Das Bundessozialgericht entschied, dass Jobcenter von Bürgergeld-Empfängern nicht verlangen können, einen Dispokredit zur Deckung ihres Lebensunterhalts zu nutzen und dadurch neue Schulden zu machen. Solche Kredite stellen keine „bereiten Mittel“ dar und dürfen nicht als verfügbares Einkommen angerechnet werden.
Steuererstattung als Einkommen berücksichtigt
Ein alleinerziehender Vater aus Nordrhein-Westfalen erhielt im Jahr 2016 eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 2.382,92 Euro. Das Jobcenter wertete diese einmalige Steuererstattung prompt als verfügbares Einkommen. Verteilt auf sechs Monate wurden vom Jobcenter monatlich 397,15 Euro abzüglich 30 Euro Versicherungspauschale leistungsmindernd auf die damaligen Hartz IV Leistungen angerechnet. Das Problem: Das Konto des Klägers war überzogen und wies trotz der Steuergutschrift einen Kontostand von -356,92 Euro auf.
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Die Erstattung des Finanzamtes tilgte lediglich den Dispokredit, für den die Bank immerhin stolze 12,55% Zinsen berechnete. Ein Guthaben zur Bestreitung des Lebensunterhalt hat sich nicht ergeben. Diesen Umstand wollte der Alleinerziehende nicht hinnehmen und legte Widerspruch ein, doch das Jobcenter hielt an der Einkommensanrechnung fest. Also musste ein Gericht entscheiden.
LSG: Dispokredit keine „bereiten Mittel“
Das Sozialgericht Gelsenkirchen in erster Instanz wies die Klage. Das LSG Nordrhein-Westfalen hingegen entschied in zweiter Instanz, dass dem Kläger höhere als die letztendlich festgesetzten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustehen. Das Argument des Jobcenters, der Kläger hätte den Rahmen seines Dispokredits weiter ausnutzen können, um seinen Bedarf zu decken, sei hinfällig:
Ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter könne nicht auf die Inanspruchnahme eines Dispositionskredits mit erhöhter Zinsbelastung aufgrund einer fortbestehenden Kontokorrentabrede zur Bestreitung seines Lebensunterhalts als „bereites Mittel“ verwiesen werden, wenn er zuvor zugeflossenes Einkommen zur Rückführung des Solls auf diesem Konto verwandt habe.
Bürgergeld: Kredit ist kein anrechenbares Einkommen
BSG schafft Klarheit
Dieser Argumentation folgte auch das Bundessozialgericht als letzte Instanz in seinem Urteil und wies damit die Revision des Jobcenters zurück. Grundsätzlich stelle eine Steuererstattung zwar anzurechnendes Einkommen gemäß § 11 SGB II dar, allerdings stand die Rückzahlung dem alleinerziehendem Vater nie als „bereites Mittel“ zur Verfügung – die Rückzahlung glich nach der Überweisung automatisch den Dispokredit aus und konnte so nie verwendet werden, um den Bedarf der Familie zu decken:
Es fehlte an einer tatsächlichen Verfügbarkeit des Wertzuwachses, weil der Kläger nicht mehr auf den im März 2016 seinem Konto gutgeschriebenen Betrag in Höhe von 2.382,92 Euro im Sinne eines tatsächlich vorhandenen „aktiven Guthabens“ zurückgreifen konnte
Trotz der Annahme des Jobcenters die „Inanspruchnahme eines Dispositionskredits für die tägliche Lebensführung sei lebensnah und treffe auf eine Vielzahl von Menschen zu“, war der Leistungsempfänger nicht verpflichtet, zur Deckung seines Bedarfs neue Schulden zu machen. Das Jobcenter dürfe die Steuererstattung in diesem Fall also nicht als verfügbares Einkommen leistungsmindernd anrechnen.
Alle Instanzen:
BSG, 24.06.2020, Az. B 4 AS 9/20 R
LSG Nordrhein-Westfalen, 12.09.2019, Az. L 19 AS 1034/18
SG Gelsenkirchen, 14.06.2018, Az. S 33 AS 646/17
Titelbil: Bjoern Wylezich / shutterstock