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Jusos wollen Bürgergeld-Verschärfung stoppen

Rote Flagge der Jusos bei einem Protest-Marsch

Die Jusos fahren einen offenen Aufstand gegen die SPD-Spitze, um die geplante Verschärfung des Bürgergelds und die Umstellung auf eine neue Grundsicherung im Bundestag zu stoppen. Der Konflikt trifft mitten ins Herz der Sozialpolitik – und entscheidet darüber, wie hart Jobcenter ab 2026 gegen Leistungsempfänger vorgehen dürfen.

Im Mittelpunkt stehen härtere Sanktionen, der faktische Wegfall der Vermögens-Karenzzeit sowie strengere Regeln bei den Wohnkosten. Die Jusos sprechen von einer „sozialpolitischen Bankrotterklärung“ und stellen sich demonstrativ gegen ihre eigene Parteiführung und Arbeitsministerin Bärbel Bas.

Scharfe Attacken auf Bas und den „Drecksentwurf“

Auf dem jüngsten Juso-Bundeskongress entlädt sich der Frust der Parteijugend offen. In mehreren Reden wird der Gesetzentwurf zur Bürgergeld-Reform als „Drecksentwurf“ und „Bullshit“ bezeichnet. Besonders hart geht die Vorsitzende des größten Juso-Landesverbands in Nordrhein-Westfalen, Nina Gaedike, mit der SPD-Chefin ins Gericht. Sie wirft Bas vor, eine Reform zu vertreten, bei der es ihr „komplett egal“ sei, was eine „Scheiß-Union“ noch Schlimmeres gefordert habe – der Entwurf selbst sei aus ihrer Sicht nicht tragbar.

Der Juso-Bundesvorsitzende Philipp Türmer legt nach. Er bezeichnet die geplante Bürgergeld-Neuregelung als Angriff auf den Sozialstaat und warnt davor, Arbeitslose faktisch zu kriminalisieren. Die schwarz-rote Koalition sei ein „Gefängnis für unsere eigenen Ideen“, die Koalitionsdisziplin eine „bleierne Decke“, unter der sozialdemokratische Politik ersticke.

Die Botschaft der Jusos ist klar: Diese Reform soll nicht nur kosmetisch geändert, sondern im jetzigen Zuschnitt komplett gestoppt werden.

Worum es bei der Bürgergeld-Reform 2026 wirklich geht

Hinter dem politischen Theater steckt eine tiefgreifende Systemänderung: Aus dem bisherigen Bürgergeld soll ab 2026 eine neue Grundsicherung für Arbeitssuchende werden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, die Regeln im SGB II deutlich zu verschärfen – vor allem bei Vermögen, Mitwirkungspflichten und Sanktionen.

Kernpunkte:

  • Die Vermögens-Karenzzeit im ersten Bezugsjahr entfällt. Bisher konnten Bürgergeld-Empfänger im ersten Jahr größere Ersparnisse behalten, ohne dass das Jobcenter sie anfasste. Künftig soll Vermögen von Anfang an geprüft werden, geschützt bleibt nur ein gestaffelter Freibetrag je nach Alter.
  • Bei den Wohnkosten bleibt die Karenzzeit formal bestehen, wird aber durch neue Grenzen ausgehöhlt. Stark überhöhte Mieten sollen selbst im ersten Jahr nur noch bis zu einer Obergrenze übernommen werden, liegt die Miete deutlich über der als angemessen definierten Grenze.
  • Parallel werden Mitwirkungspflichten und Sanktionen verschärft. Wer wiederholt Termine schwänzt, zumutbare Angebote ablehnt oder Vereinbarungen nicht einhält, soll schneller und konsequenter mit Kürzungen belegt werden können. Die Maximalabsenkung von 30 Prozent des Regelbedarfs bleibt zwar bestehen, die Verfahren zur Durchsetzung dieser Kürzungen werden aber deutlich vereinfacht.

Damit verschiebt sich der Charakter der Leistung: Weg von einem zeitweiligen Schutzschirm in Krisen – hin zu einem deutlich stärker kontrollierten System mit scharfem Fokus auf Pflichtverletzungen.

Härtere Sanktionen – Jusos sprechen von „Kriminalisierung“

Genau an diesem Punkt setzen die Jusos an. Aus ihrer Sicht bestraft die Reform Menschen in ohnehin prekären Lebenslagen. Sanktionen, die mitten ins Existenzminimum schneiden, seien mit einem menschenwürdigen Sozialstaat nicht vereinbar. Wer krank sei, psychische Probleme habe oder in einer chaotischen Lebensphase stecke, werde durch Androhung von Kürzungen nicht schneller stabil, sondern eher noch weiter an den Rand gedrängt.

Der Juso-Chef betont, das Bild vom „Totalverweigerer“ passe nicht zur Realität im Jobcenter. Die meisten Bürgergeld-Empfänger versuchten, aus ihrer Lage herauszukommen, bräuchten aber Unterstützung statt Misstrauen. Auch das Mitgliederbegehren aus der SPD-Basis fordert ausdrücklich: Keine Verschärfung der Sanktionen, Erhalt von Karenzzeit und Schonvermögen sowie eine Weiterentwicklung hin zu einer armutsfesten Grundsicherung.

