Zum Inhalt springen

Bürgergeld trotz Einkommen: Vater trickst – Sohn muss zahlen

Symbolbild Bürgergeld-Rückforderung: Geld und Unterschrift als Sinnbild für die Frage, wer bei falschen Angaben Verantwortung trägt

Ein Vater verschwieg dem Jobcenter wiederholt das Einkommen seines Sohnes – im ursprünglichen Bürgergeld-Antrag wie auch in Folgeanträgen. Das Amt zahlte dadurch zu viel – und forderte später fast 1.900 € zurück, direkt vom Sohn. Der sah sich dafür nicht in der Verantwortung, da er die Unterlagen nicht selbst ausgefüllt hatte. Das warf die Frage auf, ob der Sohn für falsche Angaben geradestehen muss, die der Vater in seinem Namen machte. Bis hin zum Bundessozialgericht lautete die Antwort: Ja.

Bürgergeld trotz eigenem Einkommen

Der volljährige Sohn lebte mit seinem Vater in einer Bürgergeld-Bedarfsgemeinschaft. Mit Beginn einer Ausbildung erhielt er zusätzlich eine monatliche Vergütung vom Arbeitgeber. Dieses Einkommen hätte bei der Ermittlung des Bürgergelds bedarfsmindernd angerechnet werden müssen. In den Anträgen – auch in den Folgeanträgen – tauchte es jedoch nicht auf. Der Vater, der die Unterlagen für seinen Sohn ausfüllte, verschwieg die Ausbildungsvergütung kurzerhand. So bewilligte das Jobcenter weiterhin SGB-II-Leistungen, die dem Sohn in dieser Höhe gar nicht zustanden.

Bürgergeld Betrug: Bei Vollmacht haftet man für Taten des Partners

Mehrere Monate lang blieb der „Fehler“ unentdeckt. Das änderte sich erst, als ein neuer Bewilligungszeitraum anstand und das Jobcenter im Rahmen der Überprüfung Gehaltsabrechnungen verlangte. Der Sohn legte diese auch vor – und damit wurde sichtbar, dass sein Einkommen bislang nicht berücksichtigt worden war.

Die Folge: Die ursprünglichen Bescheide waren von Anfang an auf falschen Tatsachen aufgebaut. Das Jobcenter nahm sie rückwirkend zurück und forderte für den betroffenen Zeitraum insgesamt 1.894 € zurück.

Widerspruch beim Jobcenter

Nach dem Rückforderungsbescheid legte der Sohn Widerspruch ein. Er betonte, er selbst habe nichts verschwiegen. Schließlich habe er seine Gehaltsabrechnungen beim Jobcenter eingereicht und sei deshalb davon ausgegangen, dass das Amt über seine Ausbildungsvergütung längst Bescheid wisse. Die Verantwortung liege somit allein bei seinem Vater, der die Anträge ausgefüllt habe. Das Jobcenter sah das anders und wies den Widerspruch zurück. In seiner Begründung hieß es:

  • Die Ausbildungsvergütung sei eindeutig Einkommen und mindere den Anspruch auf Bürgergeld.
  • Weil dieses Einkommen im Antrag nicht angegeben wurde, beruhten die ursprünglichen Bewilligungen auf falschen Tatsachen und seien von Anfang an rechtswidrig gewesen.
  • Der Sohn sei Leistungsempfänger und habe bewusst zugelassen, dass sein Vater für ihn auftrat. Deshalb müsse er sich dessen Falschangaben zurechnen lassen.

Das Jobcenter verwies zudem auf die Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I: Wer Bürgergeld bezieht, muss unter anderem sein Einkommen – genauer: alle für die Leistung erheblichen Tatsachen – angeben. Weil der Sohn volljährig war und selbst leistungsberechtigt, galt diese Pflicht für ihn persönlich – und dass sein Vater die Anträge im Auftrag ausfüllte, entband ihn nicht von dieser Verantwortung.

Sozialgericht: erster Erfolg für den Sohn

Nach der Ablehnung des Widerspruchs zog der Sohn vor das Sozialgericht Hannover. Dort brachte er mehrere Einwände gegen die Rückforderung vor:

  • Er selbst habe nie falsche Angaben gemacht.
  • Vor Erlass des Bescheids sei er gar nicht ordnungsgemäß angehört worden.
  • Außerdem sei der Bescheid nicht hinreichend bestimmt.

Die Richter gaben dem jungen Mann Recht – allerdings aus rein formalen Gründen (S 7 AS 2927/15). Der Bescheid sei unklar gewesen, für welche Monate und in welcher Höhe Leistungen zurückgefordert würden. Zudem fehlte eine nachvollziehbare Begründung, wie sich der Rückforderungsbetrag zusammensetzte. Der Sohn habe also nicht eindeutig erkennen können, was ihm konkret vorgeworfen wurde.

Folge: Das Sozialgericht hob den Rückforderungsbescheid auf. Für den Sohn war das ein Etappensieg – doch die Frage seiner Verantwortung war damit noch nicht geklärt.

