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Jobcenter befangen? Bürgergeld Empfänger haben keinen Anspruch auf anderen Sachbearbeiter

frustrierter Bürgfergeld Empfänger rauf sich die Haare. Stapel Post vom Jobcenter vor ihm

Bürgergeld-Empfänger können das Jobcenter nicht dazu verpflichten, ihren Fall einem anderen Sachbearbeiter zuzuweisen – selbst dann nicht, wenn sie Befangenheit und Willkür unterstellen. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat diese Linie bestätigt und zugleich erläutert, wie mit Befangenheitsvorwürfen umzugehen ist.

Meldeaufforderung und E-Mail am Vorabend

Der 1960 geborene Kläger steht seit 2021 im Leistungsbezug. Am 26. April 2023 erhielt er eine schriftliche Meldeaufforderung „zur Besprechung der beruflichen Situation“ für den 17. Mai 2023 um 10 Uhr. Grundlage war § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 Abs. 1 SGB III. Das Schreiben enthielt den Hinweis, dass unentschuldigtes Fernbleiben nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB II den Bürgergeld Regelbedarf einen Monat lang um 10 % mindern kann.

Am Abend vor dem Termin sandte der Leistungsempfänger eine einfache E-Mail mit dem Betreff „Dienstaufsichtsbeschwerde gegen A1“. Im Text erklärte er ausdrücklich: „Hiermit lege ich Widerspruch gegen die Meldeaufforderung vom 26.04.2023 ein“ – zugleich beantragte er, seine Akte künftig von einer „neutralen Person“ bearbeiten zu lassen. Zur Begründung warf er „Herrn A1“ Befangenheit vor: Der Sachbearbeiter habe ein Jahr zuvor falsche Angaben zur Eingliederungsvereinbarung gemacht und ihn telefonisch unter Druck gesetzt. Außerdem bestritt der Kläger die Wirksamkeit der Meldeaufforderung, weil das Schreiben keine handschriftliche Unterschrift enthielt.

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Jobcenter erkennt Widerspruch nicht an

Das Jobcenter reagierte im Widerspruchsbescheid gleich doppelt auf die E-Mail des Leistungsempfängers:

Unzulässigkeit des Widerspruchs – Eine Meldeaufforderung sei kein anfechtbarer Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X, demnach komme ein Widerspruch nach § 84 SGG gar nicht erst in Betracht.

Formmangel – selbst wenn man den Text als Widerspruch deuten wollte, entspreche die einfache E-Mail wegen fehlender Form nicht den gesetzlichen Anforderungen. Es fehlten eigenhändige Unterschrift oder qualifizierte elektronische Signatur (§ 36a SGB I). Deshalb sei der Widerspruch „nicht formgerecht“.

Die im Vorfeld angekündigte Sanktion wurde allerdings nicht mehr ausgesprochen. Der Termin sei ohnehin schon verstrichen.

Gerichtliche Überprüfung

Trotzdem wollte der Bürgergeld-Empfänger die Meldeaufforderung gerichtlich überprüfen lassen. Er hielt sie für rechtswidrig, sprach von „Willkür“ und „Amtsanmaßung“ bei ihrem Erlass und befürchtete, die Einladung könne sich jederzeit wiederholen und dann eine Leistungsminderung auslösen. Außerdem bestand er darauf, dass ihm ein anderer Sachbearbeiter zugewiesen werden müsse.

Als er am 18.Juli 2023 Klage beim Sozialgericht Ulm einreichte, erweiterte er sein Begehren um einen weiteren Punkt: Neben der Aufhebung der Meldeaufforderung und der Zuweisung eines anderen Sachbearbeiters verlangte er jetzt auch 1.500 € Schmerzensgeld. Zur Begründung verwies er auf „psychische Belastungen“ durch angeblichen Druck, falsche Tatsachendarstellungen und wiederholte Telefonate, die er als Nachstellung empfand.

Sozialgericht weist Klage als unbegründet ab

Das Sozialgericht Ulm (S 8 AS 1519/23) wies die Klage mit Beschluss vom 05.01.2024 als unbegründet ab. In der Berufung bestätigte das Landessozialgerichts diese Entscheidung.

