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LSG kippt Bürgergeld-KdU bei Mietvertrag unter Verwandten

Wer im Haus der Familie wohnt und dem Jobcenter dafür einen Mietvertrag vorlegt, muss im Zweifel belegen können, dass daraus auch tatsächlich eine verbindliche Zahlungspflicht folgt. Sonst bleiben die Kosten der Unterkunft außen vor. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat am 2. Oktober 2025 die Berufung eines Bürgergeld-Empfängers zurückgewiesen (Beschluss, L 2 AS 969/25) und keine Kosten der Unterkunft und Heizung anerkannt.

Streit um Unterkunftskosten: WG-Zimmer im Haus des Bruders

Der Kläger (Jahrgang 1999) machte für den Bewilligungszeitraum 01.11.2023 bis 31.10.2024 Unterkunftskosten geltend. Er wohnte unter derselben Adresse wie seine Mutter und Brüder, das Haus stand im Eigentum eines Bruders.

Als Grundlage legte der Kläger einen auf den 29.10.2023 datierten Mietvertrag „für ein Zimmer (in einer Wohngemeinschaft)“ vor, Beginn 01.11.2023. Vereinbart waren eine Kaltmiete von 500,00 €, eine Warmmiete von 600,00 € sowie zusätzlich 100,00 € Nebenkostenvorauszahlung. Außerdem war eine Mietkaution von 1.000,00 € vereinbart. Für Gas- und Heizkosten sollte in der Wohngemeinschaft jährlich in der Jahresendabrechnung ein pauschaler Betrag verrechnet werden.

Bürgergeld: Jobcenter zahlt keine Miete bei Schein-Mietvertrag unter Verwandten

Jobcenter bewilligt nur Regelbedarf

Das Jobcenter bewilligte mit Bescheid vom 28.02.2024 in der Fassung des Änderungs- und Teilabhilfebescheids vom 26.03.2024 Bürgergeld für den Zeitraum 01.11.2023 bis 31.10.2024 nur in Höhe des Regelbedarfs, erkannte aber keinen Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung an.

Gegen den Bewilligungsbescheid ohne Unterkunftskosten legte der Kläger Widerspruch ein. Das Jobcenter wies ihn mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2024 zurück. Zur Begründung verwies der Leistungsträger auf Zweifel an einem bestehenden Mietverhältnis und dessen Vollzug, weil der Kläger seit Antragstellung unterschiedliche Angaben zu seiner Wohnsituation gemacht habe. Zudem sei zu berücksichtigen, dass es sich um einen Vertrag unter Familienangehörigen handele. Ausschlaggebend war auch der Hinweis auf das Schreiben des Klägers vom 09.01.2024, in dem er erklärt hatte, er wohne mietfrei und begehre lediglich Regelbedarf und Krankenversicherungsschutz.

Klage gegen den Widerspruchsbescheid bleibt erfolglos

Der Bürgergeld-Empfänger erhob Klage gegen den Widerspruchsbescheid des Jobcenters. Das Sozialgericht Freiburg wies die Klage mit Urteil vom 18.02.2025 ab und verwies zur Begründung auf die Gründe des Widerspruchsbescheids. Ergänzend führte das SG aus, der Anspruch scheitere daran, dass der Kläger im Leistungszeitraum in Bezug auf Unterkunft und Heizung nicht hilfebedürftig gewesen sei. Die Nichtnachweisbarkeit gehe zu seinen Lasten.

Als weiteres Indiz gegen ein übliches, rechtlich verbindliches Mietverhältnis nannte das SG die intransparenten und für Außenstehende schwer nachvollziehbaren Wohnverhältnisse. So sei dem Kläger nach seinen Angaben ein weiterer Mitbewohner, mit dem er Küche und Bad geteilt habe, unbekannt gewesen. Zudem sei es selbst dem Bruder zunächst nicht nachvollziehbar gewesen, dass der Kläger in der fraglichen Wohnung gewohnt habe, obwohl dieser den Kläger im Alltag unterstützt habe.

Berufung ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen

Gegen das Urteil des Sozialgerichts legte der Kläger Berufung ein. Das LSG wies die Berufung jedoch ohne mündliche Verhandlung als unbegründet zurück.

