Die Debatte um Sozialbetrug beim Bürgergeld gewinnt an Tempo. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann spricht von einer „krassen Regelungslücke“, die den Zugang zu Leistungen gerade für EU-Bürger zu leicht mache, und fordert im BILD-Interview spürbare Verschärfungen. Deutschland müsse sein Sozialsystem „resilienter machen und vor dem Missbrauch durch kriminelle Banden schützen“, so Linnemann.
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Was Linnemann konkret fordert – und wo er nachschärfen will
- Engerer Arbeitnehmerbegriff (EU-Ebene): Kernpunkt ist eine Reform der EU-Regeln zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Es solle nicht mehr genügen, wenige Wochenstunden zu arbeiten, um damit den aufstockenden Bürgergeld-Anspruch auszulösen. Aufstockende Leistungen erhalten Personen, deren Einkommen (z.B. aus einem Teilzeitjob) nicht ausreicht, um ihren Lebensunterhalt zu decken. Das Jobcenter stockt dieses geringe Einkommen dann bis zur Höhe des Bürgergeld-Satzes auf. Linnemann: Ziel müsse sein, „dass grundsätzlich eine Vollzeittätigkeit maßgeblich ist – insbesondere bei kinderlosen Singles“. Damit adressiert der CDU-Politiker ausdrücklich Konstellationen, in denen Mini-Beschäftigungen als „Eintrittskarte“ ins System dienen.
Sozialbetrug als Straftatbestand – Bürgergeld als Türöffner für mehr Kontrolle?
- Zugang zum Bürgergeld für EU-Ausländer erschweren: Ausländische Banden und Schein-Konstruktionen (Scheinjobs, überteuerte Unterkünfte) würden die Lücken systematisch nutzen; hier brauche es europarechtlich tragfähige Hürden, damit nicht schon minimale Erwerbstätigkeit einen Leistungsanspruch verfestigt. Diese Stoßrichtung hat Linnemann in mehreren Medien bekräftigt.
- Besserer Informationsaustausch & Kontrollen: Jobcenter, Ausländerbehörden und Zoll sollen enger kooperieren, um Missbrauch schneller zu erkennen. Berichte verweisen zudem auf Pläne der Bundesregierung für ein „Kompetenzzentrum Leistungsmissbrauch“, das behördenübergreifende Erkenntnisse bündeln soll – ein Kontext, in dem Linnemanns Forderungen zusätzlichen Druck entfalten.
- Härteres Vorgehen gegen organisierte Strukturen: Linnemann knüpft seine Verschärfungen ausdrücklich an den Befund, dass kriminelle Banden zunehmend professionelle Geschäftsmodelle rund um Bürgergeld-Bezug entwickeln. Mehr Ermittlungen und zielgenaue Kontrollen sollen dem begegnen.
Einordnung der „Regelungslücke“ – warum Singles so prominent erwähnt werden
Dass Linnemann kinderlose Singles hervorhebt, ist strategisch: Bei ihnen greift keine familienbezogene Schutzlogik, gleichzeitig lassen sich Teilzeit-Mini-Jobs recht leicht konstruieren. Genau hier will er den maßgeblichen Beschäftigungsumfang als Kriterium anheben (Stichwort: Vollzeit-Orientierung) – und damit den Weg ins aufstockende Bürgergeld verengen.
Singles bekommen nur 1.050 € Bürgergeld im Monat vom Jobcenter
Kontext: Bekannte Missbrauchsmodelle – und was davon die CDU adressiert
Linnemanns Vorstoß knüpft an bekannte Missbrauchsmuster an – Scheinbeschäftigungen, überteuerte Sammelunterkünfte und Schrottimmobilien. Ermittlungen und Medienberichte zeichnen ein Bild systematischer Ausnutzung. Diese sogenannten Geschäftsmodelle funktionieren, indem Banden Menschen kurzzeitig in Jobs anmelden, die kaum oder gar nicht ausgeübt werden, um den Leistungsanspruch zu begründen. Gleichzeitig werden die Betroffenen in überteuerten und oft heruntergekommenen Unterkünften untergebracht, für die die Jobcenter hohe Mieten zahlen. Ein Großteil dieser Gelder fließt zurück an die Organisatoren.
Inhaltlich setzt Linnemann weniger auf zusätzliche nationale Detail-Sanktionen, sondern auf den europarechtlichen Hebel: eine engere Definition des Arbeitnehmerbegriffs und klare Kriterien, ab wann daraus ein Leistungsanspruch entsteht.
