente geht, lebt im Mittel kürzer. Das Sterberisiko steige bereits bei einem Jahr mehr Arbeitszeit um 4,2 Prozentpunkte. Menschen, die eher gering qualifizierten oder körperlich und seelisch herausfordernden Arbeiten nachgingen, seien hiervon besonders betroffen.

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Scheindebatte und echte Aternativen

Philipp Frey bezeichnet die Diskussion um die Rente mit 70 weiterhin als „Scheindebatte“, da es „eine Menge Möglichkeiten [gibt], wo man nur ein bisschen Grips reinstecken muss, um das Potenzial für den Arbeitsmarkt zu heben.

Dies zeigt sich auch in der aktuellen Politik: Statt einer generellen Anhebung des Rentenalters setzt die Regierung auf Anreize wie die Aktivrente (steuerfreier Zuverdienst für Rentner), um freiwilliges längeres Arbeiten zu fördern. Zudem wird die Forderung nach einer Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung (nach dem Vorbild Österreichs), um die Beitragsbasis zu verbreitern, unverändert von vielen Experten als solidere Grundlage für das Rentensystem genannt.