Eine neue Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bringt zutage: Viele Bürgergeld-Empfänger wissen kaum, um wie viel das Jobcenter ihre Leistungen tatsächlich kürzen kann. Obwohl Sanktionen – Leistungsminderungen nach SGB II – allgegenwärtig drohen, besteht eine große Lücke zwischen subjektiver Furcht und konkretem Wissen über Kürzungsbeträge.
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Unterschätzung bei Terminversäumnissen
Im Rahmen der Studie wurden Anfang 2025 über 1.200 Menschen im Bürgergeldbezug befragt, wie sie Jobcenter-Sanktionen bewerten und einschätzen. Unter anderem war Gegenstand der Befragung die Frage: Bei einem verpassten Termin – wieviel würde das Jobcenter kürzen?
Rechnungshof kritisiert: Bürgergeld-Sanktionen greifen oft nicht
Wer Anspruch auf den vollen Regelbedarf von 563 Euro hat, riskiert bei einem verpassten Termin eine Kürzung von 10 % beziehungsweise 56 Euro. Von den Befragten gaben rund 24 % einen Bereich an, der der korrekten Höhe entspricht. Demgegenüber unterschätzten etwa 65 % die Kürzungshöhe, 11 % überschätzten sie sogar.
Diese Unkenntnis zeigt: Die Abschätzungen der Betroffenen liegen oft deutlich unter den gesetzlichen Möglichkeiten.
Mehrfache Pflichtverletzungen – kaum bekannt
Die Sanktionen bei mehrfacher Pflichtverletzung – also bei mehrfacher Weigerung, zumutbare Arbeit aufzunehmen – sind noch weniger im Bewusstsein.
- Die erste Pflichtverletzung zieht bei vollem Anspruch eine Kürzung von etwa 10 % (ca. 56 Euro) nach sich.
- Bei der zweiten Pflichtverletzung kann eine Kürzung von insgesamt 20 % (über zwei Monate) erfolgen.
- Die dritte Pflichtverletzung ermöglicht eine Kürzung von insgesamt 30 %, verteilt auf drei Monate.
- Seit März 2024 sieht das Gesetz für einen explizit verweigerten Arbeitsvertrag in bestimmten Fällen sogar eine 100 %-Kürzung vor – also ein vollständiger Entzug des Regelbedarfs für zwei Monate, bei Beibehaltung der Wohnkosten.
Nur 8 % der Befragten nannten die 100 %-Kürzung als möglichen Fall korrekt. Weitere 34 % erklärten, sie würden eine Kürzung zwischen 10 % und 30 % für möglich halten. Damit liegt die Mehrheit klar daneben. Die neue 100 %-Kürzung ist vielen unbekannt – obwohl sie gesetzlich verankert ist, kommt sie in der Praxis selten zur Anwendung.
Angst vor Kürzungen – weit verbreitet
Trotz großer Unkenntnis über Details der Sanktionen berichten 66 % der Befragten, dass sie tendenziell Angst vor Leistungsminderungen haben. Viele geben an, sie nehmen Termine eher wahr, um Kürzungen zu vermeiden (36 %).
Bemerkenswert: Die Einführung der 100 %-Kürzung (Totalsanktion) hat die Angst vor Sanktionen laut Befragungsergebnissen nicht spürbar gesteigert.
Gründe für Bürgergeld – oft gesundheitlich geprägt
Bei der Frage, warum Menschen Bürgergeld beziehen, nennen die meisten gesundheitliche Gründe. 48 % der Männer und 39 % der Frauen führen gesundheitliche Einschränkungen an. Psychische Probleme spielen mit insgesamt 21 % eine ähnlich große Rolle wie körperliche Erkrankungen (20 %).
Weitere häufig genannte Gründe: fehlende passende Stellen (30 %), mangelnde Qualifikationen oder Sprachkenntnisse (21 %), sowie Erziehungs-, Pflege- oder Haushaltsaufgaben.
Diese Problemlagen zeigen: Viele Betroffene sind strukturellen Bedingungen ausgesetzt, die durch Sanktionen allein kaum zu überwinden sind.
Wirkung der Sanktionen – begrenzte Effekte
Sanktionen üben zweifellos Druck aus: Der drohende Wegfall von Leistungen kann Menschen motivieren, eine Arbeit anzunehmen. Dennoch zeigen empirische Studien, dass höhere Sanktionierungsdrohungen nicht klar wirksamer sind als geringere Sanktionen. In extremen Fällen können Kürzungen sogar kontraproduktiv sein und den Übergang in Beschäftigung behindern.
Mit Sanktionen lässt sich beim Bürgergeld kaum sparen
Schlussbetrachtung
Die Ergebnisse der IAB-Studie legen nahe: Viele Bürgergeld-Bezieher wissen wenig über die konkreten Sanktionstatbestände und unterschätzen häufig deren Ausmaß. Zugleich ist die Angst vor Kürzungen real und verbreitet.
Für eine sachgerechte Beratung und Vermittlung im Jobcenter wäre es sinnvoll, die gesetzlichen Regelungen zur Leistungsminderung in verständlicher Sprache zugänglich zu machen. Nur so könnte ein realistisches Verständnis entstehen – und eine Grundlage für Vertrauen zwischen Betroffenen und Behörden.