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Bürgergeld Urteil: Angemessene Wohnkosten müssen Wohnungsmarkt repräsentativ abbilden

Wohnblock Berlin KdU Bürgergeld

Von Bürgergeld Bedürftigen wird erwartet, bei der Wohnungssuche nach jedem noch so kleinen Strohhalm zu greifen. Sie müssen den gesamten Wohnungsmarkt in die Suche einbeziehen. Geht es indes um die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU), machen es sich Jobcenter gerne leicht. Statt den Markt repräsentativ zu sondieren, wird teils nur auf die Daten weniger institutioneller Vermieter zurückgegriffen. Ein solches Konzept ist laut Urteil des hessischen Landessozialgerichts jedoch nicht schlüssig und daher unwirksam.

Regelmäßiger Streit über die KdU

Darüber, ob eine Wohnung zu groß oder zu teuer ist, wird beim Bürgergeld ständig gestritten. Ausschlaggebend dabei sind viele Aspekte. Während einige Gerichte darauf abstellen, dass die als angemessen geltenden Wohnungen auch tatsächlich verfügbar sein müssen, schauen andere eher auf das Konzept der Jobcenter hinsichtlich der Angemessenheit. In dem Fall, der zunächst vor dem Sozialgericht Gießen und dann vor dem hessischen Landessozialgericht verhandelt wurde, stammte das Konzept von einem Dienstleister.

Wohnung zu teuer

Geklagt hatte eine Frau, deren 60,16 Quadratmeter große Wohnung 302,60 Euro Grundmiete, 104 Euro kalte Betriebskosten (brutto kalt: 406,60 Euro) und 59 Euro für die Heizung kostete. Im Mai 2013 teilte das Jobcenter mit, angemessen seien lediglich 304,72 Euro Bruttokaltmiete. Es wurde ein Kostensenkungsverfahren eingeleitet, mit Hinweis, dass insbesondere ein Umzug in Betracht gezogen werden müsse.

Jobcenter zahlt nur angemessene Kosten

Da die Frau zunächst keine günstigere Wohnung fand, wurden für die Zeit von Januar bis Mai 2014 nicht die tatsächlichen, sondern nur die angemessenen Kosten für die Unterkunft gezahlt. Die Heizkosten waren unstrittig. Dagegen klagte die Hartz-IV-Empfängerin (heute Bürgergeld). Das Sozialgericht forderte das Jobcenter auf, die vollen Kosten zu tragen, weil keine konkrete Unangemessenheit vorliege und die Frau sich ausreichend bemüht hatte.

Bereits in der Verhandlung vor dem Sozialgericht wurde das Konzept zur Angemessenheit auseinandergenommen, allerdings nicht beanstandet. Anders beim LSG, das Klartext sprach.

Komplexes Berechnungsverfahren

Um den angemessenen Umfang der Aufwendungen zu ermitteln, seien zwei Schritte erforderlich.

  1. Die abstrakt angemessenen Aufwendungen ermitteln.
  2. Diesen Wert mit den tatsächlichen Ausgaben vergleichen und die subjektive Angemessenheit prüfen, auch mit Blick auf die Zumutbarkeit von Einsparungen.

Wohnungsgröße, Standard, Miete, kalte Nebenkosten

Der erste Aspekt setze voraus, dass die angemessene Wohnungsgröße (im vorliegenden Fall 45 Quadratmeter) und die angemessenen Wohnungsstandards (einfach, im unteren Marktsegment) bestimmt werden, die Nettokaltmiete im maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum ermittelt werde und kalten Nebenkosten einbezogen werden. Das größte Problem dabei, an dem letztlich auch das Jobcenter scheiterte: die Nettokaltmiete und der Vergleichsraum. Hier mangelte es aus Sicht des Gerichtes an einem schlüssigen Konzept.

Der räumliche Vergleichsmaßstab

Während das Bundessozialgericht bereits mehrfach das Stadtgebiet – auch bei kleinen Gemeinden – als räumlichen Vergleichsmaßstab festgelegt hat, wurden vom Dienstleister des Jobcenters innerhalb der Stadt Wohnungsmarkttypen mit unterschiedlichen Angemessenheitsgrenzen definiert. Dafür gebe es keine rechtliche Begründung.

Mangelhafte Kalkulation

Doch auch das überarbeitete Konzept, wonach 333,50 Euro angemessen gewesen wären, entsprach nicht den gesetzlichen Vorgaben: Es war nicht repräsentativ. Warum nicht? Weil von 7.433 Mietwerten nur 1,4 Prozent von privaten Vermietern stammten und 7.328 von institutionellen Anbietern. Dabei stellen private Vermieter in der Region des Jobcenters 60 Prozent der Wohnungen. Deshalb sei, so der Dienstleister, ein Gewichtungsverfahren zum Einsatz gekommen.

Daran hegten die Richter allerdings Zweifel. Ein solches Verfahren sei nicht erkennbar, auch sei nicht auf die Kaltmieten von privaten und institutionellen Vermietern eingegangen worden. Das Landessozialgericht bemängelte konkret das

„Auseinanderfallen von Realität und vorhandenen Daten“.

Daher wurde zur Bestimmung der Angemessenheit auf die Wohngeldwerte plus zehn Prozent zurückgegriffen. Demnach hätte die Frau Anspruch auf 363 Euro gehabt – und damit nach wie vor einen Teil selbst bezahlen müssen. Inzwischen hat sie eine kleinere Wohnung.

Verfahrensgang:

  • Sozialgericht Gießen, Aktenzeichen S 25 AS 225/14 vom 27. Januar 2016.
  • Hessisches Landessozialgericht, Aktenzeichen L 9 AS 138/19 vom 23. Februar 2024.

Eine Revision wurde nicht zugelassen.

Bild: Lieblingsbuerger/ shutterstock