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Bürgergeld: Ablehnung von Beratungshilfe verfassungswidrig

Frau hält Hand ablehnend hoch

Die Ablehnung der Beratungshilfe für Bürgergeld Bedürftige in einem Widerspruchsverfahren gegen das Jobcenter verstößt gegen Artikel 3 i. V. m. Artikel 20 des Grundgesetzes und ist damit verfassungswidrig, so der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 2022.

Wegen Zweifel an der Richtigkeit seines Bescheides vom Jobcenter bat ein Bürgergeld Bedürftiger beim Amtsgericht Kaufbeuren um Beratungshilfe. Das Anliegen wurde dort aber gleich mehrfach verneint. Das Bundesverfassungsgericht rügte das Vorgehen. Demnach haben auch Personen in der Grundsicherung das Recht, sich anwaltlich beraten zu lassen, wenn der Sachverhalt so komplex ist, dass er das Verständnis eines Normalbürgers übersteigt.

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Verrechnung von Nebenkosten-Guthaben

Aus der Nebenkostenabrechnung 2019 ergab sich für den Kläger ein Guthaben. Dieses hätte im Juni 2020 komplett auf die damaligen Hartz IV Leistungen angerechnet werden müssen, wodurch der Mann jedoch komplett leer ausgegangen wäre. Daher wurde das Guthaben mit Jobcenter Bescheid vom 8. April 2021 auf sechs Monate aufgeteilt: 49,25 Euro monatlich von Juni bis November 2020.

Prüfung einer Rückforderung

Da das Jobcenter die Leistungen bereits ausgezahlt hatte, folgte am 8. April 2021 mit einem weiteren Bescheid eine Rückforderung in Höhe von 331,82 Euro. Um den Bescheid prüfen lassen zu können, wollte der Mann beim Amtsgericht Beratungshilfe beantragen.

Amtsgericht lehnt Hilfegesuch ab

Die zuständige Rechtspflegerin im Amtsgericht kam der Bitte nicht nach, weil es dem Kläger lediglich um eine pauschale Überprüfung des Bescheides gehe, ohne Anzeichen für eine konkrete Rechtsbeeinträchtigung. Bei weiteren Versuchen wurde beanstandet, es werde nicht konkret dargelegt, um welche Fehler im Bescheid es sich handele. Zudem hätte der Bürgergeld Bedürftige auch das Jobcenter um Hilfe bitten können. Dagegen legte der Mann Verfassungsbeschwerde ein.

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Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich

Dieser Beschwerde gab das Bundesverfassungsgericht statt. Die Entscheidungen des Amtsgerichtes verstießen gegen den Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit und seien damit verfassungswidrig. Die Basis für diesen Beschluss bildet Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“) in Verbindung mit Artikel 20 Absätze 1 und 3.

Verfahrensrechte effektiv ausüben

Laut den Karlsruher Richtern greife die Möglichkeit für Bürgergeld Bedürftige, Beratungshilfe in Anspruch zu nehmen, wenn sie selbst nicht zu einer effektiven Ausübung ihrer Verfahrensrechte in der Lage seien. Unbemittelte müssten dabei wie Bemittelte die entstehenden Kosten berücksichtigen und prüfen, ob fremde Hilfe zwingend nötig sei. Ein Verweis auf Selbsthilfe müsse vom Gericht im Einzelfall geprüft werden. Hier komme es darauf an, inwieweit der Sachverhalt schwierige Rechtsfragen aufwerfe.

Kein einfach gelagerter Fall

Der Bürgergeld Bescheid, der zur Verfassungsbeschwerde geführt hatte, wurde höchstrichterlich als „offenkundig nicht einfach gelagert“ gewertet. Gleichzeitig machten den Richter darauf aufmerksam, „dass die Aufteilung des Betriebskostenguthabens auf einen Zeitraum von sechs Monaten nicht zulässig war und nicht in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht (BSG, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 8/20 R)“.

Verweis an Jobcenter war falsch

Der Verweis an das Jobcenter, um dort Hilfe in Anspruch zu nehmen, sei falsch gewesen. Schließlich habe das Jobcenter den Bescheid erlassen. Auch eine mutwillige Rechtsverfolgung durch den Leistungsempfänger sei nicht zu erkennen. Er habe die Punkte aufgezeigt, bei denen er Zweifel gehabt habe.

BVerfG, 04.04.2022, Az. 1 BvR 1370/21

Titelbild: nialowwa / shutterstock

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