Das Bürgergeld, noch vor ein paar Jahren als sozialer Fortschritt gefeiert, steht vor einer radikalen Wende. Ein neuer Gesetzentwurf aus dem Arbeitsministerium plant nicht nur die Umbenennung in „Grundsicherungsgeld“, sondern wickelt zentrale Elemente der erst 2023 eingeführten Reform praktisch wieder ab. Mit drastisch verschärften Sanktionen, dem Wegfall der Schonfristen bei Vermögen und Wohnen und einem eisernen Vermittlungsvorrang erinnert das neue System stark an das frühere Hartz IV – und geht in Teilen sogar darüber hinaus. Wir haben den Referentenentwurf detailliert analysiert und stellen die 10 wichtigsten Änderungen vor, die auf Leistungsempfänger zukommen.
Darum geht es
- Titel: Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16.10.2025
- Geplantes Inkrafttreten: SGB II ab 1. Juli 2026 und einzelne Bausteine in SGB III/ VIII ab 1. August 2027
Das ändert sich – die 11 wichtigsten Punkte
- Neuer Name: „Bürgergeld“ wird in „Grundsicherungsgeld“ umbenannt und soll ab 1. Juli 2026 gelten
- Vermittlungsvorrang und Pflicht zur Arbeit: Die Vermittlung in Arbeit (auch Vollzeit, wenn zumutbar) erhält klaren Vorrang vor anderen Leistungen. Diese verschärfte Pflicht zur Arbeitsaufnahme trifft auch Selbständige, deren Tragfähigkeit künftig in der Regel nach einem Jahr im Leistungsbezug geprüft wird.
- Härtere Sanktionen (30 Prozent Standard): Bei Pflichtverletzungen (z. B. Ablehnung von Maßnahmen oder verpflichtenden Integrations- oder Sprachkursen) gilt eine einheitliche Minderung von 30 Prozent des Regelbedarfs für drei Monate.
- Entzug des Regelbedarfs: Bei Arbeitsverweigerung oder drei aufeinanderfolgenden Meldeversäumnissen wird der Regelbedarf entzogen. Ein „Totalentzug“ (inkl. Miete) droht nur bei dauerhafter Nicht-Erreichbarkeit.
- Eltern (frühere Aktivierung): Arbeit oder Maßnahmen sind künftig bereits ab Vollendung des ersten Lebensjahres des Kindes zumutbar (sofern Betreuung verfügbar), statt wie bisher ab dem dritten.
- Abschaffung der Vermögens-Karenzzeit: Die einjährige Karenzzeit für erhebliches Vermögen bei Neuantrag wird gestrichen. Es gelten stattdessen nach Alter gestaffelte und geringere Freibeträge. Eine selbstgenutzte Immobilie bleibt allerdings weiterhin unabhängig von ihrer Größe von der Anrechnung freigestellt.
- Begrenzung der Wohnkosten: Die Wohnkosten werden in der Karenzzeit stark eingeschränkt und von Beginn an gedeckelt, wenn die Miete unverhältnismäßig hoch ist und mehr als das 1,5-Fache der Angemessenheitsgrenze übersteigt. Bei Verstößen gegen die Mietpreisbremse gilt eine Kostensenkungspflicht auch in der Karenzzeit.
- Fordern im Vordergrund: Pflichten aus dem Kooperationsplan werden schneller verbindlich. Schon ein versäumter Termin kann dazu führen, dass das Jobcenter die Schritte per Verwaltungsakt festsetzt – und bei Verstoß mit 30 Prozent sanktioniert. Förderseitig bleibt ein persönliches Angebot Pflicht, der Zugang zu Förderjobs nach § 16e SGB II wird erweitert und der Passiv-Aktiv-Transfer gesetzlich verankert.
- Bekämpfung von Schwarzarbeit: Es wird eine Arbeitgeberhaftung eingeführt. Meldet ein Arbeitgeber Grundsicherungsgeld-Empfänger nicht (oder nur zum Schein) an, haftet er für die zu Unrecht gezahlten Leistungen. Jobcenter müssen Verdachtsfälle an den Zoll melden.
- Auskunftspflicht für Vermieter: Jobcenter können künftig Vermieter direkt zur Auskunft über Mietverhältnisse (z. B. Höhe, Dauer, Nutzerzahlen) verpflichten, um Angaben zu überprüfen.
