CSU-Chef Markus Söder will alle in Deutschland lebenden Ukrainer vom Bürgergeld ausschließen und in das Asylbewerberleistungsgesetz zurückstufen. Der Vorstoß fällt mitten in die Haushaltsberatungen, erhält Rückhalt von Teilen der Union und stößt bei SPD und Grünen auf scharfe Kritik. Ein Blick auf Zahlen, Kosten und die Integration zeigt, wie komplex das Thema tatsächlich ist.
Söders Forderung und das Echo in der Union
Im ZDF-„Berlin direkt“-Sommerinterview am 3. August 2025 erklärte Söder, es müsse „kein Bürgergeld mehr geben für all diejenigen, die aus der Ukraine gekommen sind – nicht nur für künftige, sondern für alle“. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Kanzleramtschef Thorsten Frei (beide CDU) unterstützen die Linie mit dem Hinweis, nur jeder dritte Ukrainer in Deutschland arbeite, während es in Polen oder den Niederlanden deutlich mehr seien.
Der CSU-Vorstoß reiht sich in Forderungen aus der eigenen Partei: Bereits am 30. Juli hatte CSU-Politiker Stephan Mayer ein Bürgergeld-Aus speziell für Männer im wehrfähigen Alter verlangt. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese entgegnet, das Einsparpotenzial sei „überschaubar“, die Umstellungskosten dagegen „erheblich“. Grünen-Chef Felix Banaszak wirft Söder Symbolpolitik vor. Finanzminister und SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil erinnert an den schwarz-roten Koalitionsvertrag, der bereits festhält: Nur Ukrainer, die ab 1. April 2025 neu einreisen, sollen in das Asylbewerberleistungsgesetz wechseln. Eine rückwirkende Umstellung „steht nicht im Vertrag und würde enorme Reibungsverluste erzeugen“, so Klingbeil.
Kein Bürgergeld mehr für wehrpflichtige Ukrainer
Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke nennt den Vorschlag in einem BR-Interview eine bewusst angefachte „Sozialneid-Debatte“: Söder lenke damit von eigenen Versäumnissen ab, während CDU-Kanzler Friedrich Merz schweige, um den Koalitionsfrieden nicht weiter zu strapazieren und die angeschlagene SPD nicht weiter zu demontieren.
Warum Ukrainer Bürgergeld erhalten
Ukrainer besitzen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG. Die EU-Massenzustromrichtlinie 2001/55/EG garantiert damit sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt und, seit 1. Juni 2022, zur Grundsicherung nach SGB II – dem Bürgergeld. Ein nachträglicher Ausschluss wäre nur per Bundesgesetz möglich und müsste europäisches Gleichbehandlungsrecht beachten.
Das zahlenmäßige Bild
Die nachfolgenden Diagramme auf Basis der BA-Statistik zeigen: Seit Februar 2023 (697.050 ) bleibt die Zahl ukrainischer Bürgergeld-Empfänger konstant bei etwa 700.000 – aktuell sind es für April 2025 693.420 Personen. Davon gelten 71,7 % (Frauen: 45,8 %; Männer: 26 %) als erwerbsfähig, 28,3 % sind Kinder oder gesundheitlich eingeschränkte Personen.
- Gesamtbestand Bürgergeld (April 2025): 5,29 Mio. Regelleistungsberechtigte
- Ukrainischer Anteil: 13 % aller Empfänger – aber 27 % aller ausländischen Bezieher
- Anteil an der ausländischen Bevölkerung: 1,27 Mio. Ukrainer auf 12,2 Mio. Ausländer = rund 10 %
Die Kombination – zehn Prozent Bevölkerungsanteil, aber ein Viertel der ausländischen Bürgergeldfälle – erklärt, warum Ukrainer in der Sozialdebatte besonders sichtbar sind.
Beschäftigung: Deutschland hinkt hinterher
Laut Bundesagentur für Arbeit standen im Mai 2025 279.000 Ukrainer in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, das sind rund 30 Prozent der erwerbsfähigen Gruppe. . Zum Vergleich:
- Niederlande: 59 % der Ukrainer hatten am 1. November 2024 einen Job
- Polen: 65 % Beschäftigungsquote, die höchste in der OECD
Hürden in Deutschland
Warum gelingt der Einstieg hierzulande schlechter? Forschung von BA und IAB nennt drei strukturelle Faktoren:
- Kinderbetreuung: Drei Viertel der erwachsenen Flüchtlinge sind Frauen, viele alleinerziehend. Die U-3-Betreuungsquote liegt bundesweit bei 23 Prozent.