Die Angst der Kritiker: Wer Regeln reißt, riskiert künftig schneller Mietrückstände, Energieschulden und im Extremfall Wohnungslosigkeit.

Mitgliederbegehren: Die Basis erhöht den Druck

Der Aufstand kommt nicht nur von der Jugendorganisation. Parallel haben Teile der SPD-Basis ein formales Mitgliederbegehren auf den Weg gebracht. Innerhalb kurzer Zeit sind nach Angaben der Initiatoren über 4.000 Unterschriften zusammengekommen – genug, um das Begehren offiziell beim Parteivorstand einzureichen und das mehrstufige Verfahren zu starten.

Das Verfahren ist kompliziert, politisch aber brisant: Erreicht das Begehren in den nächsten Monaten die nötigen Quoten, müsste sich die Partei in einem Mitgliederentscheid klar zur Linie in der Bürgergeld-Frage positionieren. Für die SPD-Führung ist das ein Albtraum – mitten in einer Koalition, die genau diese Verschärfungen im Vertrag stehen hat. Die Jusos nehmen diesen Konflikt bewusst in Kauf. Sie fordern die SPD-Abgeordneten ganz offen auf, im Zweifel gegen das eigene Regierungsprojekt zu stimmen, statt eine Reform mitzutragen, die nach ihrer Lesart Armut bestraft.

Bas verteidigt sich: „Ich stehe im Orkan“

Bärbel Bas, zugleich SPD-Chefin und Arbeitsministerin, stellt sich der Wut frontal. In ihrer Rede vor den Jusos betont sie, dass sie selbst keinen „Strafstaat“ wolle. Sie habe in den Verhandlungen mit der Union verhindert, dass Leistungen noch stärker gekürzt und Betroffene quasi sofort in Arbeit gedrängt würden – unabhängig davon, ob sie gesundheitlich überhaupt dazu in der Lage seien.

Mehrfach beschreibt Bas den Druck, unter dem sie steht: Sie sei „voll im Feuer“, halte den Sozialstaat gegen massive Angriffe aufrecht und stehe derzeit „nicht nur im Wind, sondern im Orkan“. Den Satz „Wer mitmacht, hat nichts zu befürchten“, den sie zuvor zur neuen Grundsicherung gesagt hatte, nimmt sie inzwischen selbstkritisch zurück – er habe Menschen Angst gemacht.

Gleichzeitig verweist Bas darauf, dass die SPD an die schwarz-rote Koalition gebunden sei. Eine andere demokratische Regierungsoption habe es nach der Wahl nicht gegeben, und über 80 Prozent der SPD-Mitglieder hätten dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Damit versucht sie, den Jusos klarzumachen: Wer die Reform komplett kippen will, riskiert den Bruch der eigenen Regierung.

Koalitionsdeal: Bürgergeld gegen Rentenpaket

Besonders heikel wird die Lage, weil das Bürgergeld-Thema mit der Rentenpolitik verknüpft ist. Die Union macht ihre Zustimmung zum Rentenpaket der Regierung davon abhängig, dass die SPD im Gegenzug die Verschärfung bei der Grundsicherung durchzieht. Faktisch ist das Bürgergeld damit Verhandlungsmasse in einem großen Koalitionsdeal: Rente gegen Härte beim Bürgergeld.

Die Jusos honorieren zwar, dass die SPD bei der Rente „hart geblieben“ sei. Gleichzeitig werfen sie der Jungen Union vor, Sozialpolitik aus der Perspektive von Erben, Eigentumswohnungen und „Trustfund-Babys“ zu betreiben, die das Risiko von Altersarmut gar nicht kennen. Damit laden sie die Auseinandersetzung bewusst emotional auf – und machen klar, dass sie weder bei Rente noch Bürgergeld eine Politik zulasten ärmerer Haushalte akzeptieren wollen.

Was die Auseinandersetzung für Bürgergeld-Empfänger bedeutet

Für Bürgergeld-Empfänger ist der Machtkampf in der SPD alles andere als eine abstrakte Parteidebatte. Geht die Reform unverändert durch, müssen künftig schon ab dem ersten Tag des Leistungsbezugs Vermögen und Finanzen detailliert offengelegt werden, die Karenzzeit als Schutzschirm für Ersparnisse fällt weg. Gleichzeitig steigt der Druck durch schnellere Sanktionen und engere Regeln bei den Wohnkosten – gerade für Menschen mit gesundheitlichen Problemen, Alleinerziehende oder Langzeitarbeitslose kann das den Alltag spürbar verschärfen.

Nach jetzigem Stand zielt die Bundesregierung darauf, die neue Grundsicherung Mitte 2026 in Kraft zu setzen. Intern ist inzwischen von einem Start zum 1. Juli die Rede, weil die Umsetzung technisch und rechtlich mehr Zeit braucht als ursprünglich geplant. Doch bevor es so weit ist, muss der Bundestag das Bürgergeld-Änderungsgesetz noch beschließen – und genau in dieser letzten Phase versucht die SPD-Jugend, die Reform zu stoppen oder zumindest deutlich zu entschärfen.

Ob das gelingt, entscheidet sich in den nächsten Wochen – und damit auch die Frage, wie streng der Sozialstaat in Zukunft mit Bürgergeld-Empfängern umspringt.