- Endgültige Festsetzung bei schwankendem Einkommen: Nachgereichte Unterlagen zählen künftig nur noch innerhalb gesetzter Fristen. Fehlen Belege trotz Frist und Rechtsfolgenhinweis, kann das Jobcenter die fehlenden Monate mit Null festsetzen und zu viel gezahlte Beträge zurückfordern.
1. Neuer Name: „Bürgergeld“ wird in „Grundsicherungsgeld“ umbenannt
Die vielleicht symbolträchtigste Änderung ist die Umbenennung. Sie ist jedoch keine rein kosmetische Korrektur, sondern eine umfassende gesetzliche und organisatorische Umstellung. Der Begriff „Grundsicherungsgeld“ ersetzt „Bürgergeld“ konsequent in einer Vielzahl von Gesetzen und Verweisnormen – von der Kranken- und Pflegeversicherung über das Aufenthaltsrecht bis hin zum Wohngeld. Für die Anpassung von Vordrucken, IT-Verfahren und Fachanweisungen veranschlagt der Entwurf einmalige Kosten von rund fünf Millionen Euro. Inhaltlich ändert die Umbenennung die Leistungsart nicht unmittelbar, setzt aber politisch das Signal, Mitwirkung stärker zu betonen.
2. Vermittlungsvorrang: Arbeit vor Maßnahme (inkl. Vollzeit)
Der Grundsatz „Arbeit statt Maßnahme“ wird wieder fest verankert. Ein neuer § 3a SGB II stellt klar, dass die Vermittlung in Arbeit Vorrang vor anderen Eingliederungsleistungen hat. Ausnahmen bleiben möglich, wenn eine Maßnahme – etwa eine abschlussbezogene Weiterbildung – für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich ist. Hierzu wird § 2 SGB II geschärft: Leistungsberechtigte sollen ihre Arbeitskraft im maximal zumutbaren Umfang einsetzen, um die Hilfebedürftigkeit vollständig zu überwinden. Das betrifft ausdrücklich auch Vollzeitarbeit, soweit individuell zumutbar.
Die Regelung zielt außerdem auf Selbständige. Nach in der Regel zwölf Monaten ununterbrochenem Leistungsbezug soll das Jobcenter prüfen, ob die Selbständigkeit tragfähig ist oder ob eine andere Tätigkeit – zum Beispiel eine Anstellung – zugemutet werden kann. Für Gründer gilt als Regelfall eine dreijährige Anlaufzeit, bevor diese Prüfung greift.
Mit der Reform 2023 war der alte Vermittlungsvorrang aufgegeben worden, um Weiterbildung und nachhaltige Integration stärker zu gewichten. Diese Priorisierung wird nun wieder zugunsten einer schnellen Arbeitsaufnahme zurückgenommen. Eine feste gesetzliche Frist für die Tragfähigkeitsprüfung bei Selbständigen gibt es bislang nicht; kritisiert wurden in der Praxis langjährige Aufstockungen.
Trotz Bürgergeld: Nicht jeder Vorschlag vom Jobcenter ist Pflicht
3. Härtere Sanktionen: 30 Prozent als neuer Standard
Das bisherige Stufenmodell von 10 / 20 / 30 Prozent entfällt. Künftig gilt bei Pflichtverletzungen eine einheitliche, deutlich schärfere Minderung um 30 Prozent des Regelbedarfs für drei Monate. Das betrifft zum Beispiel den Abbruch zumutbarer Maßnahmen oder die Weigerung, an verpflichtenden Integrations- oder Sprachkursen nach §§ 43 und 45a AufenthG teilzunehmen. Bei Meldeversäumnissen verschärft der Entwurf ebenfalls: Während das erste Versäumnis voraussichtlich weiterhin zu einer Minderung um 10 Prozent für einen Monat führt, soll ein wiederholtes Versäumnis künftig mit 30 Prozent für einen Monat geahndet werden. Beim dritten aufeinanderfolgenden Meldeversäumnis greift der Entzug des Regelbedarfs.
Nach aktueller Rechtslage gilt das Stufenmodell mit 10 Prozent für einen Monat bei der ersten Pflichtverletzung, 20 Prozent für zwei Monate bei der zweiten und 30 Prozent für drei Monate bei der dritten. Meldeversäumnisse werden derzeit unabhängig von der Wiederholung mit 10 Prozent für einen Monat sanktioniert.
4. Entzug des Regelbedarfs: Die schärfste Stufe bei Arbeitsverweigerung und Meldeversäumnissen
Der Entzug des Regelbedarfs – also der Streichung der reinen Lebenshaltungskosten – kommt in zwei Konstellationen zum Einsatz.
