Das Bundessozialgericht hat aktuell entschieden, dass ein Jobcenter einen vorläufig bewilligten Bürgergeld‑Bescheid nach Ablauf des Bewilligungszeitraums nicht mehr rückwirkend aufheben darf. Stattdessen müsse das Amt den gesetzlich vorgesehenen Weg der Schlussabrechnung gehen. Das Urteil stärkt die Rechtssicherheit für Leistungsempfänger, da nachträgliche Überraschungs‑Rückforderungen damit für unzulässig erklärt werden.
Bürgergeld vorläufig bewilligt
Der Kläger – ein 51‑jähriger Alleinstehender, der sich mit wechselnden Aufträgen selbständig über Wasser hielt – beantragte Mitte 2020 wegen wegbrechender Einnahmen Bürgergeld. Weil seine künftigen Einkünfte aus Selbstständigkeit schwer einzuschätzen waren, bewilligte das Jobcenter Freiburg die Leistung für Juli bis Dezember 2020 nur vorläufig und orientierte sich an einer Prognose von monatlich 100 € Gewinn aus der Selbständigkeit. Diese Vorläufigkeit entsprach zudem der Sonderregel gemäß § 67 SGB II, wonach Jobcenter eine endgültige Abrechnung erst auf Antrag des Leistungsberechtigten vornehmen mussten.
Bürgergeld-Bescheid nicht eindeutig – BSG streicht Forderung des Jobcenters
§ 67 SGB II wurde im März 2020 als Teil des Sozialschutz‑Pakets (Pandemie-Sonderregel) eingeführt und galt bis 31. Dezember 2021. Er erleichterte den Zugang zu Bürgergeld, indem er unter anderem erlaubte, vorläufig bewilligte Leistungen nur auf Antrag des Leistungsberechtigten endgültig abzurechnen.
Am 6. Oktober 2020 unterschrieb der Mann einen befristeten Arbeitsvertrag, am 6. November 2020 flossen ihm aus dieser Tätigkeit 1.598,42 € Nettolohn aufs Konto. Obwohl das Jobcenter davon am 17. Dezember 2020 durch einen Kontoauszug erfuhr, passte es die vorläufige Bewilligung nicht an sondern erließ am 13. Januar 2021 einen neuen Bescheid nach § 48 SGB X: Die Bewilligung für November 2020 wurde rückwirkend aufgehoben und die bereits ausgezahlten 919,80 € Bürgergeld (432 € Regelbedarf + 487,80 € Wohnkosten) zurückgefordert. Zur Begründung hieß es, das zugeflossene Einkommen decke den gesamten Bedarf, deshalb habe im November keine Hilfebedürftigkeit und damit kein Anspruch auf Bürgergeld mehr bestanden.
Widerspruch und Klage
Der Kläger legte Widerspruch ein, weil er die Aufhebung „über den falschen Paragraphen“ für unzulässig hielt: Nach Ablauf des Bewilligungszeitraums müsse das Jobcenter eine Schlussabrechnung gemäß § 41a Abs. 3 SGB II erstellen und dürfe nicht auf die allgemeinere Aufhebungsvorschrift des § 48 SGB X ausweichen. Das Jobcenter blieb bei seiner Einschätzung – und so zog der Leistungsempfänger vor Gericht.
Vor dem Sozialgericht Freiburg (S 16 AS 612/21) blieb der Kläger zunächst erfolglos, das Gericht teilte die Sicht des Jobcenters und hielt die Aufhebung nach § 48 SGB X für wirksam. Das Landessozialgericht Baden‑Württemberg (L 3 AS 2081/23) bestätigte diese Ansicht: Weil das neue Einkommen nicht der ursprüngliche Grund für die Vorläufigkeit gewesen sei, dürfe das Jobcenter die Bürgergeld Bewilligung rückwirkend aufheben und das Geld erstatten lassen. Erst die vom LSG zugelassene Revision brachte den Fall vor das Bundessozialgericht.
BSG kippt Rückforderung
Das BSG (B 7 AS 19/24 R vom 16.07.2025) hob die Entscheidungen der beiden Vorinstanzen auf. Maßgeblich sei § 41a Abs. 3 und 5 SGB II: Nach Ende einer vorläufigen Bewilligung dürfe das Jobcenter eventuelle Überzahlungen nur durch eine abschließende Feststellung korrigieren. Allgemeine Korrekturvorschriften wie § 48 SGB X seien dann „gesperrt“, weil § 41a SGB II Vorrang habe. Auch § 67 SGB II eröffne keinen Rückgriff auf § 48 SGB X. Damit war die Rückforderung von 919,80 € unzulässig, der Kläger muss nichts zurückzahlen.