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Bürgergeld wird durch die Jobcenter-Richtwerte zur Schuldenfalle

eere Geldbörse über Rechnungen und Kreditkarte; symbolisiert Geldmangel und Schuldenfalle durch Bürgergeld-Richtwerte.

Die Grundsicherung Bürgergeld erfüllt aufgrund realitätsferner Angemessenheitsgrenzen (KdU-Richtwerte) der Jobcenter ihren eigentlichen Zweck nicht. Mehr als 339.000 Bedarfsgemeinschaften müssen die Differenz zur tatsächlichen Miete, die sogenannte „Wohnkostenlücke“ von durchschnittlich 118 Euro (Stand 2024), selbst aus dem Regelsatz finanzieren. Genau diese Lücke macht das Bürgergeld zur Schuldenfalle, da sie direkt in die Überschuldung führt und das verfassungsrechtliche Existenzminimum unterschreitet.

Warum sind die Angemessenheitsgrenzen für Wohnkosten (KdU) unrealistisch?

Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) werden im Bürgergeld-Bezug nur „in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind“ (§ 22 Abs. 1SGB II). Dieses System ist der Ausgangspunkt der Schuldenfalle, da die kommunalen Richtwerte die Realität der Mieten, insbesondere in Ballungszentren, ignoriert. Die Festlegung dieser Angemessenheitsgrenze ist der zentrale Schwachpunkt:

So hoch darf die Miete mit Bürgergeld sein

  1. Veraltete Mietspiegel: Kommunen stützen sich bei der Ermittlung der Richtwerte oft auf veraltete oder methodisch fehlerhafte „schlüssige Konzepte“ (lokale Mietspiegel). Diese hinken dem dynamischen Wohnungsmarkt, etwa in Berlin oder München, oft um Jahre hinterher.
  2. Fehlende Dynamisierung: Die kommunalen Obergrenzen werden nur zögerlich oder unzureichend an die explodierenden Mieten angepasst. Die Folge: Die vom Jobcenter akzeptierte Miete liegt systematisch unter der am Markt verlangten Miete.
  3. Heizkosten-Problem: Auch bei den Heizkosten entstehen Lücken. Das Jobcenter orientiert sich am bundesweiten Heizspiegel. Steigen die tatsächlichen Energiekosten (z.B. durch schlechte Gebäudedämmung), wird der übersteigende Betrag oft nicht übernommen.

Was passiert im Kostensenkungsverfahren und warum es scheitert

Wenn die Miete die kommunal festgelegte Obergrenze überschreitet (nach Ablauf der einjährigen Karenzzeit), beginnt meist das sogenannte Kostensenkungsverfahren:

  1. Aufforderung und Frist: Das Jobcenter fordert Leistungsempfänger formell zur Senkung der Kosten auf. Betroffene haben bis zu sechs Monate Zeit für einen Umzug oder eine Reduzierung der Wohnkosten.
  2. Kürzung als Konsequenz: Gelingt die Kostensenkung nicht und können keine nachweislichen, intensiven Bewerbungsbemühungen für eine neue Wohnung vorgelegt werden, kürzt das Amt die Leistungen.

Die bittere Realität: Auf angespannten Wohnungsmärkten ist dieser „Zwang zum Umzug“ praktisch unmöglich, da bezahlbarer, dem KdU-Richtwert entsprechender Wohnraum Mangelware ist. Die Suche scheitert zudem oft an der fehlenden Mietschuldenfreiheitsbescheinigung oder der Präferenz von Vermietern für einkommensstarke Mieter. Hier schlägt die Schuldenfalle erstmals zu.

Die „Wohnkostenlücke“: Wie Bürgergeld-Empfänger in die Verschuldung rutschen

Die Folge des Kostensenkungsverfahrens ist die Wohnkostenlücke. Die Betroffenen müssen die Differenz zwischen den tatsächlich gezahlten Kosten und der vom Jobcenter als „angemessen“ akzeptierten Summe aus dem Regelsatz (der für Lebensmittel, Kleidung etc. gedacht ist) bestreiten.