Arbeitsverweigerung. Wer eine zumutbare Arbeit willentlich ablehnt, verliert den kompletten Regelbedarf, ohne dass es zuvor einer abgestuften Pflichtverletzung bedarf. Der Entzug dauert mindestens einen Monat.
Wiederholte Meldeversäumnisse. Nach einem zweiten Versäumnis wird der Anspruch für einen Monat um 30 Prozent gemindert. Wer drei Termine hintereinander verpasst, dem wird der Regelbedarf für einen Monat entzogen. In diesem Entzugsmonat laufen die Unterkunftskosten weiter und werden direkt an den Vermieter überwiesen. Der Schutz in der Kranken- und Pflegeversicherung bleibt bestehen, nötigenfalls über eine „1-Euro-Bewilligung“, damit das Jobcenter die Beiträge weiterzahlen kann. Wird die persönliche Vorsprache innerhalb dieses Monats nachgeholt, lebt der Anspruch wieder auf. Für einen weiteren Monat gilt dann die 30-Prozent-Minderung. Bleibt die Vorsprache aus, gilt die Person als nicht erreichbar. Der Anspruch endet dann vollständig. In einer Mehrpersonen-Bedarfsgemeinschaft bleiben die Unterkunftskosten der übrigen Mitglieder bestehen und werden neu verteilt. Für die betroffene Person zahlt das Jobcenter in diesem Fall keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mehr.
Schutzmechanismen. Der Entzug trifft nur die verursachende Person. Leistungen für Kinder oder Partner sowie Mehrbedarfe – etwa für Alleinerziehende – bleiben unberührt. Bei bekannten psychischen Erkrankungen soll die Anhörung zudem grundsätzlich persönlich erfolgen.
Nicht-Erreichbarkeit: Der Totalentzug wegen Nicht-Erreichbarkeit ist eine Neuerung des geplanten § 32a SGB II (neu). Wer nach drei Meldeversäumnissen nicht binnen eines Monats persönlich erscheint, gilt gesetzlich als nicht erreichbar – mit der Folge des vollständigen Anspruchswegfalls. Das ist keine „Beweislastumkehr“, sondern eine gesetzliche Fiktion mit klarer Frist.
Eine automatische Streichung des Regelbedarfs in dieser Form kennt das geltende Recht in der heutigen Rechtslage nicht. Meldeversäumnisse führen derzeit unabhängig von der Häufigkeit zu 10 Prozent für einen Monat. Arbeitsverweigerung unterliegt dem Stufenmodell und höheren Hürden. Ein automatischer Totalentzug einschließlich Miete ist bislang nicht vorgesehen; Nichterreichbarkeit ist bisher gesondert festzustellen.
5. Frühere Aktivierung von Eltern: Zumutbarkeit ab dem ersten Geburtstag
Die Altersgrenze, ab der Eltern von Kleinkindern Arbeit oder Maßnahmen zugemutet werden, sinkt deutlich. Künftig ist die Aufnahme bereits ab Vollendung des ersten Lebensjahres des Kindes zumutbar – Voraussetzung bleibt eine tatsächlich verfügbare Betreuung. Die Pflicht umfasst ausdrücklich auch Integrations- und Sprachkurse. Begründet wird die Verschärfung damit, dass lange Erwerbsunterbrechungen Familien oft dauerhaft im Leistungsbezug halten und besonders die Erwerbsbiografien von Frauen schädigen. Ein früherer Zugang zu Sprachkursen soll die Integration beschleunigen. Zugleich wird die Vorbildfunktion erwerbstätiger Eltern für die spätere Erwerbsbiografie von Kindern betont.
Derzeit gilt die Zumutbarkeit regelmäßig erst ab dem dritten Geburtstag des Kindes. Diese Grenze stammt aus Zeiten, in denen Betreuungsangebote unter drei Jahren deutlich seltener waren. Heute besteht bereits ab Vollendung des ersten Lebensjahres ein Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz (§ 24 SGB VIII).
