Jobcenter können Bürgergeld-Leistungen komplett versagen, wenn Leistungsempfänger ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen, selbst wenn dies minderjährige Kinder in der Bedarfsgemeinschaft betrifft. Das hat das Sozialgericht Augsburg in einem aktuellen Urteil bekräftigt.
Die Entscheidung stellt klar, dass eine angemessene Frist zur Vorlage umfangreicher Nachweise, etwa von zwei Wochen, auch dann gilt, wenn minderjährige Kinder betroffen sind, die selbst keine Sozialleistungen beantragen können. Geklagt hatte eine Mutter gemeinsam mit ihren drei minderjährigen Kindern.
Kontoauszüge für das Jobcenter schwärzen
Inhaltsverzeichnis
Chronologie der Anträge und Mitwirkungsaufforderungen
Am 31. Mai 2021 stellten die Kläger erstmals einen Antrag auf Grundsicherung (damals noch Hartz IV). Bereits am 4. Juni 2021 forderte das Jobcenter die Klägerin zur Mitwirkung auf und verlangte die Einreichung diverser Unterlagen, darunter Antragsformulare, aktuelle Kontoauszüge, den Mietvertrag, Geburtsurkunden der Kinder und Bescheide über Unterhaltsvorschuss.
Die Frist zur Vorlage dieser Dokumente wurde auf den 21. Juni 2021 festgelegt. Das Jobcenter wies in der Aufforderung explizit auf die möglichen Konsequenzen einer Nichtbeachtung hin:
„Haben Sie bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeutet, dass Sie keine Leistungen erhalten.“
(Zitat aus Volltext Urteil -SG Augsburg Az.: S3 AS 308/23, Bayrische Staatskanzlei)
Versagung der Leistungen und Rechtskraft
Die Mutter sagte am 16. Juni 2021 telefonisch einen persönlichen Vorsprachetermin ab und reichte die Unterlagen bis zum Stichtag (21. Juni 2021) nicht ein. Daraufhin erließ das Jobcenter am 28. Juni 2021 einen Ablehnungsbescheid.
Das Jobcenter begründete die Versagung damit, dass es nicht in seinem Machtbereich liege, die Antragsformulare vollständig auszufüllen, zu unterschreiben und erforderliche Unterlagen bei Dritten einzuholen. Ferner wies der Leistungsträger darauf hin, dass die Antragstellerin keine entschuldbaren Gründe für die Versäumnisse mitgeteilt hatte, die im Rahmen der Ermessensausübung zu ihren Gunsten – oder zugunsten der Kinder – hätten ausgelegt werden können. Ohne die angeforderten Unterlagen war die Prüfung des Antrags und damit der Hilfebedürftigkeit nicht möglich.
Gegen diesen Ablehnungsbescheid legte die Mutter keinen Widerspruch ein, weshalb er rechtskräftig wurde. Zwar teilte die Mutter am 7. Juli 2021 telefonisch mit, die Unterlagen bereits am 22. Juni 2021 postalisch versandt zu haben, doch das Jobcenter bestätigte schriftlich am selben Tag, dass keine Dokumente eingegangen seien.
Wiederholte Antragstellung und fehlende Unterlagen
Am 30. Juli 2021 stellte die Mutter einen erneuten Antrag auf Grundsicherung. Auch hier fehlten – bis auf drei der geforderten Dokumente – weiterhin zahlreiche Nachweise. Das Jobcenter wies am 8. Dezember 2021 erneut auf die fehlenden Unterlagen hin. Die Antragstellerin bat um erneute Zusendung der Formulare, da sie diese nach eigenen Angaben bereits eingereicht habe.
Obwohl das Jobcenter die Formulare zusammen mit einer Liste der erforderlichen Nachweise erneut übersandte, wurden die Unterlagen von der Mutter nicht vollständig vorgelegt.
Anwaltliche Intervention und Bewilligung im Eilverfahren
Erst am 25. Juli 2022 wandten sich die Kläger mit anwaltlicher Unterstützung erneut an das Jobcenter. Im September und Oktober 2022 legte die Klägerin einige, jedoch weiterhin unvollständige Formulare vor und erhob einen Eilantrag beim Sozialgericht Augsburg (Az.: S 11 AS 557/22 ER). Erst nachdem die ausstehenden Unterlagen im Rahmen dieses Eilverfahrens bei Gericht vorgelegt wurden, erfolgte die Leistungsbewilligung.
LSG kritisiert Jobcenter scharf: Bürgergeld trotz fehlender Nachweise
Der Weg zur Klage: Überprüfung scheitert
Am 20. Dezember 2022 stellte die Mutter einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X und forderte die Neubescheidung der ursprünglichen Ablehnung vom 28. Juni 2021. Diesen Antrag lehnte das Jobcenter mit der Begründung ab, das Recht sei nicht unrichtig angewandt worden und die Ablehnung beruhe auf den nicht beigebrachten, erforderlichen Nachweisen.
Nachdem der Widerspruch gegen die Ablehnung des Überprüfungsantrags ebenfalls erfolglos blieb, erhob die Mutter am 30.06.2023 Klage vor dem Sozialgericht Augsburg.
Gerichtsurteil: Mitwirkungspflicht wiegt schwer
Die Klägerin argumentierte, der Versagungsbescheid sei rechtswidrig, da die Frist zur Mitwirkung (knapp zwei Wochen) zu kurz und die Rechtsfolgenbelehrung unzureichend gewesen sei. Zudem hätte die Versagung nicht gegenüber allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft erfolgen dürfen, da die Kinder selbst keine Mitwirkungspflichten verletzt hätten.
Das Sozialgericht Augsburg (SG Augsburg, Urteil v. 08.11.2023 – S 3 AS 308/23) wies die Klage jedoch ab und folgte den Ausführungen der Mutter nicht.
- Verletzung der Mitwirkungspflicht: Das Gericht begründete die Abweisung damit, dass die Mutter ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Trotz wiederholter Aufforderungen und der eingeräumten Fristverlängerungen reichte sie die geforderten Unterlagen nicht vollständig ein.
- Folgen für minderjährige Kinder: Die Richter stellten klar, dass die Mitwirkungspflicht zwar bei den Eltern liegt, die Konsequenzen des Versagens jedoch von der gesamten Bedarfsgemeinschaft mitgetragen werden müssen. Obwohl die Kinder keine eigenen Mitwirkungspflichten verletzt hatten, führte die Nichterfüllung der Pflicht durch die Mutter zur Leistungsversagung auch für die Minderjährigen.
Fristen und Belehrung waren angemessen
Auch die weiteren Einwände der Klägerin wurden vom Gericht zurückgewiesen:
- Rechtsfolgenbelehrung: Eine gerichtliche Überprüfung befand die Rechtsfolgenbelehrung des Jobcenters als korrekt und ausreichend. Die Belehrung muss klar und verständlich die Konsequenzen einer unterlassenen Mitwirkung aufzeigen, was in diesem Fall gegeben war.
- Zumutbarkeit der Frist: Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Anforderungen des Jobcenters hinsichtlich der einzureichenden Unterlagen und der gesetzten Fristen von knapp zwei Wochen zumutbar gewesen sind.
Die Entscheidung unterstreicht, dass die konsequente Verletzung der Mitwirkungspflicht durch das verantwortliche Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft auch in Fällen mit minderjährigen Kindern eine vollständige Versagung der Bürgergeld-Leistungen rechtfertigen kann.