Entwicklung der Wohnkostenlücke im Bürgergeld (Quelle: Berliner Mietverein)
Zeitraum Betroffene Haushalte (Bedarfsgemeinschaften) Anteil an allen Haushalten Durchschnittliche Lücke pro Monat (Betroffene)
2023 320.000 12,2 % 103 €
2024 339.000 11,6 % 118 €

Diese Lücke von im Schnitt 118 € führt zur Unterschreitung des Existenzminimums und zur kumulierten Verschuldung. Oft kommen dazu noch Stromschulden, da die Stromkosten nicht als KdU gelten und der dafür vorgesehene Anteil im Regelsatz chronisch zu niedrig ist.

Jobcenter zahlt im Durchschnitt 116 € zu wenig für die Miete

Die doppelte Nullrunde (2025 & 2026) verschärft die Lage dramatisch

Ein weiterer Brandbeschleuniger für die „Schuldenfalle“ ist die Stagnation der Regelsätze. Die Nullrunde beim Bürgergeld für das Jahr 2025 ist bereits Realität, da die Regelsätze aufgrund der Berechnungsmethode und der gesunkenen Inflation im relevanten Beobachtungszeitraum nicht erhöht wurden. Auch für 2026 ist die Nullrunde bereits sicher.

Während die Inflation zwar sinkt, bedeutet dies nicht, dass die Preise wieder auf Vorkrisenniveau zurückfallen, sondern lediglich, dass sie langsamer steigen. Da der Regelsatz, aus dem die monatliche Wohnkostenlücke von durchschnittlich 118 € beglichen werden muss, nun zwei Jahre in Folge stagniert, fehlt den Betroffenen jeglicher Puffer. Die reale Kaufkraft des Regelsatzes sinkt dadurch dramatisch, was die Belastung durch steigende Dauerkosten für Miete, Lebensmittel und Strom massiv erhöht.

Systematische Hürden und der Teufelskreis der Armut

Ein Hinzuverdienst wird oft als Ausweg aus der Misere gesehen, doch für viele Bürgergeld-Bezieher scheitert dies nicht an mangelndem Willen, sondern an systematischen Hürden:

  • Gesundheitliche Einschränkungen: Viele sind aufgrund von Krankheit oder Behinderung nur eingeschränkt erwerbsfähig.
  • Betreuungsengpässe: Alleinerziehende oder pflegende Angehörige fehlen oft bezahlbare, flexible Kinderbetreuungs- oder Pflegestrukturen.
  • Alters- und Qualifikationsgründe: Ältere oder gering qualifizierte Personen haben es schwerer, im Wettbewerb um Arbeitsplätze zu bestehen.

Die Gleichzeitigkeit von geringem Regelsatz, steigender Wohnkostenlücke und struktureller Arbeitsmarkthindernisse zementiert den Teufelskreis aus Armut und Verschuldung.

Forderungen an die Politik: Nur eine Reform entschärft die Schuldenfalle

Die Ursache der Wohnkostenlücke liegt im politischen Versagen, insbesondere im Fehlen von bezahlbarem Wohnraum. Nur eine grundsätzliche Reform kann das System reparieren und verhindern, dass das Bürgergeld weiterhin zur Schuldenfalle wird. Kernforderungen zur Entschärfung der Schuldenfalle:

  1. Anpassung der Richtwerte: Die Mietobergrenzen müssen dynamisch und zeitnah an die tatsächlichen, aktuellen Mietspiegel angepasst werden. Rechtswidrige, zu niedrige „schlüssige Konzepte“ der Kommunen müssen korrigiert werden.
  2. Massive Wohnraumförderung: Eine bundesweite, soziale Wohnungsbauoffensive ist erforderlich. Solange das Defizit an Sozialwohnungen besteht, muss der Staat die realen, notwendigen Kosten anerkennen.
  3. Sozialwohnungen stets als angemessen: Sozialwohnungen sollten grundsätzlich und automatisch als angemessen im Sinne des $\S 22$ SGB II gelten.
  4. Härtefallregelung: Eine bundeseinheitliche Härtefallregelung muss Mietschulden im Vorfeld verhindern und in begründeten Fällen die tatsächlichen Kosten über der Obergrenze übernehmen, um Obdachlosigkeit zu vermeiden.

Schlusswort

Solange das Bürgergeld-System Bürger in die Verschuldung treibt, statt ihre Existenz zu sichern, bleibt es ein Instrument der Armutsverwaltung und nicht der Armutsbekämpfung. Die Verantwortung, diese Schuldenfalle zu entschärfen, liegt klar beim Staat.