Die Debatte klingt vertraut: „Lohnt sich Arbeiten noch?“ Eine neue Analyse des WSI (Hans-Böckler-Stiftung) hat typische Haushaltssituationen und Regionen mit dem Mindestlohn durchgerechnet – mit Steuern, Sozialabgaben, Mieten und allen relevanten Zuschüssen. Das Ergebnis ist eindeutig: In allen geprüften Fällen bringt Arbeit mehr verfügbares Einkommen als Bürgergeld allein.
Wie das WSI rechnet
Ausgangspunkt ist eine Vollzeitstelle mit 38,19 Wochenstunden zum gesetzlichen Mindestlohn von 12,82 €. Das entspricht 2.121,58 € brutto im Monat. Davon werden Steuern sowie Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung (Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) abgezogen. Bei Paaren unterstellt die Studie eine gemeinsame Veranlagung zur Einkommensteuer (Ehegattensplitting). Hinzu kommen Sozialleistungen als Zuschüsse, die realistisch zustehen:
- 255 € Kindergeld pro Kind
- bis zu 297 € Kinderzuschlag pro Kind (inkl. 25 € Sofortzuschlag)
- bis zu 1.371 € Wohngeld (bei 4-Personen-Haushalt)
- bis zu 394 € Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende
Für das Bürgergeld summiert das WSI die Regelbedarfe und eventuelle Mehrbedarfe pro Person sowie die anerkannten Wohnkosten für den gesamten Haushalt (Kaltmiete plus angemessene Heiz- und Betriebskosten, Strom ist im Regelsatz enthalten). Nach Ablauf der Karenzzeit wird die angemessene Miete angesetzt. Grundlage sind jedoch nicht pauschale Richtwerte, sondern die tatsächlich anerkannten KdU aus der Jobcenter-Statistik.
Bürgergeld für Alleinstehende – So viel zahlt das Jobcenter
Methodik Hinweis:
- Verglichen werden monatlich verfügbare Einkommen nach Lohnsteuerlogik und Sozialbeiträgen. Transfers wie Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld sind einbezogen. Darstellung in Monatswerten, keine Jahresveranlagung/ Einzelfallabrechnung.
- Werbungskosten werden nur pauschal berücksichtigt (Arbeitnehmer-Pauschbetrag: 1.230 € pro Jahr, ca. 102,50 € pro Monat im Lohnsteuerabzug).
- Individuelle berufliche Ausgaben oberhalb der Pauschale (z. B. Fahrtkosten, Arbeitsmittel, Berufskleidung, Kinderbetreuung, doppelte Haushaltsführung etc.) bleiben unberücksichtigt. Das tatsächlich verfügbare Monatsbudget aus Erwerbsarbeit kann daher niedriger ausfallen.
- Mögliche Folgewirkung: Ein niedrigeres Nettoeinkommen kann Wohngeld und ggf. Kinderzuschlag erhöhen. Die konkrete Höhe hängt u. a. von lokalen Miet- und Heizkosten ab.
Mit Zuschüssen für Erwerbstätige: Deutlicher Vorteil
| Haushaltstyp | Einkommen mit Arbeit | Einkommen mit Bürgergeld | Differenz |
|---|---|---|---|
| Single | 1.572 € (inkl. Wohngeld 26 €) | 1.015 € | + 557 € |
| Alleinerziehend, 1 Kind (5 Jahre) | 2.532 € (inkl. Kindergeld 255 €, Kinderzuschlag 193 €, Unterhaltsvorschuss 227 €, Wohngeld 221 €) | 1.783 € | + 749 € |
| Familie mit 2 Kindern (5 und 14 Jahre) | 3.414 € (inkl. Kindergeld 510 €, Kinderzuschlag 594 €, Wohngeld 628 €) | 2.754 € | + 660 € |
Zur Einordnung
- Single: Abstand entsteht praktisch ohne Transfers (Wohngeld nur 26 €).
- Alleinerziehend: Von +749 € beruhen 193 € (KiZ) + 221 € (Wohngeld) auf Sozialleistungen, „bereinigt“ bleiben 335 € Abstand.
- Familie: Ohne KiZ (594 €) + Wohngeld (628 €) läge das verfügbare Einkommen unter dem Bürgergeld-Niveau (3.414 € − 1.222 € < 2.754 €). KiZ und Wohngeld sind bewusst so ausgestaltet, dass arbeitende Familien nicht in SGB II rutschen – dadurch bleibt der Lohnabstand bestehen.
Was die Unterschiede ausmacht
Der Abstand wird kleiner, je höher die Mieten sind – denn dann steigen die erstatteten Wohnkosten (KdU) im Bürgergeld. Im Osten (inkl. Berlin) liegt der durchschnittliche Abstand bei 570 €, im Westen bei 549 €. Geringe Wohnkosten erhöhen den Abstand, hohe drücken ihn. Extrembeispiele (Single, Vollzeit, bundesweit):
- Kleinster Lohnabstand: Landkreis München 379 €, Dachau 438 €, Stadt München 444 €.
- Größter Lohnabstand: Nordhausen 662 €, Vogtlandkreis 652 €.
Mieten-Check: Sind die angesetzten Werte realistisch?
Die Studie prüft ihre Mietannahmen selbst. Dafür wurden in drei Städten (München, Berlin, Leipzig) die tatsächlich anerkannten Mieten der Jobcenter ausgewertet und mit einfachen Kennzahlen verglichen: häufigste Miete, mittlere Miete und Durchschnitt. Ergebnis: Der verwendete Durchschnitt liegt nicht zu niedrig – er passt gut zu den real bewilligten Beträgen.
So hoch darf die Miete mit Bürgergeld sein
Wichtig: Die oft zitierte „angemessene Miete“ ist eher ein Obergrenzen-Richtwert. Sie liegt teilweise deutlich über dem, was Jobcenter tatsächlich bewilligen. Würde man damit rechnen, sähe das Bürgergeld künstlich höher aus als in der Praxis. Darum arbeitet die Studie mit echten, anerkannten Mieten statt mit Obergrenzen.
Was unterm Strich bleibt
Die WSI-Zahlen zeigen klar: Auch im Niedriglohnbereich mit Mindestlohn lohnt sich Arbeit – zumindest finanziell – in allen untersuchten Konstellationen und Regionen. Der entscheidende Punkt ist dabei nicht allein der Bruttolohn, sondern die Kombination aus Einkommen aus dem Job und gezielten Zuschüssen wie Kinderzuschlag und Wohngeld. Diese sollen sicherstellen, dass Erwerbstätige nicht auf Grundsicherung angewiesen sind – und dass sich Arbeit gegenüber Bürgergeld rechnet.


