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Tafel-Lebensmittel beim Bürgergeld anrechnungsfrei

Tisch mit Lebensmitteln bei der Tafel zur Ausgabe an Bürgergeld-Bedürftige

Die Regelsätze des Bürgergeldes sind so knapp bemessen, dass immer mehr Leistungsbezieher ergänzend Lebensmittelspenden annehmen müssen. Nach den jüngsten Zahlen des Dachverbands Tafel Deutschland versorgen sich inzwischen rund 1,5 Millionen Menschen regelmäßig bei bundesweit fast 1.000 Ausgabestellen – 48 Prozent davon beziehen Bürgergeld. Die Nachfrage ist so groß, dass viele Tafeln zeitweise Aufnahmestopps verhängen. Allein diese Entwicklung belegt ein strukturelles Defizit: Der staatlich definierte Regelbedarf deckt den Alltag oft nicht mehr ab.

Die Statistik gibt den Betroffenen recht. Im Regelsatz entfällt lediglich gut ein Drittel – rund 35 Prozent – auf „Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke“. Wer allein davon sieben Tage pro Woche drei Mahlzeiten finanzieren soll, gerät spätestens bei steigenden Preisen in Schieflage, wie die vergangenen Jahre gezeigt haben.

Bedarf im Regelsatz

Für Alleinstehende beträgt der Regelbedarf 563 € im Monat. Davon entfallen laut der amtlichen Aufschlüsselung nach EVS-Abteilungen 195,35 € auf „Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke“ – rund 34,7 % des Regelbedarfs.

Regelbedarfs­stufeMonatlichPro Tag
1 – Alleinstehende / Alleinerziehende195,35 €6,52 €
2 – Partner in Bedarfsgemeinschaft (je Person)175,98 €5,87 €
3 – Erwachsene unter 25 im Elternhaushalt156,50 €5,22 €
4 – Jugendliche 14 – 17 Jahre207,83 €6,93 €
5 – Kinder 6 – 13 Jahre152,83 €5,09 €
6 – Kinder 0 – 5 Jahre117,15 €3,91 €

Tafeln füllen diese Lücke, ohne sie jedoch schließen zu können. Die Spendenmenge variiert stark, üblicherweise erhält jede registrierte Person einmal pro Woche ein Paket, das höchstens einige Tage reicht. Ganz gleich, wie knapp das Haushaltsbudget ist: Eine Vollversorgung allein durch Spenden ist praktisch ausgeschlossen.

Jobcenter verweigert Bürgergeld wegen Lebensmittelspenden

Tafel Spenden gesetzlich vor Anrechnung geschützt

Trotz ihres wachsenden Einflusses bleiben Tafeln privatrechtliche Vereine, die sich aus Spenden und ehrenamtlicher Arbeit finanzieren und keine öffentliche Mittel beanspruchen – um unabhängig zu bleiben. Damit gelten ihre Lebensmittel­ausgaben als „Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege“. § 11a Abs. 4 SGB II stellt klar, dass solche Zuwendungen nicht als Einkommen angerechnet werden, solange sie die wirtschaftliche Lage nicht so weit verbessern, dass Bürgergeld entfallen müsste. Die Bundesagentur für Arbeit konkretisiert den Schutz in ihren Fachlichen Weisungen: Rz. 11.96 nennt Tafel-Spenden ausdrücklich anrechnungsfrei.

Der durchschnittliche Zahlbetrag für einen alleinstehenden Bürgergeld-Empfänger (Regelbedarf + Wohn- und Heizkosten + eventuelle Mehrbedarfe), liegt aktuell bei 1.048 € im Monat. Der gesamte Lebensmittelanteil macht damit nur etwa 18,6 % dieser monatlichen Gesamtleistungen aus (195 € von 1.048 €). Selbst wenn also sämtliche Lebensmittel gratis wären, blieben immer noch mehr als 80 % der Bedarfssumme – vor allem Miete, Energie, Kleidung, Mobilität – offen. Die Lebensmittel der Tafel können den Bürgergeld Bezug demnach nicht so günstig beeinflussen, dass Leistungen nach dem SGB II entfallen würden.

1.050 Euro Bürgergeld – so viel bekommen Alleinstehende vom Jobcenter im Monat

Unkostenbeitrag statt Kaufpreis

Für jede Ausgabe zahlen Nutzer üblicherweise ein bis drei Euro. Dieser symbolische Unkostenbeitrag deckt Transport, Kühlung und Mietkosten – er ist kein Kaufpreis. Weil der Betrag beim Empfänger abgeht und nicht zufließt, entfällt auch hier jede Anrechnung. Gleichzeitig unterstreicht die symbolische Gebühr die Knappheit der Ressourcen: Ohne Spenden und Ehrenamt ließen sich die Ausgaben nicht finanzieren.

Keine Auskunftspflicht gegenüber dem Jobcenter

Leistungsbezieher müssen nur Änderungen melden, die den Anspruch beeinflussen können. Da Tafel-Spenden rechtlich privilegiert und außerdem mengenmäßig begrenzt sind, besteht keine Pflicht, ihre Inanspruchnahme mitzuteilen. Auch Anfragen der Jobcenter würden ins Leere laufen: Tafeln geben aus Datenschutzgründen keine personenbezogenen Daten heraus.

Wenn Behörden doch kürzen

Vereinzelt versuchen Verwaltungsträger, Spenden als fiktives Einkommen zu verbuchen. 2019 rechnete ein Berliner Wohngeldamt dem Antragsteller den geschätzten Wert seiner Tafel-Lebensmittel an und kürzte die Leistung – der Bescheid wurde kurze Zeit später aufgehoben (wir berichteten über diesen Fall). Auf sozialgerichtlicher Ebene stärkt das Bundessozialgericht den Schutz: In einem Urteil von 2013 stellte es klar, dass private Wohlfahrtszuwendungen den Staat nicht von seiner Leistungspflicht entbinden dürfen.

Kommt dennoch ein Kürzungsbescheid, stehen Betroffenen drei Schritte offen.

  1. Widerspruch innerhalb eines Monats unter Hinweis auf § 11a Abs. 4 SGB II und die Fachlichen Weisungen.
  2. Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht, falls das Geld sofort fehlt.
  3. Klage in der Hauptsache, die nach den bisherigen Entscheidungen gute Erfolgsaussichten bietet.

Tafeln als unbeabsichtigter Stützpfeiler

Je größer die Abhängigkeit von Spenden, desto deutlicher tritt das Spannungsverhältnis zutage: Eigentlich soll der Regelsatz das Existenzminimum sichern, doch die Wirklichkeit zeigt ein anderes Bild. Was als vorübergehende Ergänzung gedacht war, entwickelt sich zum festen Bestandteil des Überlebensalltags vieler Bürgergeld Empfänger – ohne dass der Staat Verantwortung dafür übernimmt. Die konsequente Nicht­anrechnung der Spenden schützt zwar vor Leistungskürzungen, ändert aber nichts an der zugrunde liegenden Unterdeckung. Solange das Bürgergeld nicht bis zum Monatsende reicht, bleiben die Tafeln unverzichtbar – freiwillig organisiert, unbeabsichtigt systemrelevant und ein fortlaufender Hinweis auf die Lücken im deutschen Grundsicherungssystem.

Tafeln in Deutschland – Statistik

Die nachfolgende Grafik zeigt, wie sich die Tafeln seit der Gründung entwickelt haben. Besondern auffällig ist der Sprung von 2005 auf 2026 – als Hartz IV eingeführt wurde, der Vorgänger des heutigen Bürgergeldes.

tafeln deutschland 1993 bis 2025

Quellen: