Mehr als eine halbe Million Euro aus einer Erbschaft rechtfertigt keinen weiteren Bürgergeld-Bezug – selbst wenn der Nachlass noch nicht verteilt ist. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg bestätigte mit Beschluss vom 10. April 2025 (Az. L 2 AS 2884/24) sowohl das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart als auch den Ablehnungsbescheid des Jobcenters. Der Senat entschied, dass der hälftige Nachlassanteil der Antragstellerin von rund 642.000 Euro als erhebliches und kurzfristig verwertbares Vermögen gilt. Der Einsatz eigene Mittel habe Vorrang vor Sozialleistungen, weshalb weder Anspruch auf Zuschuss noch auf ein Darlehen bestehe.
Trotz siebenstelliger Erbschaft zunächst weiterhin Leistungen
Die Klägerin lebte seit 2004 – mit wenigen Unterbrechungen – von Grundsicherung bzw. Bürgergeld. Gemeinsam mit ihrer 2004 geborenen Tochter bewohnte sie ein Mehrfamilienhaus in Stuttgart, das ursprünglich den Eltern gehörte. Eine Wohnung stand bereits in ihrem Alleineigentum, eine zweite hatte sie von der Mutter gemietet, eine weitere war an Dritte vermietet. Ihr Einkommen aus freiberuflichen Sportkursen reichte nicht aus, um den Lebensunterhalt zu sichern, sodass sie aufstockend Leistungen des Jobcenters bezog.
Mit dem Tod der Mutter im Februar 2019 wurde die Frau gemeinsam mit ihrer Schwester Miterbin. Zum Nachlass gehörten die beiden verbleibenden Wohnungen des Stuttgarter Hauses, eine Ferienwohnung auf Borkum, eine Eigentumswohnung in Leonberg, ein Wertpapierdepot von gut 92.000 Euro sowie diverse Sammlerstücke. Der Verkehrswert der Erbmasse lag bei mehr als 1,28 Millionen Euro – der Anteil der Antragstellerin betrug somit mindestens 642.000 Euro.
Bürgergeld: Erbschaft nicht zwingend anrechenbares Vermögen
Für den Bewilligungszeitraum von Oktober 2019 bis März 2020 erhielt die Frau weiterhin Leistungen des Jobcenters als Zuschuss. Damals sah das Amt noch keine konkreten Hinweise darauf, dass sich das Erbe in kurzer Zeit zu Geld machen ließe, zudem war ihr Einkommen pandemiebedingt eingebrochen.
Warum zunächst gezahlt und später verweigert wurde
Als sie jedoch den Weiterbewilligungsantrag für Oktober 2020 bis März 2021 stellte, verweigerte das Jobcenter eine weitere Leistungsgewährung.
Zum einen hatte sie zwischenzeitlich zwei Bankdarlehen aufgenommen und dafür Grundschulden auf den geerbten Wohnungen bestellt. Zum anderen verkaufte die Erbengemeinschaft im Dezember 2020 die Ferienwohnung auf Borkum für 225.000 Euro, wovon der hälftige Anteil – also 112.500 Euro – bereits im Januar 2021 auf ihrem Konto einging. Hinzu kam ein notarieller Erbauseinandersetzungsvertrag, der am 30. Dezember 2020 unterzeichnet wurde und die Aufteilung des gesamten Nachlasses regelte.
Weil die Antragstellerin wesentliche Unterlagen – das Testament, die Verkehrswertgutachten ihrer Immobilien und sogar die Kreditverträge, für die sie bereits Grundschulden eingetragen hatte – erst lange nach mehrfachen Aufforderungen vorlegte, konnte das Jobcenter das Ausmaß ihres Vermögens erst verspätet bewerten. Als alle Nachweise schließlich vorlagen, sah die Behörde das Erbe als kurzfristig verwertbar an, verweigerte daher den beantragten Zuschuss und bot nur noch ein Darlehen an, das durch eine zusätzliche Grundschuld zugunsten des Jobcenters abgesichert werden sollte. Da die Antragstellerin diese Sicherheit ebenfalls ablehnte, blieb ihr am Ende jeder Leistungsanspruch versagt.
