Hohe Geldstrafen können das Leben von Bürgergeld-Empfängern binnen Wochen zerschlagen. Genau das wollte das Landgericht Nürnberg-Fürth verhindern. Mit Urteil vom 12.03.2024 (Az. 12 KLs 505 Js 503/22) legte die Strafkammer fest: Wer allein von Bürgergeld lebt, darf höchstens 5 € pro Tagessatz bezahlen – alles darüber schneidet zu tief ins Existenzminimum.
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Der Angeklagte betrieb einen schwungvollen Versandhandel, doch seine Umsätze tauchten in keiner Steuererklärung auf. Zwischen 2016 und 2019 schoben er und eine von ihm gesteuerte UG knapp 2 Mio. € durch PayPal-Konten sowie Freunde im Ausland. Am Ende fehlten dem Finanzamt 732.925 €. Weil der Steuertrickser mittellos blieb und längst Bürgergeld bezog, half selbst die Pfändung eines geleasten Lamborghini nicht, nennenswertes Vermögen zu sichern.
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Urteil mit Drosselklappe beim Tagessatz
Das Landgericht verurteilte den Händler wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung und zusätzlich zu 360 Tagessätzen à 5 €. Außerdem setzte es die Wertersatzeinziehung von 732.925 € fest, zahlbar in 100-Euro-Raten. Mildernd wirkten das umfassende Geständnis, die monatelange Untersuchungshaft und eine bislang weiße Weste – sie hatten jedoch keinen Einfluss auf die Höhe des einzelnen Tagessatzes. Mit 360 Tagessätzen schöpfte die Kammer das gesetzliche Höchstmaß nach § 40 Abs. 1 StGB allerdings voll aus – ein unmissverständliches Signal, wie schwer sie den Steuerschaden wog, obwohl der einzelne Tagessatz wegen der finanziellen Lage des Angeklagten nur bei 5 € Euro lag.
„Dem Angeklagten müssen 75 % des Bürgergeld-Regelbedarfs verbleiben – nur der Rest darf für die Geldstrafe abgeschöpft werden.“
Mit dieser Formel folgt das Gericht dem BayObLG (Beschl. 06.11.2023 – 204 StRR 470/23), das die 75-Prozent-Schutzschranke bayernweit verbindlich gemacht hat.
Rechenweg hinter dem Deckel
Die Tagessatzhöhe richtet sich gemäß § 40 Abs. 2 StGB nach dem monatlichen Nettoeinkommen. Für Alleinstehende gilt seit 01.01.2024 ein Bürgergeld-Regelsatz von 563 €. Davon sind 75 % – 422 € – tabu bei der Bemessung des Tagessatzes. Es bleiben 141 € für die Strafe, geteilt durch 30 Tage: 4,70 €, aufgerundet 5 €. Höher dürfe es nicht gehen, betont das Gericht, sonst drohe eine „entsozialisierende Wirkung“, die den Betroffenen tiefer in die Armut drückt.
Außerhalb Bayerns ist diese Quote zwar nicht bindend, aber auch andere Gerichte vertreten eine ähnliche Auffassung und orientieren sich an einer 70-Prozent-Grenze: So hat das Landgericht Frankfurt (Oder) mit Beschluss vom 27. Juli 2022 (24 Qs 45/22) die Tagessatzhöhe eines ALG-II-Beziehers von 20 € auf 10 € reduziert, damit ihm mindestens 70 % seines Regelbedarfs verbleiben. Bereits 2014 kam das Oberlandesgericht Braunschweig (Beschl. 19. Mai 2014 – 1 Ss 18/14) zum gleichen Ergebnis und hält Tagessätze unter 10 € ebenfalls für zulässig, solange diese Schutzgrenze von 70 % des Regelsatzes gewahrt bleibt.
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Das Urteil setzt ein klares Signal: Geldstrafen dürfen nicht zum Existenzrisiko werden. Solange kein verstecktes Vermögen auftaucht, bleibt der Tagessatz bei Bürgergeld-Empfängern praktisch bei 5 €
Selbst bei hohen Delikten muss die Justiz die wirtschaftliche Realität des Täters in den Blick nehmen. Für Bürgergeld-Empfänger bedeutet das: Solange kein verstecktes Vermögen auftaucht, bleibt der Tagessatz praktisch bei 5 € – in Bayern verbindlich, anderswo als starke Orientierung.
Gleichzeitig zeigt der Fall, dass Gerichte andere Hebel haben, um harte Signale zu senden – etwa Bewährungsauflagen und langjährige Einziehungen. Kurz: Der Lebensunterhalt bzw. das soziokulturelle Existenzminimum bleiben größtenteils gesichert, die Strafe wirkt trotzdem.
Ein Wort zur „Vorstrafe“: Die Höhe eines Tagessatzes spielt dabei keine Rolle. Maßgeblich ist ausschließlich die Anzahl der Tagessätze. Solange eine Geldstrafe 90 Tagessätze oder weniger beträgt – und keine weiteren Verurteilungen vorliegen – erscheint sie gemäß § 32 BZRG nicht im Führungszeugnis. Erst darüber hinaus gilt man im als vorbestraft.
- LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 12.03.2024 – Az.:12 KLs 505 Js 503/22