Eine grundlegende Reform des deutschen Sozialstaats könnte 4,5 Milliarden € im Staatshaushalt einsparen und das Arbeitsvolumen um rechnerisch rund 149.000 Vollzeitstellen steigern. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des ifo-Instituts im Auftrag der IHK. Der Vorschlag sieht die Zusammenlegung von Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag zu einer einzigen Leistung vor – verbunden mit klaren, neuen Hinzuverdienstregeln, die Anreize für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung schaffen.
Inhaltsverzeichnis
Bisheriges System zu kompliziert
Das heutige Transfersystem gilt als unübersichtlich und schwer durchschaubar. Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag greifen ineinander, werden aber nicht abgestimmt gewährt. Für Betroffene bedeutet das mehrere Anlaufstellen, komplizierte Vorrangprüfungen und oft kaum nachvollziehbare Anrechnungsregeln.
Besonders problematisch: Zusätzliche Arbeit lohnt sich für viele Haushalte kaum. Schon kleine Einkommenssteigerungen führen häufig zu einem fast vollständigen Verlust an Sozialleistungen. In einzelnen Fällen können Mehreinnahmen sogar zu einem geringeren Nettoeinkommen führen
Kritik an Bürgergeld & Co. – Mehr arbeiten lohnt nicht
Eine Leistung statt drei
Die ifo-Forscher schlagen ein „Transfersystem aus einem Guss“ vor. Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag würden abgeschafft und durch eine gemeinsame Leistung ersetzt. Die Regeln zur Anrechnung von Einkommen würden klar und einheitlich ausgestaltet.
Dadurch entfielen parallele Entzugsprozesse, die bislang dazu führen, dass Wohngeld und Kinderzuschlag zeitgleich mit dem Bürgergeld gekürzt werden. Für Leistungsberechtigte würde das System einfacher und transparenter.
Neue Regeln beim Hinzuverdienst
Kernstück der Reform sind neue Hinzuverdienstregeln, die sich an der Bedarfsgemeinschaft orientieren:
- Alleinstehende & Paare ohne Kinder: Einkommen bis 380 € wird vollständig angerechnet (Netto-Verlust). Darüber dürfen Alleinstehende 35 % des Zuverdienstes behalten, Paare 20 %.
- Paare mit Kindern: Sie behalten 35 % des Zuverdienstes ab dem ersten Euro.
- Alleinerziehende: Sie behalten zunächst 30 % des Einkommens bis 380 €. Zusätzlich greift ein kindbezogener Freibetrag von 300 € pro Kind (d. h. 100 % behalten), bevor wieder die Anrechnung einsetzt.
Ziel ist es, Kleinstjobs neben dem Bürgergeld unattraktiver zu machen und stattdessen Anreize für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu setzen.
Warum sich Mehrarbeit heute nicht auszahlt
Die zentrale Schwäche des aktuellen Bürgergelds liegt in den hohen Anrechnungsquoten, die sofort nach dem Grundfreibetrag von 100 € greifen. Zwar wird dieser Betrag nicht auf die Leistung angerechnet, doch wer mehr verdient, sieht nur noch einen Bruchteil davon auf seinem Konto:
- 100 € bis 520 € Brutto: Nur 20 % des Zuverdienstes dürfen behalten werden.
- 520 € bis 1.000 € Brutto: Nur 30 % des Zuverdienstes dürfen behalten werden.
Diese extrem hohen Anrechnungssätze (Grenzbelastungen) führen dazu, dass sich zusätzliche Arbeitsstunden netto kaum auszahlen, was den Anreiz, eine sozialversicherungspflichtige Stelle anzutreten, massiv senkt.
Deutliche Effekte auf Arbeit und Staatshaushalt
Die Simulation des ifo-Instituts zeigt deutliche Effekte:
- Das Arbeitsvolumen steigt rechnerisch um rund 149.000 Vollzeitstellen.
- Etwa 117.000 Menschen würden zusätzlich in Beschäftigung gehen.
- Der Staat könnte jährlich rund 4,5 Milliarden € einsparen.
- Die Zahl der Haushalte mit Anspruch auf Leistungen sinkt, ohne dass die Verteilungseffekte zu Ungleichheiten führen.
Nach Einschätzung der Forscher entsteht für die meisten Haushalte im Durchschnitt keine Schlechterstellung – zusätzliche Erwerbsarbeit zahlt sich stärker aus als bisher.
IHK fordert Umsetzung
Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der IHK München und Oberbayern, bezeichnet die vorgeschlagene Reform des Transfersystems als dringend notwendig: „Die Studie zeigt, dass eine ausbalancierte Korrektur des heutigen Bürgergeld-Systems machbar ist. Sie bringt bessere Anreize für Arbeit und entlastet zugleich die Steuerzahler.“
Auch die Bundesregierung selbst hat für 2026 Reformen angekündigt – unter anderem soll das Bürgergeld in Neue Grundsicherung umbenannt werden. Ob sie sich inhaltlich am ifo-Modell orientiert, bleibt abzuwarten. Klar ist: Das jetzige System mit komplizierten Regeln und schwachen Arbeitsanreizen steht zunehmend unter Druck.