LSG bestätigt Vorinstanz
Im Berufungsverfahren bestätigte das Landessozialgericht nun das Urteil der Vorinstanz (SG Stuttgart, Az. S 24 AS 4160/21 vom am 23. Juli 2024). Indem es an dieser Entscheidung festhält, bleibt zugleich der zugrundeliegende Ablehnungsbescheid des Jobcenters bestehen.
Der Senat stellte fest, dass der Erbteil die zulässigen Freibeträge um ein Vielfaches übersteigt und damit als „offenkundig erhebliches“ Vermögen zu werten ist. Entscheidend sei zudem die Prognose, ob die Verwertung innerhalb des laufenden Bewilligungszeitraums realistisch sei. Da bereits ein Verkaufserlös geflossen sei, weitere Einnahmen über Grundschulddarlehen zur Verfügung stünden und die notarielle Auseinandersetzung abgeschlossen worden sei, war diese Verwertbarkeit uneingeschränkt gegeben.
Ein Darlehen nach § 24 Abs. 5 SGB II komme nur infrage, wenn der Antragsteller die verlangten Sicherheiten zur Verfügung stellt. Da die Antragstellerin genau dies verweigerte, habe das Jobcenter auch kein Darlehen bewilligen müssen.
Abweichende Erbringung von Leistungen: Bürgergeld Darlehen vom Jobcenter
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg stellt klar: Sozialleistungen dienen der Existenzsicherung und ersetzen nicht die Pflicht, erhebliches Eigenvermögen zu verwerten. Selbst eine noch nicht vollständig abgewickelte Erbschaft schützt nicht davor, eigene Mittel einzusetzen. Wer also – wie im entschiedenen Fall – über einen Nachlass von mehr als einer halben Million Euro verfügt, fällt aus der Hilfebedürftigkeit heraus, und das konsequenterweise mit sofortiger Wirkung.
Keine Hilfe durch die Corona-Karenz
Die pandemiebedingte Vermögensschonung des § 67 SGB II änderte an diesem Ergebnis nichts. Zum einen galt sie nur für Vermögen, das nicht erheblich war. Zum anderen richtet sie sich vor allem an Personen, die erst infolge der Pandemie hilfebedürftig wurden. Die Klägerin war dagegen seit vielen Jahren Leistungsbezieherin und verfügte über Vermögenswerte, die jede Erheblichkeitsgrenze weit übertrafen.
Zur Höhe des erheblichen Vermögens dieser Regelung:
Angelehnt war die Vermögensgrenze (Grenze, nicht Freibetrag!) an die Regelungen beim Wohngeld, wonach die Gewährung von Sozialleistungen bei Überschreitung des verwertbaren Vermögens über:
- 60.000 Euro für den Haushaltsvorstand
- 30.000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied
nicht mehr gerechtfertigt sei.
Bedeutung für das heutige Bürgergeld
Mit Einführung des Bürgergelds im Jahr 2023 wurde eine einjährige Karenzzeit mit einem geschützten Vermögen von 40.000 Euro (plus 15.000 Euro für jedes weitere Mitglied der Bedarfsgemeinschaft) eingeführt. Ein Nachlassanteil im mittleren sechsstelligen Bereich liegt dennoch weit außerhalb dieser Grenze. Das Urteil verdeutlicht daher, dass auch unter dem Bürgergeld die Verwertungsprognose den Ausschlag gibt: Ist Vermögen in absehbarer Zeit liquidierbar, entfällt die Hilfebedürftigkeit, und selbst Bürgergeld als Darlehen setzt die Bereitschaft zur Sicherungsbestellung voraus.
Karenzzeit beim Bürgergeld – Schonfrist für Vermögen und Wohnung
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