Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hendrik Streeck hat eine neue Diskussion in der Gesundheitspolitik entfacht. In einem Interview mit der Rheinischen Post sprach er sich für eine moderate, sozialverträgliche Selbstbeteiligung von Patienten aus, um unnötige Arztbesuche einzudämmen. Streeck kritisierte eine „unsolidarische Vollkasko-Mentalität“ und plädierte dafür, Kostenbewusstsein stärker in den Vordergrund zu stellen.
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Was Streeck fordert
Streeck, Virologe und CDU-Gesundheitspolitiker, argumentiert, dass eine kleine Eigenbeteiligung bei nicht zwingend notwendigen Arztbesuchen das System entlasten kann. Er nennt überlastete Notaufnahmen, die zunehmend wegen leichter Beschwerden aufgesucht werden, als Beispiel. Im Ländervergleich verweist er auf deutlich weniger Arztbesuche: Dänemark etwa vier pro Jahr, Frankreich fünf, Deutschland rund zehn. „Hier kann eine moderate Selbstbeteiligung helfen, Bagatellbesuche zu reduzieren“, sagte Streeck. Wichtig sei eine sozialverträgliche Ausgestaltung; die Regelung müsse schlank organisiert und fair sein, damit keine zusätzliche Bürokratie entsteht.
Lage der Krankenkassen
Die gesetzlichen Krankenkassen stehen vor massiven finanziellen Herausforderungen. Prognosen gehen von Milliarden-Defiziten aus, während die Beitragssätze in den kommenden Jahren weiter steigen könnten. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte kürzlich von „einer Milliarde Arztbesuchen jährlich“ gesprochen – ein europäischer Rekord, den er kritisch bewertete. Der Vorstoß von Streeck fällt damit in eine Phase, in der Reformdruck wächst.
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Unterstützung aus der privaten Krankenversicherung
Rückendeckung erhält Streeck aus den Reihen der privaten Krankenversicherung. PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther erklärte, Selbstbehalte seien dort „seit Jahrzehnten selbstverständlich und bewährt“. Sie hätten gezeigt, dass Versicherte ihre Arztkontakte bewusster wahrnehmen, wenn sie einen kleinen Eigenanteil tragen. Befürworter betonen zudem, dass eine Beteiligung Patienten stärker für Prävention sensibilisieren könne.
Kritik aus Politik und Verbänden
Deutliche Kritik kommt hingegen von SPD, Grünen und Linken. SPD-Gesundheitspolitiker Christos Pantazis warnte, eine Selbstbeteiligung würde vor allem Menschen mit geringem Einkommen und chronisch Kranke belasten. Diese seien nicht für die Kostenexplosion verantwortlich, würden aber am stärksten getroffen. Auch die Grünen lehnen den Vorschlag ab. Gesundheitsexperte Armin Grau betonte, zusätzliche Hürden seien sozial ungerecht und würden „vor allem finanziell Schwächere vom Arztbesuch abhalten“.
Die Linke sieht im Vorschlag gar einen Angriff auf das Solidarprinzip. Ihr Gesundheitspolitiker Ates Gürpinar erklärte, Selbstbeteiligungen führten „unweigerlich dazu, dass gerade einkommensschwache Menschen notwendige Arztbesuche vermeiden“ – mit negativen Folgen für ihre Gesundheit.
Bekannte Risiken von Selbstbeteiligungen
Gesundheitsökonomen verweisen auf internationale Erfahrungen. Das bekannte RAND Health Insurance Experiment in den USA zeigte, dass Selbstbeteiligungen zwar die Zahl der Arztbesuche insgesamt verringern, dabei aber nicht zwischen unnötigen und notwendigen Behandlungen unterscheiden. Vor allem einkommensschwache Haushalte verzichteten häufiger auch auf medizinisch gebotene Konsultationen.
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Auch in Deutschland gab es Erfahrungen mit der Praxisgebühr (2004–2012). Sie sollte Bagatellkontakte verringern, erwies sich jedoch als wenig wirksam und wurde schließlich wieder abgeschafft. Kritiker verweisen darauf, dass sie vor allem zusätzliche Bürokratie verursachte und Patienten nicht nachhaltig vom „Arzt-Hopping“ abhielt.
Einordnung
Streecks Vorstoß hat eine Grundsatzdebatte angestoßen: Soll das Gesundheitssystem stärker auf Eigenverantwortung setzen oder das Solidarprinzip konsequent schützen? Während Befürworter Kostenbewusstsein und Entlastung der Kassen betonen, warnen Gegner vor sozialen Schieflagen und gesundheitlichen Risiken. Klar ist: Angesichts steigender Ausgaben wird die Frage, wie Arztbesuche gesteuert und finanziert werden, die Gesundheitspolitik in den kommenden Monaten intensiv beschäftigen.