Der Senat stellte klar: Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, soweit angemessen. „Tatsächliche Aufwendungen“ liegen nicht nur vor, wenn bereits gezahlt wurde. Es reicht aus, dass der Leistungsberechtigte im jeweiligen Zeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist.

Das LSG schloss sich der Begründung des Sozialgerichts nach eigener Prüfung an und ergänzte, dass gerade bei Verträgen unter Familienangehörigen belastbare Anhaltspunkte für Ernsthaftigkeit und Vollzug vorliegen müssen. Daran fehlte es nach Überzeugung des Senats.

Warum der Mietvertrag nicht reichte

Nach Überzeugung des Senats gelang dem Kläger der Nachweis nicht, dass er aufgrund eines rechtswirksam geschlossenen Mietvertrags einer ernsthaften Mietforderung seines Bruders ausgesetzt war.

Das LSG würdigte dabei ausdrücklich mehrere Punkte im Zusammenhang. Es betonte, dass aus einer Nichtzahlung allein noch keine sicheren Schlüsse folgen. Maßgeblich seien die fehlenden Konsequenzen und der Verfahrensverlauf.

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Keine Konsequenzen bei Zahlungsrückständen

Obwohl der Bruder als Vermieter nach dem Berufungsvorbringen auf Mieteinnahmen angewiesen gewesen sein soll, sei das Mietverhältnis trotz ausbleibender Zahlungen jedenfalls bis zum 23.07.2025 nicht gekündigt worden. Eine außerordentliche Kündigung wäre bei entsprechendem Rückstand grundsätzlich möglich gewesen. Für den Senat sprach das dafür, dass im streitigen Zeitraum vor allem die familiären Verhältnisse die Wohnraumüberlassung prägten.

Widersprüchliche Eigenerklärungen

In dem handschriftlich unterschriebenen Schreiben vom 09.01.2024 erklärte der Kläger, für das unbeheizte Zimmer derzeit keine Miete zu zahlen, die Familie lasse ihn kostenlos dort „hausen“, und er wolle für Unterkunftskosten keinen Anspruch geltend machen, sondern den Regelsatz. Das LSG ließ offen, ob darin sogar ein Verzicht zu sehen sein könnte, verwies aber auf die Bedeutung der Erklärung für die Bewertung der Ernsthaftigkeit.

Unklarheiten der Wohnverhältnisse

Das Gericht stellte heraus, dass die Wohnsituation für Außenstehende schwer nachvollziehbar gewesen sei, etwa wegen wechselnder oder unbekannter Mitbewohner. Zudem räumte der Bruder ein, er habe im Mai 2025 wohl gesagt, er habe nicht gewusst, dass der Kläger dort wohne. Er habe damals gedacht, der Kläger halte sich dort nur auf.

Mietvertrag in der Familie: Vollzug zählt mehr als der Vertragstext

Das LSG betont, dass bei Mietverträgen unter Verwandten nicht schematisch ein steuerrechtlicher „Fremdvergleich“ übernommen wird. Trotzdem ist der tatsächliche Vollzug zentral, also ob erkennbar die Absicht besteht, die vereinbarte Miete zu zahlen und das Vertragsverhältnis entsprechend zu leben.

Im konkreten Verfahrensverlauf sah der Senat zudem Anzeichen dafür, dass der Vertrag auch im Zusammenhang mit dem Leistungsbezug zustande kam. Der Mietvertrag trägt das Datum 29.10.2023, also denselben Tag wie der erneute Leistungsantrag. Außerdem steht im Vertrag, er gelte zugleich als Mietbescheinigung. Das LSG hält deshalb die Vermutung für naheliegend, dass der Vertrag auch deshalb geschlossen wurde, weil man davon ausging, das Jobcenter werde zahlen.

Bedeutung für Bürgergeld-Empfänger: Nachweise müssen das Mietverhältnis „tragen“

Die Entscheidung zeigt, dass Jobcenter und Gerichte bei Mietverträgen innerhalb der Familie genau prüfen, ob Unterkunftskosten tatsächlich anfallen und ob eine wirksame, nicht dauerhaft gestundete Mietforderung besteht. Wer Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II geltend macht, trägt dafür die Darlegungs- und Beweislast.

Verfahrenshergang:

  • LSG Baden-Württemberg vom 02.10.2025 – Az.: L 2 AS 969/25
  • SG Freiburg vom 18.02.2025 – Az.: S 4 AS 1108/24