6. Abschaffung der Vermögens-Karenzzeit
Die mit dem Bürgergeld eingeführte einjährige Schonfrist für erhebliches Vermögen bei Neuanträgen entfällt. Damit greift der Vorrang des Einsatzes eigenen Vermögens wieder von Beginn an. An die Stelle der hohen Karenz-Freibeträge treten altersabhängige, deutlich niedrigere Schonvermögen:
- bis 20 Jahre 5.000 Euro
- ab 21 Jahren 10.000 Euro
- ab 41 Jahren 12.500 Euro
- ab 51 Jahren 15.000 Euro
pro Person. Unverändert bleibt eine wichtige Ausnahme: Selbstgenutztes Wohneigentum wird – unabhängig von seiner Größe – im ersten Jahr des Leistungsbezugs nicht als Vermögen berücksichtigt, um den Verbleib in der eigenen Immobilie zunächst zu sichern.
Bisher schützt die Karenzzeit im ersten Jahr 40.000 Euro für die erste Person und 15.000 Euro für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft. Nach Ablauf der Karenzzeit gilt ein einheitlicher Freibetrag von 15.000 Euro pro Person.
7. Begrenzung der Wohnkosten (Einschränkung der Karenzzeit)
Die Karenzzeit bei Unterkunftskosten bleibt formal bestehen, wird aber durch zwei Regeln von Beginn an deutlich eingeschränkt.
Deckelung: Selbst im ersten Jahr werden extrem hohe Mieten nicht mehr voll übernommen. Es gilt eine neue Obergrenze: Liegt die tatsächliche Miete mehr als 50 Prozent über dem Betrag, den das Jobcenter vor Ort als angemessene Miete (die lokale Angemessenheitsgrenze) definiert hat, zahlt das Amt nur bis zu dieser Obergrenze (also maximal das 1,5-fache der lokalen Angemessenheitsgrenze) – den Rest müssen Leistungsempfänger selbst tragen.
Mietpreisbremse: Verstößt die vereinbarte Miete gegen die örtliche Mietpreisbremse (§ 556d BGB), gilt die Pflicht zur Kostensenkung bereits innerhalb der Karenzzeit. Das umfasst auch die Pflicht des Leistungsempfängers, die zu hohe Miete gegenüber dem Vermieter zu rügen. In solchen Fällen gelten die Aufwendungen als unangemessen.
Aktuell werden in der Karenzzeit grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten anerkannt, lediglich für Heizkosten gelten von Beginn an Angemessenheitsgrenzen. Eine Kostensenkungspflicht greift bisher regelmäßig erst nach Ablauf des ersten Jahres, sofern kein Umzug erfolgt ist.
Staatlich gefördert: Wie Jobcenter mit Bürgergeld maroden Wohnraum stützen
8. Fordern steht im Vordergrund – Förderung ausgeweitet
Das neue System schärft „Fordern“ und stärkt „Fördern“ zugleich. Der Kooperationsplan wird verbindlicher: Das Jobcenter kann Pflichten schneller durch Verwaltungsakt festsetzen, wenn Termine versäumt oder vereinbarte Schritte nicht umgesetzt werden. Wer sich dem Verwaltungsakt verweigert, riskiert die 30-Prozent-Sanktion.
Parallel müssen die Jobcenter ein persönliches Angebot unterbreiten – Beratung, Vermittlung oder eine konkrete Maßnahme. Der Zugang zu Lohnkostenzuschüssen nach § 16e SGB II wird erweitert: Adressat sind künftig „Langzeitleistungsbezieher“, also Personen mit mindestens 21 von 24 Monaten Leistungsbezug und geringer Erwerbstätigkeit, die bisherige Voraussetzung „Langzeitarbeitslosigkeit“ entfällt.
Zudem wird der Passiv-Aktiv-Transfer gesetzlich verankert und ausgeweitet. Bis zu 50 Prozent der Kosten bestimmter Förderinstrumente – etwa Zuschüsse nach §§ 16e und 16i oder Einstiegsgeld – dürfen aus Mitteln verwendet werden, die sonst für die reine Leistungsgewährung vorgesehen sind.
Der Kooperationsplan gilt derzeit als partnerschaftliche Vereinbarung (früher Eingliederungsvereinbarung). Ein Verwaltungsakt erfolgt häufig erst, wenn die Vereinbarung scheitert. Dieser Zwischenschritt soll künftig entfallen können.
9. Bekämpfung von Schwarzarbeit: Arbeitgeber haften mit
Zur Eindämmung von Schwarzarbeit und Leistungsmissbrauch führt der Entwurf eine Arbeitgeberhaftung (§ 62a neu) ein. Beschäftigt ein Arbeitgeber eine leistungsberechtigte Person, ohne dies ordnungsgemäß zu melden – oder nur zum Schein –, haftet er künftig für die dadurch zu Unrecht gezahlten Leistungen. Arbeitgeber und Leistungsbeziehende sind Gesamtschuldner. Das Jobcenter kann frei wählen, von wem es die Erstattung verlangt.
