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BSG stärkt Bürgergeld-Bedürftige: Jobcenter verliert 10.500 Euro

Richter in Robe hält Hammer und zeigt Daumen nach unten als Symbol für das Scheitern der Jobcenter-Forderung

Das Bundessozialgericht (BSG) hat eine wichtige Entscheidung für Empfänger von Bürgergeld (demnächst „Grundsicherungsgeld“) getroffen, die weitreichende Konsequenzen für Jobcenter und Betroffene hat: Jahralte Rückforderungen verjähren deutlich schneller als zunächst angenommen, wenn das Jobcenter untätig bleibt. Nach einem erfolglosen Pfändungsversuch setzt eine kurze, vierjährige Verjährungsfrist ein.

Das BSG bestätigte unter dem Aktenzeichen B 7 AS 17/24 R, dass Jobcenter alte Schulden nur dann 30 Jahre lang eintreiben dürfen, wenn sie innerhalb der vierjährigen Frist einen neuen, eigenständigen Verwaltungsakt (Bescheid) erlassen, der die Forderung erneut feststellt oder vollstreckt. Ein bloßer fruchtloser Pfändungsversuch verlängert die Frist nicht.

Bürgergeld-Rückforderung verfällt trotz Mahnung des Jobcenters

Der Fall: 10.500 € nach Jahren der Funkstille

Auslöser war der Streit um eine Rückforderung in Höhe von 10.500 € gegen eine Leistungsberechtigte aus dem Jahr 2009.

  1. Jobcenter Köln forderte die Leistung für den Zeitraum 2007/2008 zurück.
  2. Im Februar 2010 versuchte das Hauptzollamt, die Schulden zu pfänden – vergeblich. Die Pfändungsniederschrift vermerkte „kein pfändbares Guthaben“.
  3. Danach herrschte jahrelang „Funkstille“.
  4. Erst 2021, also über 11 Jahre später, forderte das Jobcenter die 10.500 € erneut.

Die Betroffene berief sich auf die vierjährige Verjährungsfrist (§ 50 Abs. 4 SGB X), die ab der Pfändung erneut zu laufen begonnen hatte. Das Jobcenter hielt die 30-jährige Frist (§ 52 Abs. 2 SGB X) für anwendbar und argumentierte, das Pfändungsprotokoll hätte den Anspruch „tituliert“.

Jobcenter scheitert in allen drei Instanzen

Die Leistungsempfängerin klagte und gewann in allen drei Instanzen.

  • Sozialgericht Köln (S 44 AS 3659/21, 06.02.2023): Stellt die Verjährung der Forderung fest.
  • Landessozialgericht NRW (L 12 AS 400/23, 20.03.2024): Weist die Berufung des Jobcenters zurück.
  • Bundessozialgericht (B 7 AS 17/24 R, 04.06.2025): Bestätigt die Entscheidungen der Vorinstanzen. Das BSG stellte fest: Die Forderung war bereits am 10.02.2014 verjährt.

Das Gericht stellte klar, dass eine Niederschrift über einen erfolglosen Pfändungsversuch lediglich eine Wissenserklärung sei. Ihr fehle die notwendige Regelungswirkung eines Verwaltungsakts. Daher löse sie weder die 30-jährige Verjährung aus, noch hemme sie die kurze, vierjährige Frist.

Was bedeutet das Urteil für Betroffene?

Das Urteil schafft Klarheit und erhöht die Rechtssicherheit für alle Bürgergeld-Empfänger:

  • Kurze Frist: Die Standard-Verjährungsfrist für Erstattungsansprüche beträgt vier Jahre.
  • Entscheidender Zeitpunkt: Bleibt ein Pfändungsversuch erfolglos, beginnt die vierjährige Frist erneut zu laufen.
  • Prüfungsbedarf: Betroffene, die mit alten Rückforderungen konfrontiert sind, sollten unbedingt prüfen: Wann erging der letzte wirksame Bescheid? Ist dieser länger als vier Jahre her und gab es seither keine wirksame Durchsetzungsmaßnahme, ist die Forderung wahrscheinlich verjährt.

Jobcenter handelt wider besseren Wissens

Die Niederlage ist für das Jobcenter besonders brisant, da die Behörde gegen die bereits etablierte Rechtslage und eigene interne Anweisungen handelte.

Das Prozessrisiko war dem Jobcenter bereits seit 2021 bekannt: Das BSG hatte bereits mit Urteil vom 04.03.2021 (Az.: B 11 AL 5/20 R) klargestellt, dass nur ein zusätzlicher Verwaltungsakt die lange Verjährung auslöst. Nach diesem Urteil erließ die Bundesagentur für Arbeit die Weisung 202108003 („Verjährung von Erstattungsforderungen“), die intern die 30-Jahres-Praxis explizit aufhob. Die Jobcenter waren angewiesen, die Verjährungsfrist in den IT-Systemen auf die korrekte vierjährige Frist umzustellen.

Trotz dieser klaren Vorgaben und der bereits negativen Urteile in den Vorinstanzen (SG und LSG) zog die Behörde den Fall bis zur höchsten Instanz durch. Das Jobcenter nutzte die Revision, um die Pfändungsniederschrift doch noch als einen Verjährung verlängernden Verwaltungsakt anerkennen zu lassen – scheiterte damit jedoch. Dieses unnötige Prozessrisiko verschlang öffentliche Mittel und führte lediglich dazu, dass die 10.500 € der Forderung endgültig verloren gingen.