Die Meldeaufforderung hatte sich mit Ablauf des Termins am 17. Mai 2023 erledigt – ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung lag nicht mehr vor. Für die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit fehlte ein berechtigtes Interesse, weil die Einladung form- und zweckgerecht gewesen war.

Die Schmerzensgeldforderung verwies der Senat auf den Zivilrechtsweg, denn Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB und Artikel 34 GG sind vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen. Sozial- und Verwaltungsgerichte seien hier nicht zuständig, weshalb man sich an das Amtsgericht (oder Landgericht bei Streitwert ab 5.000 €) wenden müsse.

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Befangenheit und Organisationsermessen

In Bezug auf eine mögliche Befangenheit verwiesen die Sozialrichter zunächst auf § 14 SGB II, der das Jobcenter lediglich verpflichtet, überhaupt einen persönlichen Ansprechpartner zu benennen. Welche Person diese Aufgabe übernimmt, entscheidet der Leistungsträger nach seinem inneren Organisationsplan – gestützt auf das Organisationsermessen aus § 4 Abs. 2 § 17 SGB X sei:

ein verwaltungsinternes Verfahren geschaffen worden, mit dem Gründe, die die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen können, einer Überprüfung unterzogen werden und ggf. zur verwaltungsseitigen Anordnung an die betroffene mitarbeitende Person führen, sich der weiteren Mitwirkung zu enthalten.

Ein einklagbares Recht auf Ablehnung oder Auswahl besteht nicht.

Befangenheitsverdacht muss daher zuerst nach einer Anzeige bei der Jobcenter Leitung intern geprüft werden – führt die Prüfung zu Zweifeln, kann der Mitarbeiter vom konkreten Fall abgezogen werden. Die vorgetragenen Vorfälle waren mangels objektiver Belege nicht ausreichend. Das LSG fasste zusammen: „Es existiert kein subjektives öffentliches Recht eines Leistungsberechtigten, den Sachbearbeiter seiner Leistungsangelegenheit mitzubestimmen.“ – Kurzum: Bürgergeld Empfänger haben keinerlei Einfluss darauf, welcher Sachbearbeiter für ihre Bedarfsgemeinschaft zuständig ist.

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Handlungsmöglichkeiten bei Befangenheitsverdacht

Leistungsberechtigte, die eine Voreingenommenheit vermuten, sollten belastbare Tatsachen dokumentieren – Gesprächsnotizen, Schreiben oder Zeugen. Anschließend empfehlen wir ganz klar die Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Geschäftsführung des Jobcenters – bzw. bei einem kommunalen Jobcenter bei der Dezernats- oder Amtsleitung der Kommune.

Wird der Antrag abgelehnt oder bleibt ohne Antwort, kann eine Fachaufsichtsbeschwerde eingelegt werden – bei gemeinsamen Jobcentern an die zuständige Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, bei kommunalen Jobcentern an das Landesministerium, das die Kommunalaufsicht führt (häufig Sozial- oder Innenministerium).

Ein gerichtlicher Anspruch auf sofortigen Bearbeiterwechsel kommt nur in Betracht, wenn das Jobcenter sein Organisationsermessen offensichtlich missbraucht – ein Szenario, das äußerst selten ist und nur bei Vorlage stichhaltiger Belege für die behauptete Befangenheit Aussicht auf Erfolg hat.

Eine Meldeaufforderung sollte dennoch wahrgenommen werden. Wird der Termin ohne wichtigen Grund versäumt, kann das Jobcenter einen Sanktionsbescheid erlassen – der Regelbedarf wird bei der ersten Pflichtverletzung für einen Monat um 10 % gemindert (bis zu 30 % für drei Monate beim dritten Meldeversäumnis innerhalb eines Jahres). Betroffene müssen sonst gegen diese Kürzung im Widerspruchsverfahren vorgehen, sonst bleibt sie bestehen und führt zu spürbaren Zahlungslücken.

LSG Baden-Württemberg – Az.: L 3 AS 455/24 vom 17. April 2024