Zudem werden Jobcenter verpflichtet, Anhaltspunkte für vorsätzliche Schwarzarbeit oder für eine Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns an die Zollverwaltung zu melden. Der Fokus liegt dabei auf vorsätzlichen Fällen: Einfache Fehler oder Irrtümer sollen vornehmlich durch Rückforderungen oder anderweitig geklärt werden.
Eine ausdrückliche zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers für Sozialleistungen des Beschäftigten gibt es im SGB II bislang nicht. Eine generelle Pflicht zur Meldung an den Zoll ist in dieser Form ebenfalls neu.
10. Auskunftspflicht für Vermieter: Direkter Draht für Jobcenter
Um die Prüfung der Unterkunftskosten zu beschleunigen und rechtlich abzusichern, soll § 60 Abs. 6 bis 8 SGB II (neu) die Befugnis der Jobcenter verankern, Vermieter per Verwaltungsakt zur Auskunft und zur Vorlage von Beweismitteln zu verpflichten. Der Verwaltungsakt ist mit Widerspruch und Klage anfechtbar.
Abgefragt werden dürfen insbesondere Miethöhe, Dauer und Nutzerzahl des Mietverhältnisses sowie Abrechnungsmodalitäten (insbesondere Nebenkosten). Die Regelung steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit. Eine Anfrage kommt also vor allem dann in Betracht, wenn der Leistungsbezieher die benötigten Unterlagen nicht oder nicht vollständig vorlegt. Reagiert der Vermieter trotz Aufforderung nicht oder zu spät, begeht er eine Ordnungswidrigkeit und kann mit einem Bußgeld belegt werden.
Bis zum Inkrafttreten gilt weiterhin die bisherige Rechtslage. Die direkte Auskunftseinholung bei Vermietern bewegt sich in einer datenschutzrechtlichen Grauzone, weil es im SGB II keine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für eine solche Nachfrage und die Vorlage von Nachweisen gibt. Seit der DSGVO ist die Erhebung von Daten bei Dritten ohne klare Rechtsgrundlage besonders sensibel. Eine direkte Anfrage beim Vermieter führt zwangsläufig dazu, dass dieser vom Leistungsbezug erfährt. Das berührt das Recht des Leistungsbeziehers auf informationelle Selbstbestimmung. Gerichte haben in verschiedenen Entscheidungen betont, dass solche Anfragen unzulässig sind, solange der Leistungsempfänger bereit und in der Lage ist mitzuwirken und die Unterlagen selbst vorzulegen. Daher müssen Jobcenter sich derzeit vorrangig auf die Mitwirkungspflichten der Leistungsempfänger stützen.
Jobcenter darf Bürgergeld-Bezug nicht ohne Zustimmung offenlegen
11. Endgültige Festsetzung bei schwankendem Einkommen
Jobcenter bewilligen bei unsicheren oder wechselnden Einkommen oft vorläufig. Künftig werden Nachreichfristen enger und klarer geregelt (§ 41a SGB II n. F.). Wer aufgefordert wurde, Unterlagen nachzureichen, erhält eine angemessene Frist und eine klare Belehrung über die Rechtsfolgen. Sind Fristsetzung und Belehrung erfolgt und hat der Leistungsempfänger die Unterlagen nicht fristgerecht eingereicht, kann das Jobcenter anschließend endgültig festsetzen auf Basis der vorliegenden Informationen. Unterlagen, die nach dieser endgültigen Entscheidung (bzw. nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens) eingehen, werden für diese Entscheidung nicht mehr berücksichtigt.
In der Praxis heißt das: Endgültig abgerechnet werden nur die Monate, für die rechtzeitig Nachweise vorliegen. Für Monate ohne fristgerechten Beleg ist eine Nullfestsetzung möglich. Wurden zuvor zu höhere Leistungen gezahlt, drohen Rückforderungen.
Einkommensanrechnung bleibt unberührt
Auffällig ist zudem, was die Reform erneut ausspart: die Anrechnung von Einkommen bzw. besser gesagt die Transferentzugsrate (auch: Anrechnungsquote) wird im Gesetzesentwurf nicht angesprochen. Sie beschreibt, wie viel von jedem zusätzlich verdienten Euro bei den Leistungen abgezogen wird. An dieser zentralen Stellschraube dreht die Reform erneut nicht – obwohl schon beim Übergang von Hartz IV zum Bürgergeld die Hoffnung bestand, hier endlich zu vereinfachen. Es ist damit die zweite große Reform in Folge, die die Anrechnungslogik unberührt lässt.
