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Bürgergeld-Urteil: Jobcenter verletzt Grundgesetz und Benachteiligungsverbot

Wütender Richter mit kritischem Blick und Richterhammer

Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Verletzung des Grundgesetzes. Das Urteil gegen das Jobcenter team.arbeit.hamburg hätte deutlicher nicht ausfallen können. Weil die Mitarbeiter dem Wunsch eines blinden Bürgergeld Empfängers nach barrierefreier Kommunikation per E-Mail nicht nachkommen wollten, wurde das Sozialgericht Hamburg eingeschaltet. Dort ließ man keinen Zweifel daran, dass die Verantwortlichen des Jobcenters ihren gesetzlichen Pflichten nicht nachgekommen sind.

Bitte um Versand als PDF

Die Vorgeschichte: Der Kläger ist blind. Da er die Schreiben des Jobcenters nicht selbst lesen könne und immer auf eine Vorlesekraft angewiesen sei, bat er um die Zusendung aller Briefe und Bescheide seit dem 11. Dezember 2019 als PDF. Dieses Format könne er am Computer in Dokumente mit Braille-Schrift umwandeln.

Jobcenter beruft sich auf Datenschutz

Das Jobcenter reagiert auf die Bitte mit einer Absage und berief sich dabei auf Gründe des Datenschutzes. Der Versand der Dokumente als PDF sei nur über verschlüsselte E-Mails möglich, für die ein Zertifikat nötig sei. Als Alternative verwies man auf die Möglichkeiten, die das jobcenter.digital seinerzeit bot.

Jobcenter benachteiligt blinden Bürgergeld Bedürftigen

Andere Behörden reagieren freundlich

Auch in einem persönlichen Gespräch konnte keine einvernehmliche Lösung gefunden werden. Weitere Nachfragen, teils mit Verweis auf das Hamburgische Behindertengleichstellungsgesetz, wurden seitens des Jobcenters ebenfalls abschlägig beantwortet. Deutlich besser lief eine Anfrage für eine Rentenauskunft, zu der das Jobcenter den Bürgergeld-Bedürftigen aufgefordert hatte. Die zuständige Behörde betonte in ihrem Antwortschreiben, sie komme der Bitte um eine barrierefreie Kommunikation gerne nach.

Verletzung des Benachteiligungsverbots

Der Bürgergeldempfänger klagte schließlich vor dem Sozialgericht Hamburg gegen das Jobcenter und bekam recht. Das Jobcenter habe nicht nachweisen können, eine datenschutzrechtliche Abwägung nach der Datenschutzgrundverordnung vorgenommen zu haben. Ferner

„verletzt der Beklagte – ohne sich damit angemessen auseinanderzusetzen – das verfassungsrechtlich verankerte und sowohl landes- als auch bundesrechtlich ausgeformte Benachteiligungsverbot von Menschen mit Behinderung in erheblicher Weise“.

Verfassungsrechtlicher Schutzauftrag

Das Sozialgericht betonte, es leuchte nicht ein, weshalb der Datenschutz dem Recht, nicht benachteiligt zu werden, übergeordnet sein soll – zumal der Bürgergeld Bedürftige der unverschlüsselten Übermittlung der Daten zugestimmt habe. Pauschal Datenschutz und Weisungen vorzubringen, dass es nicht möglich sei, Bescheide unverschlüsselt und barrierefrei zu übermitteln, zeige,

„dass der Beklagte seinen verfassungsrechtlichen Schutzauftrag aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG (…) in besonderem Maße verletzt“.

Rundschreiben nicht gelesen

Dabei verweist das Gericht auch auf den Umstand, dass andere Behörden offenbar kein Problem damit haben, die Informationen und Schreiben entsprechend den Wünschen des Bürgergeld-Bedürftigen zu versenden. Und: In einem Rundschreiben vom 16. Dezember 2022 zum Thema Datenschutz in den Jobcentern werde die Möglichkeit eingeräumt, bei ausdrücklichem Kundenwunsch auch eine unverschlüsselte E-Mail-Kommunikation zu ermöglichen.

Wo bleibt die Augenhöhe?

Besonders ärgerlich ist dieser Streit angesichts der Tatsache, dass die Ampelregierung eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe verspricht und sich mehr um die Digitalisierung bemühen möchte. Von beidem ist hier wenig zu spüren.

Sozialgerichts Hamburg, Az.: S 39 AS 517/23 vom 30.06.2023

Bild: TSViPhoto/ shutterstock.com