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Bürgergeld: Jobcenter muss Ermessen ausüben und begründen

Richter fällt Urteil

Mitarbeiter der Jobcenter haben in vielen Belangen freie Hand und können nach eigenem Ermessen entscheiden – etwa über eine Unterstützung von Bürgergeld Bedürftigen aus dem Vermittlungsbudget. In dem Fall muss dann auch ein Ermessen erkennbar sein und ausgeübt werden. Sich nur auf ermessenslenkende Weisungen zu berufen, reicht nicht aus und sorgt dafür, dass der Bescheid rechtswidrig ist, sagt das Sozialgericht Dortmund (Aktenzeichen S 91 AS 2584/22 vom 24. August 2023).

Streit um Fahrkosten

Der Fall, der dem Urteil zugrunde liegt, beweist gleich auf zweierlei Weise, dass Bürgergeld Bedürftige möglichst schnell und möglichst billig abgespeist werden sollen. Betroffen: Ein Arbeitsloser aus Nordrhein-Westfalen, der einen Job in Hessen gefunden hatte. Die Strecke von der Wohnung zum Arbeitsplatz: 48 Kilometer. Um sich die Fahrt mit dem Auto leisten zu können, stellte der Mann einen Antrag auf Fahrtkostenhilfe.

Bescheid strikt nach Weisung

Bewilligt wurden 200 Euro, allerdings nur für den ersten Monat (Juni 2022). Ab Juli stünde das Einkommen einer weiteren Unterstützung entgegen. Das Jobcenter sah keinen begründeten Ausnahmefall für eine weitergehende Förderung. Dabei berief man sich auf die ermessensleitenden Weisungen für Pendelfahrten. Die gehen von 0,20 Euro je Kilometer aus. Im vorliegenden Fall also 19,20 Euro am Tag. Die tatsächlichen Kosten beliefen sich allerdings auf 600 Euro.

Exkurs: Ungleichbehandlung bei Kilometerpauschale

Das ist ein hinlänglich bekanntes Problem: Bürgergeld Aufstockern, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, wird eine Pauschale von 0,20 Euro je Kilometer für die einfache Wegstrecke gewährt. Das gilt allerdings nur, wenn zumutbare öffentliche Verkehrsmittel nicht günstiger sind. Jeder andere Arbeitnehmer kann beim Finanzamt 0,30 Euro je Kilometer geltend machen, ab dem 21. Kilometer sind es 0,38 Euro.

20 Cent versus 30 Cent versus tatsächliche Ausgaben

Der Unterschied ist frappierend und summiert sich rasch auf, weil Bürgergeld Bedürftige oft längere Strecken in Kauf nehmen. Besonders ärgerlich daran: Die Kilometerpauschale von 20 Cent soll nicht nur Sprit, sondern auch Wartung, Versicherung und Co. decken. Laut Berechnungen des ADAC ergeben sich dafür allerdings schon bei Kleinwagen wie einem VW Polo Kosten von rund 39 Cent je Kilometer.

Kein Ermessen ersichtlich

Dieser Umstand hätte bei der Ermessensentscheidung zu den Fahrkosten und damit einer Einzelfallprüfung berücksichtigt werden können und müssen. Da im vorliegenden Fall aus Sicht des DGB Rechtsschutzbüros Siegen allerdings kein Ermessen ausgeübt worden war, klagte man vor dem Sozialgericht Dortmund und bekam Recht.

Gemäß § 16 SGB II in Verbindung mit § 44 SGB III können Bürgergeld Bedürftige gefördert werden, wenn sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung annehmen. In dem Kontext müssen die angemessenen Kosten übernommen werden, sofern der Arbeitgeber nicht dafür aufkommt. Darüber habe das Jobcenter im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden.

Entscheidend ist die Begründung

Maßgeblich dabei: Die Ermessenentscheidung muss begründet sein und die Gesichtspunkte, nach denen entschieden wurde, erkennen lassen. Oder anders ausgedrückt: Erforderlich ist eine Darlegung der Entscheidung, die sich explizit auf den jeweiligen Einzelfall bezieht – inklusive der Abwägung aller Interessen. Ermessensleitende Weisungen können dabei, so das Sozialgericht Dortmund, als Entscheidungsmaßstab dienen, um eine Gleichbehandlung zu gewährleisten. Gleichwohl müsse genug Raum für eigenes Ermessen bleiben.

Ermessensnichtgebrauch durch das Jobcenter

Hinsichtlich der Fahrkosten befand das Gericht, es sei kein Ermessen ausgeübt worden. Man warf dem Jobcenter Ermessensnichtgebrauch vor. 200 Euro entsprächen zwar dem Maximalwert der Weisung. Die wiederum stelle nur eine Orientierungshilfe dar. Die Erwägung, warum dieser Betrag und keine höhere Leistung bewilligt worden war, sei nicht dargelegt worden. Bloß auf die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu verweisen, stelle lediglich eine Leerformel dar. Tatsächlich sei kein Ermessen ersichtlich, weshalb der Bescheid aufgehoben wurde.

Bild: TSViPhoto/ shutterstock