Zahlen & Daten
Die Debatte gewinnt auch durch konkrete Zahlen an Dynamik: Im Mai 2025 waren von insgesamt 5.367.630 Bürgergeld-Berechtigten in Deutschland 395.870 aus EU-Staaten. Linnemanns Fokus auf bestimmte Herkunftsländer wird durch die Statistik untermauert: Aus Bulgarien beziehen 107.540 Personen Bürgergeld, aus Rumänien sind es 77.867. Auch Personen aus Serbien (46.050), Kosovo (25.740) und Nordmazedonien (14.530) sind in den Statistiken prominent vertreten. Diese Zahlen zeigen die Relevanz der politischen Debatte um die Ausnutzung von Systemlücken.
Bürgergeld: Wie sich das Jobcenter ausnehmen lässt
Kritik – was politisch und rechtlich schwierig wird
- EU-Kompetenzen: Der Arbeitnehmerbegriff ist europarechtlich geprägt. Eine Verschärfung auf EU-Ebene ist politisch möglich, aber verhandlungsschwer und zeitlich nicht kurzfristig.
- Verhältnismäßigkeit & Grundrechte: Jede Hürde muss Gleichbehandlungs- und Freizügigkeitsrechte beachten; nationale Alleingänge bergen Rechtsrisiken. Kritiker betonen zudem, dass pauschale Verschärfungen Menschen treffen könnten, die sich legal im Land aufhalten, wirklich arbeiten wollen, aber in prekären Teilzeit- oder Minijobs gefangen sind und auf die aufstockenden Leistungen angewiesen sind.
- Praxislast: Engere Definitionen nützen nur, wenn Jobcenter/Zoll Daten zügig austauschen und Belege prüfen können – genau hier setzt die Idee eines Kompetenzzentrums an.
Wie viele EU-Bürger beziehen Bürgergeld?
m Mai 2025 bezogen laut Statistik 395.870 Personen aus EU-Staaten Bürgergeld. Insgesamt gab es zu diesem Zeitpunkt 5.367.630 Bürgergeld-Berechtigte in Deutschland. Die Debatte konzentriert sich auf die Frage, wie der Zugang zu diesen Leistungen für EU-Bürger geregelt ist.
Warum will die CDU das Bürgergeld für EU-Ausländer erschweren?
Die CDU, insbesondere Generalsekretär Carsten Linnemann, sieht eine „Regelungslücke“, die es kriminellen Banden erlaubt, das Sozialsystem auszunutzen. Sie fordern eine Neudefinition des Arbeitnehmerbegriffs, damit eine aufstockende Leistung erst bei einer substanziellen, also Vollzeit-ähnlichen Beschäftigung, gewährt wird. Das soll verhindern, dass Mini-Jobs als „Eintrittskarte“ ins System missbraucht werden.
Was hat die Politik bisher gegen Bürgergeld-Betrug unternommen?
Die Bundesregierung plant die Einrichtung eines „Kompetenzzentrums Leistungsmissbrauch„. Dieses Zentrum soll die Zusammenarbeit zwischen den Behörden – Jobcentern, Ausländerbehörden und dem Zoll – verbessern. Ziel ist, den Informationsaustausch zu beschleunigen und organisierten Missbrauch, zum Beispiel mit Scheinjobs oder überteuerten Unterkünften, schneller aufzudecken.
Einordnung und Ausblick
Linnemann zielt auf eine strukturelle Änderung: Der Zugang zum Bürgergeld soll sich nicht mehr über minimale Erwerbstätigkeit eröffnen, sondern an substanzieller Arbeit hängen. Der Hebel liegt überwiegend im Europarecht (Arbeitnehmerbegriff, Freizügigkeit); national würde es auf engere Kontrollen, besseren Datenaustausch und konsequentere Verfolgung von Scheinbeschäftigung hinauslaufen. Ob daraus Gesetzesinitiativen werden, entscheidet sich an zwei Fragen: Ist eine EU-Nachschärfung politisch durchsetzbar? Und wie schnell lassen sich die operativen Lücken in Jobcentern und beim Zoll schließen? Ein zentraler Streitpunkt bleibt, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich primär organisierten Betrug bekämpfen oder ob sie auch legalen Anrechnungen entgegenwirken, die als Systemlücke empfunden werden.