Was das praktisch heißt: Von zusätzlichem Lohn wird ein großer Teil auf die Leistung angerechnet.
- Die ersten 100 Euro bleiben frei.
- Vom Brutto 100–520 Euro werden 80 Cent je zusätzlichem Euro angerechnet (20 Cent bleiben).
- Vom Brutto 520–1.000 Euro werden 70 Cent je Euro angerechnet (30 Cent bleiben).
- Vom Brutto 1.000–1.200 Euro (bzw. bis 1.500 Euro mit Kind) werden 90 Cent je Euro angerechnet (10 Cent bleiben).
Mehrarbeit lohnt oft nur wenig, solange die Freibeträge so gering bleiben, zumal Steuern und Sozialabgaben hier weiter den Nettoeffekt reduzieren.
Gerade hier wären Vereinfachungen nötig, um Aufnahme und Ausweitung von Arbeit tatsächlich attraktiver zu machen und Bürokratie abzubauen. Stattdessen setzt der Entwurf vor allem auf Druck und Kontrolle – ein Rollback, das soziale Kältezonen schafft, statt nachhaltige Perspektiven zu eröffnen.
Rollback mit erheblichen Verfassungsrisiken und sozialen Kältezonen
Unter dem Strich markiert die geplante Reform eine Zäsur. Sie wickelt Kernversprechen der Bürgergeld-Reform ab und verschiebt den Fokus sichtbar zurück auf Pflichten, Kontrolle und Sanktionen. Die Umbenennung in „Grundsicherungsgeld“ wirkt wie Symbolpolitik, die von harten Einschnitten ablenkt.
Der sofortige 30-Prozent-Abzug und der neu geschaffene, schnell greifende Entzug des Regelbedarfs bei Arbeitsverweigerung oder Meldeversäumnissen greifen tief in das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum ein. Es liegt nahe, dass solche massiven Kürzungen erneut vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Die Verschärfungen erinnern nicht nur an Hartz IV, sondern gehen durch den Wegfall von Stufen und die neuen Automatismen in Teilen darüber hinaus.
Die strikteren Mitwirkungs- und Terminvorgaben, gekoppelt mit der schnelleren Festsetzung per Verwaltungsakt und der möglichen Sanktionierung, drohen ausgerechnet jene abzuhängen, die Unterstützung am dringendsten benötigen: Menschen mit Betreuungsaufgaben, gesundheitlichen Einschränkungen oder Kommunikationshürden. Die Absenkung der Altersgrenze für Eltern auf ein Jahr erhöht den Druck, ohne die vielerorts fehlende Betreuungsinfrastruktur mitzudenken.
Auch die verschärfte Linie bei verpflichtenden Sprachkursen fügt sich in dieses Bild. Offiziell wird sie mit Integration begründet. De facto trifft sie vor allem Migranten und wirkt wie ein Instrument, um den im Koalitionsvertrag angekündigten restriktiveren Kurs bei der Zuwanderung in die Sozialsysteme umzusetzen – weniger durch direkte Zugangssperren, sondern über zusätzliche Hürden und Sanktionsdrohungen.
Die faktische Abschaffung der Schonfrist bei den Wohnkosten blendet die Realität angespannter Wohnungsmärkte aus. Die Deckelungen von Beginn an mögen Ausreißer verhindern, bergen aber das Risiko eines Wohnungsverlustes, wenn Umzug oder Mietsenkung in Ballungsräumen kaum möglich sind.
Abschließend kann man nach dem ersten Eindruck sagen, dass die Grundsicherung die Gerichte in den kommenden Jahren wieder häufiger beschäftigen wird. Denn trotz der vorgesehenen Digitalisierung und Automatisierung – ja, dafür steht sogar der neue § 50b SGB II (n.F.) – bleibt das System in seiner Bürokratie verfangen und zieht mit dem Schritt zum Grundsicherungsgeld Kontrollen und Pflichten spürbar an. Schon das Bürgergeld – im Vergleich zu Hartz IV deutlich lockerer – hat Widerspruchsstellen und Gerichte reichlich beschäftigt. Mit den nun verschärften Pflichten, Sanktionen, Fristen und Co. wird keine Laufruhe im System einkehren – eher gerät noch mehr Sand ins Getriebe.

