Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland wird erneut kräftig angehoben. Die unabhängige Mindestlohnkommission hat am 27. Juni 2025 beschlossen, die Lohnuntergrenze von derzeit 12,82 Euro zunächst zum 1. Januar 2026 auf 13,90 Euro und ein Jahr später auf 14,60 Euro zu erhöhen – in Summe ein Plus von fast 14 Prozent. Die Bundesregierung will die Empfehlung – wie gesetzlich vorgesehen – per Rechtsverordnung umsetzen.
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Kompromiss nach „sehr schwierigen Gesprächen“
Kommissionsvorsitzende Christiane Schönefeld sprach von einem „tragfähigen Kompromiss“, der Beschäftigte schütze, aber zugleich die aktuell angespannte Lage vieler Betriebe berücksichtige. Besonders der offene Druck aus der Politik habe „sehr schwierige Gespräche“ zusätzlich erschwert, sagte sie bei der Vorstellung des Beschlusses.
Bürgergeld trotz Arbeit – mehr als 825.000 müssen aufstocken
Keine 15 Euro – SPD schluckt Niederlage
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) lobte die Einigung als „ordentliche Lohnsteigerung“ und betonte, das Plus bedeute „für Millionen Menschen mehr Geld im Portemonnaie“. Zugleich musste die SPD ein zentrales Wahlversprechen kassieren: den Mindestlohn bereits 2026 auf 15 Euro zu heben. Noch im Frühjahr hatte SPD-Chef Lars Klingbeil den Wert als „erreichbar“ bezeichnet – nun bleibt man auch 2027 darunter.
Wirtschaft befürchtet Stellenabbau
Die Arbeitgeberseite reagierte frostig. Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, beklagte „enormen politischen Druck“ und warnte, die versprochenen Wachstumsimpulse der Politik müssten nun endlich folgen. Noch schärfer fiel die Kritik aus dem Handel aus: Die Erhöhung setze „zahlreiche Stellen aufs Spiel“, sagte HDE-Präsident Alexander von Preen. Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sieht die Wettbewerbsfähigkeit bedroht und spricht von einer Entscheidung, die „die dramatische wirtschaftliche Situation unterschätzt“. Ähnliche Warnungen kamen vom Bauernverband, der steigende Lohnkosten in arbeitsintensiven Kulturen fürchtet.
„Verpasste Chance“
Auf Arbeitnehmerseite herrscht gemischte Stimmung. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell sprach von „harten Verhandlungen“, zeigt sich aber erleichtert, dass der Beschluss einstimmig fiel. Der Sozialverband VdK hält 14,60 Euro angesichts der hohen Inflation für zu wenig, Präsidentin Verena Bentele fordert mindestens 15 Euro als „Würde-Lohn“. Ökonom Marcel Fratzscher (DIW) nennt den Kompromiss eine „verpasste Chance“, den Arbeitsmarkt für dringend benötigte Fachkräfte attraktiver zu machen und verweist auf fehlende empirische Belege für Jobverluste durch höhere Mindestlöhne.
Nächste Schritte und Ausblick
Der Beschluss muss nun vom Bundesarbeitsministerium in eine Rechtsverordnung gegossen werden, die Kabinettsbefassung gilt als Formsache. Spätestens zum Jahreswechsel 2026/2027 wird sich zeigen, ob die prognostizierten Belastungen für die Wirtschaft eintreten oder ob – wie Gewerkschaften und viele Ökonomen hoffen – höhere Löhne auch die Binnennachfrage stützen. Unabhängig davon schreibt das Gesetz eine erneute Überprüfung spätestens 2027 vor. Dann muss sich die Kommission erneut mit der Frage beschäftigen, ob 14,60 Euro reichen oder die 15-Euro-Marke endgültig fällt. Für Millionen Beschäftigte bleibt es also spannend.
Bürgergeld trotz Job: Mindestlohn schlicht zu niedrig
Was bedeutet das für Bürgergeld-Empfänger?
Besonders aufmerksam verfolgen rund 826.000 sogenannte Aufstocker – Erwerbstätige, die trotz Arbeit Bürgergeld beziehen – die Mindestlohndebatte. Die Erhöhung verbessert ihr Stundenentgelt, hebt sie aber oft nicht vollständig aus dem Leistungsbezug des Jobcenters. „Den Großteil der Aufstocker wird eine Mindestlohnerhöhung daher nicht aus dem Leistungsbezug herausholen“, warnt NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) und verweist auf große Bedarfsgemeinschaften und Minijobs als Hauptursachen.
Nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes bedeutet das Plus ab 2026 für Vollzeitbeschäftigte immerhin etwa 190 Euro brutto mehr im Monat, 2027 dann gut 310 Euro. Doch gerade Minijobber spüren davon wenig, weil bei ihnen jede Erhöhung mit der Anrechnungslogik des Bürgergelds kollidiert – unterm Strich bleibt nur ein Teilbetrag. Stefan Körzell (DGB) spricht von einer „wichtigen, aber unvollständigen Entlastung“ und fordert, die Freibeträge im Bürgergeld „mitwachsen“ zu lassen.