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Bürgergeld Urteil zugunsten Wohnungsloser: Hostel statt Notunterkunft

Paar in einem Hostel

Das Jobcenter muss einem obdachlosen Paar im Bürgergeld Bezug die Kosten für ein Hostel bezahlen und darf nicht nur auf die Notunterkünfte der Stadt verweisen. Auch wenn es sich bei dem Urteil des Sozialgerichts Leipzig (Aktenzeichen S 9 AS 1774/23 ER vom 7. März 2024) um eine erstinstanzliche Entscheidung handelt, kommt es einer Lehrstunde gleich: Für mehr Menschlichkeit, die von der Ampel versprochene Augenhöhe beim Bürgergeld und die Verantwortung von Sachbearbeitern.

Jobcenter verweist auf Schlafplatz für Obdachlose

Der Fall: Ein Mann und eine Frau, beide drogenabhängig und wohnungslos, mussten beim Jobcenter Bürgergeld beantragen, zunächst ohne Unterkunftskosten. Mit Einbrechen des Winters und nach etlichen Versuchen, mithilfe von Sozialarbeiterinnen eine Wohnung zu finden, ziehen beide in ein Hostel für insgesamt 70 Euro am Tag inklusive Frühstück. Die Anträge der beiden Bürgergeld Bedürftigen, die Kosten zu tragen, wurden vom zuständigen Jobcenter umgehend abgelehnt. Stattdessen verwies man auf die Notunterkünfte.

Angemessen wären 450 Euro

Dagegen wehrten sich die wohnungslosen Bürgergeldempfänger erfolglos mit einem Widerspruch. Später beantragten sie einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Leipzig. Dort wurde der Fall gründlich unter die Lupe genommen – wobei vor allem das Jobcenter keine gute Figur machte. Denn anders als die Sozialarbeiterinnen hatten es die Sachbearbeiter nicht für nötig erachtet, außer dem Verweis auf die Notunterkunft Hilfen anzubieten. Stattdessen beharrte man auf der Obergrenze für angemessenen Wohnraum von 450 Euro.

Maßgeblich ist die konkrete Angemessenheit

Dass die Hostelkosten die abstrakte Angemessenheit deutlich überschreiten, war dem Gericht durchaus bewusst. Das Urteil basiert allerdings eher auf der konkreten Angemessenheit. Dabei beriefen sich die Richter auf die Ausführungen in § 22 Absatz 1 Satz 6 SGB II. Demnach müssen nach Ende der Karenzzeit – sechs Monate, in denen die Unterkunftskosten nicht geprüft werden – auch weiterhin höhere Kosten getragen werden, wenn es Bürgergeld Bedürftigen nicht möglich oder zumutbar ist, die Kosten zu senken.

Konkret gehe es darum, ob für die Antragsteller überhaupt Wohnungen verfügbar sind.

„Konkret angemessen ist die Miete für den günstigsten Wohnraum, der für den wohnungssuchenden Leistungsberechtigten tatsächlich zugängig ist“,

heißt es im Urteil.

Jobcenter-Argument nicht tragfähig

Als „nicht möglich“ bezeichnete das Sozialgericht Leipzig indes das Vorgehen des Jobcenters, Leistungsberechtigte auf die Option zu verweisen, ohne festen Wohnung zu leben und in einer Notunterkunft zu schlafen. Damit wären, so die Richter, die ausdifferenzierten Regeln zur abstrakten Angemessenheit hinfällig, weil dann alle Bürgergeldempfänger in Notunterkünften nächtigen müssten. Das Argument des Jobcenters sei insofern nicht tragfähig.

Gefährdung der Therapie

Zu diesem Urteil trägt bei, dass die beiden Bürgergeld Bedürftigen mit der Obdachlosigkeit ihre Therapie gefährden würden. Beide seien seit einem Jahr in Behandlung und abstinent. Bei der Wohnungssuche auf günstigeren Wohnraum in einer anderen Stadt zu verweisen, sei schon deshalb unangebracht, weil damit der Therapieerfolg gefährdet würde. Dass die Therapie fortgesetzt werde, entspreche dem Zweck des SGB II. Die Grundsicherung soll es Leistungsberechtigten ermöglichen,

„ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht“.

Ferner gehe es darum, die Eigenverantwortung zu stärken.

Keine Hilfe vom Amt

Beide Bürgergeld Bedürftige hatten glaubhaft vermittelt, schnellstmöglich arbeiten zu wollen, und eine „Grundeinstellung erkennen lassen, die dem Gesetzeszweck entspricht“. Auch das Bemühen um eine eigene Wohnung sei von den Sozialarbeiterinnen bestätigt worden. Sie hatten für das Paar, das selbst weder Telefon noch Internetzugang hat, Suchanfragen in Onlineportale eingestellt, im regelmäßigen Turnus Angebote eingeholt und mit Wohnungsgesellschaften telefoniert. Aufgrund der Umstände hatten sie jedoch keine Chance.

Dem Jobcenter warf das Sozialgericht vor, nicht unterstützend eingegriffen zu haben – zumal es sich nicht um einen Normalfall handele. Das Jobcenter hätte glaubhaft kommunizieren müssen, dass die Kosten – auch wenn sie nicht angemessen sind – anerkannt werden, um die Unterbringung im Hostel zu vermeiden.

Kurzum: Die Kosten für das Hostel sind laut Sozialgericht Leipzig angemessen und müssen, zeitlich begrenzt auf den Bewilligungszeitraum für das Bürgergeld, übernommen werden.

Bild: Antonio Guillem/ shutterstock

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