„Geh‘ doch einfach arbeiten“, lautet einer der „gut gemeinten“ Ratschläge, mit denen sich viele Bürgergeld Bedürftige ständig konfrontiert sehen. Dabei wird leider übersehen, dass Jobs nicht auf Bäumen wachsen und oft auch nur der Mindestlohn gezahlt wird. Und genau da fängt das Dilemma an: In vielen Regionen reicht das Geld nicht zum Leben und man muss trotz Vollzeitjob mit Bürgergeld aufstocken.
Kostenfaktor Wohnen und Heizen
Das größte Problem, mit dem nicht nur Bürgergeld-Empfänger, sondern die meisten Haushalte zu kämpfen haben, sind die enorm hohen Kosten für Wohnen und Heizen. Laut einer Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung in 2024 waren die Ausgaben in 269 Landkreisen und kreisfreien Städten so hoch, dass der Mindestlohn sie nicht deckt.
602 Euro Bürgergeld bei Anlehnung an Mindestlohn
Maximal 620 Euro zum Wohnen
Wie stark sich das auswirkt, zeigt unsere Beispielrechnung mit Zahlen aus der Praxis: Ein alleinstehender Arbeitnehmer ohne Kinder, der 37,5 Stunden pro Woche zum aktuellen Mindestlohn von 12,82 Euro arbeitet, verdient rund 2.100 Euro brutto (ca. 1.530 Euro netto) im Monat. Damit darf seine Wohnung inklusive Heizkosten rechnerisch höchstens 619 Euro kosten. Liegen die Wohnkosten darüber, besteht bereits ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch das Jobcenter – kurz: Aufstocken mit Bürgergeld.
Ob das monatliche Einkommen reicht oder das Jobcenter einspringen muss, hängt somit entscheidend von den Wohnkosten ab. Zur Orientierung zeigen wir die durchschnittlichen Warmmieten für 50 m² Wohnungen in Deutschlands größten Städten – jeweils im Mittelwert und in günstigeren Stadtteilen. Die Werte basieren auf eigenen Berechnungen anhand aktueller Mietspiegel und Daten zu Heiz- und Nebenkosten.
Stadt | ø Monat (allgemein) | ø Monat (günstigere Lage) |
---|---|---|
Berlin | 939,50 € | 754,00 € |
Hamburg | 939,00 € | 766,50 € |
München | 1.137,50 € | 921,00 € |
Köln | 887,00 € | 718,50 € |
Frankfurt am Main | 988,50 € | 803,50 € |
Düsseldorf | 911,00 € | 722,50 € |
Stuttgart | 961,50 € | 780,00 € |
Leipzig | 763,50 € | 590,50 € |
Dortmund | 663,50 € | 545,00 € |
Essen | 672,00 € | 556,50 € |
Bremen | 785,00 € | 625,00 € |
Dresden | 735,50 € | 582,00 € |
Hannover | 781,00 € | 622,50 € |
Nürnberg | 878,00 € | 689,50 € |
Duisburg | 580,00 € | 484,50 € |
Bochum | 645,50 € | 534,50 € |
Wuppertal | 627,50 € | 520,50 € |
Bielefeld | 676,50 € | 550,00 € |
Mannheim | 791,00 € | 654,00 € |
Gelsenkirchen | 529,00 € | 444,00 € |
Tausende betroffen
Die aktuell verfügbaren Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen: Im Dezember 2024 waren rund 1,2 Millionen alleinstehende Bürgergeld-Beziehende – sogenannte Single-Bedarfsgemeinschaften – registriert. Ihre durchschnittlichen Kosten der Unterkunft (KdU) lagen bei 488 Euro pro Monat. Dieser Wert liegt zwar unter der rechnerischen Belastungsgrenze von 619 Euro aus dem obigen Beispiel – doch als Durchschnitt verdeckt er die Spannbreite: Während viele in günstigen Regionen deutlich weniger zahlen, müssen in teuren Städten tausende Haushalte teils erheblich mehr stemmen. Wie viele genau betroffen sind, geht aus den amtlichen Daten nicht hervor – doch statistisch ist klar: Ohne Ausreißer nach oben wäre der Durchschnitt nicht bei 488 Euro.
Höherer Mindestlohn notwendig
Zäumt man das Pferd von der anderen Seite auf und schaut, welcher Mindestlohn nötig wäre, um nicht länger auf Bürgergeld angewiesen zu sein, ergeben sich regional deutliche Unterschiede. In Hamburg müssten es laut Berechnungen des Bundesregierung mindestens etwa 14,00 Euro sein, in Berlin rund 13,20 Euro und insbesondere in Köln, Düsseldorf und Stuttgart ebenfalls deutlich über 14,00 Euro (Stand 2024).
Mindestlohn Erhöhung 2025
Zum 1. Januar 2025 wurde ja der gesetzliche Mindestlohn von zuvor 12,41 Euro auf 12,82 Euro pro Stunde angehoben. Was auf den ersten Blick wie eine Entlastung für Geringverdiener wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Mogelpackung. Denn von dieser Mindestlohn-Erhöhung profitieren vor allem die Jobcenter – nicht die Beschäftigten selbst.
Der Grund: Wer trotz Vollzeitjob so wenig verdient, dass er mit Bürgergeld aufstocken muss, bekommt das Mehr an Lohn gleich wieder vom Regelsatz abgezogen. Denn durch die Anrechnung des Einkommens wird das Bürgergeld entsprechend gekürzt. Was netto mehr im Portemonnaie landet, wird bei der Berechnung der Leistungen angerechnet – am Lebensstandard der Betroffenen ändert das nichts.
Die Folge: Mehr Arbeit, aber nicht automatisch mehr Geld zum Leben. Die Erhöhung des Mindestlohns sorgt zwar dafür, dass die Jobcenter etwas weniger auszahlen müssen – der Druck, mit dem Existenzminimum haushalten zu müssen, bleibt für viele Erwerbstätige bestehen. Von echter Entlastung kann also keine Rede sein.
15 Euro Mindestlohn geplant
Die Diskussion über eine Anhebung auf 15 Euro läuft – und ist längst überfällig. Zwar ist noch nichts beschlossen, doch die SPD hat bereits angekündigt, notfalls per Gesetz durchzugreifen, falls sich die Mindestlohnkommission querstellt. Klar ist: Ein existenzsichernder Lohn wäre das Mindestmaß – nicht die Ausnahme.