Kehrtwende vor dem Landessozialgericht

Das Jobcenter nahm die Entscheidung des Sozialgerichts nicht hin und legte Berufung ein. Vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (L 11 AS 239/18) wendete sich das Blatt: Die Richter gaben diesmal dem Jobcenter Recht. Ihre Begründung:

  • Bestimmtheit: Der Rückforderungsbescheid war hinreichend bestimmt. Dass die exakte Aufschlüsselung erst im Widerspruchsbescheid erfolgte, reiche aus.
  • Rechtswidrigkeit von Anfang an: Die Bewilligungen beruhten auf falschen Tatsachen – das Einkommen aus der Ausbildung war vorhanden, wurde aber verschwiegen. Damit waren die Bescheide von Anfang an rechtswidrig und durften nach § 45 SGB X zurückgenommen werden.
  • Fehlende Anhörung: Selbst wenn das Jobcenter den Sohn vor Erlass des Bescheids nicht richtig angehört habe, könne dieser Fehler im Widerspruchsverfahren geheilt werden.
  • Zurechnung: Ausschlaggebend war zudem, dass der Sohn volljährig war und selbst Leistungen erhielt. Damit konnte er die Verantwortung nicht auf seinen Vater abwälzen. Er musste sich dessen Handeln anrechnen lassen.

Auf Vertrauensschutz konnte sich der Sohn nicht berufen. Nach Auffassung des Gerichts hätte er erkennen müssen, dass seine Ausbildungsvergütung als Einkommen anzugeben ist. Das Verschweigen werteten die Richter als grob fahrlässig. Damit hob das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts auf und bestätigte die Rückforderung des Jobcenters.

Bundessozialgericht: Endgültige Entscheidung

Der Sohn ging schließlich in Revision zum Bundessozialgericht – ohne Erfolg (B 4 AS 46/20 R). Die obersten Sozialrichter bestätigten die Entscheidung des Landessozialgerichts in allen Punkten und machten noch einmal klar, worauf es ankommt.

  • Anhörung: Zwar hatte das Jobcenter den Sohn vor Erlass des Rückforderungsbescheids nicht korrekt angehört. Dieser Mangel sei aber nach § 41 SGB X im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Ein formaler Fehler ändere daher nichts an der Wirksamkeit der Rückforderung.
  • Rechtsgrundlage: Die ursprünglichen Bewilligungen seien auf falschen Tatsachen ergangen, weil das Einkommen verschwiegen wurde. Solche Bescheide seien von Anfang an rechtswidrig und dürfen nach § 45 SGB X rückwirkend aufgehoben werden.
  • Kein Vertrauensschutz: Das Bundessozialgericht bestätigte diese Sicht und verwies auf die vorgelegten Gehaltsabrechnungen als Nachweis des vorhandenen Einkommens. Auf Vertrauensschutz konnte sich der Sohn nicht berufen, weil ihm – über die Zurechnung der Angaben seines Vaters – jedenfalls grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist.
  • Zurechnung: Das BSG schloss sich der Vorinstanz an: Weil der Sohn volljährig war und einen eigenen Anspruch auf Bürgergeld hatte, musste er auch selbst für die Angaben in seinen Anträgen einstehen.

Das Bundessozialgericht formulierte dazu ausdrücklich: „Wer es duldet, dass ein Dritter für ihn wie ein Vertreter auftritt, muss sich dessen Verhalten zurechnen lassen. Dies entspricht den Grundsätzen einer Duldungsvollmacht.“

Mit diesem klaren Hinweis schloss das Bundessozialgericht den Fall ab: Der Sohn haftet für die verschwiegene Ausbildungsvergütung und muss somit knapp 1.900 € an das Jobcenter zurückzahlen.

Ähnliche Entscheidungen – Anderer Kontext, gleiche Logik

Eine Witwe unterschrieb einen Rentenantrag „blind“, den ein Versichertenberater für sie ausgefüllt hatte. Dabei wurde eigenes Einkommen verschwiegen. Das Gericht wertete das als grob fahrlässig und bestätigte die Rückforderung der zu viel gezahlten Witwenrente. (L 10 R 2383/22)

Ein „blind“ unterschriebener Antrag mit falschen Angaben führte zur Rückforderung. Die Richter sahen grobe Fahrlässigkeit und rechneten die Fehler dem Antragsteller zu. (L 7 AL 101/11)

Ein Mann füllte die Sozialhilfe-Anträge auch für seine Frau aus und machte dabei falsche Angaben. Es kam zu Rückforderungen. Die Frau hatte nichts unterschrieben und wollte deshalb nicht haften. Weil sie wusste und duldete, dass er in ihrem Namen handelte, musste sie sich seine Angaben zurechnen lassen. (B 8 SO 20/18 R)

Für einen Versicherten wurden bei der Unfallversicherung Leistungen beantragt – allerdings durch jemanden ohne echte Vollmacht. Der Mann wehrte sich später mit dem Hinweis, er habe das nie selbst beantragt. Das BSG entschied: Weil der Eindruck bestand, dass er das Handeln duldete, musste er sich die Anträge zurechnen lassen. (B 2 U 19/15 R)

Ein Arbeitsloser übersah offensichtliche Fehler in seinen Unterlagen und berief sich später auf Vertrauensschutz. Das BSG entschied: Wer Formulare „blind“ unterschreibt oder grob fahrlässig handelt, kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen (B 11 AL 21/00 R).

Ausreden schützen nicht

„Das war ich nicht“ zieht vor Gericht meist nicht. Wer volljährig – und damit mündig – ist, bleibt für Unterlagen im eigenen Namen verantwortlich – auch wenn andere sie ausfüllen. Verantwortung kann man eben nicht einfach abwälzen, weder beim Bürgergeld noch bei Verträgen. Deshalb gilt: Immer prüfen, was man unterschreibt oder einreichen lässt.