- Sprache und Anerkennung: Integrations- und Berufssprachkurse starten oft erst Monate nach Ankunft – die Anerkennung ukrainischer Berufsabschlüsse dauert im Schnitt zwölf Monate.
- Bürokratischer Vermittlungsweg: Jobcenter vermittelten laut BA-Befragung nur sieben Prozent der ersten Stellen – der Rest kam über private Netzwerke oder Zeitarbeit zustande.
Polen und die Niederlande verzichten auf Arbeitserlaubnisse, setzen auf unbürokratische Anmeldung und eine dichte Zeitarbeitsstruktur – Faktoren, die die Quote dort steigen lassen.
Was ein Wechsel ins Asylbewerberrecht bedeuten würde
Der Bürgergeld-Regelsatz für Alleinstehende läge bei 441 € statt 563 € bzw. 397 € anstatt 506 € bei Partnern – eine vierköpfige Familie verlöre monatlich rund 350 bis 400 €. Unterkunfts- und Heizkosten blieben.
| Bedarf | Leistungen Bürgergeld | Leistungen Asylbewerber | Differenz |
|---|---|---|---|
| Regelbedarf für Alleinstehende/ Alleinerziehende (Regelbedarfsstufe 1) | 563 € | 441 € | -122 € |
| Volljährige Partner innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft (Regelbedarfsstufe 2) | 506 € | 397 € | -109 € |
| RL unter 25-Jährige im Haushalt der Eltern (Regelbedarfsstufe 3) | 451 € | 353 € | -98 € |
| Kinder 14 bis 17 Jahre (Regelbedarfsstufe 4) | 471 € | 391 € | -80 € |
| Kinder von 6 bis 13 Jahre (Regelbedarfsstufe 5) | 390 € | 327 € | -63 € |
| Kinder 0 bis 5 Jahre (Regelbedarfsstufe 6) | 357 € | 299 € | -58 € |
Ein Wechsel der Leistungsträger ist nicht ohne. Einen konkreten Euro-Betrag legt das Bundesarbeitsministerium bislang nicht offen. Kommunale Spitzenverbände warnen jedoch eindringlich vor der Last eines Rechtskreiswechsels. Der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Ralph Spiegler, hält den administrativen Aufwand für „unvertretbar hoch“ und betont, man dürfe die Verwaltungen nicht mit Rückabwicklungen überfordern. Auch der CDU-Sozialpolitiker Dennis Radtke bezweifelt, dass eine mögliche Einsparung „in einem vertretbaren Verhältnis zum Verwaltungsaufwand“ stünde.
Jobcenter verlören zugleich das Mandat zur Arbeitsvermittlung. Arbeitsmarktforscher warnen, dass die Umstellung die ohnehin niedrige Beschäftigungsquote weiter drücken könnte – ausgerechnet der Punkt, den Söder als Hauptargument anführt.
Einordnung
Die Statistik zeigt: Ukrainer sind im Bürgergeld überrepräsentiert, weil sie erst seit 2022 zugewandert sind und vielfach aufgrund von Kinderbetreuung, Sprachbarrieren und Anerkennungsverfahren noch nicht arbeiten können. Ein Leistungskürzungsgesetz, welches den Weg in die Asylbewerberleistungen ebnen würde, würde diese strukturellen Hindernisse nicht beseitigen, aber die Integrationsinstrumente der Jobcenter schwächen. Sinnvoller wäre demnach nicht eine Diskussion, wie man den vielfach gut bis sehr gut ausgebildeten Flüchtlingen aus der Ukraine das Geld kürzen kann – da es schon verwaltungstechnisch eine Milchmädchenrechnung wäre – sondern wie man diese besser in den Arbeitsmarkt integriert.
zusätzliche Quellen:
Titelbild: Ryan Nash Photography / shutterstock


