Ein unbefristeter Schwerbehindertenausweis wird nur in Ausnahmefällen erteilt – nach Ansicht des Thüringer Landessozialgerichts genügt selbst ein jahrzehntelang unveränderter Grad der Behinderung (GdB) von 100 nicht, wenn keine atypische Härte nachgewiesen wird. Diese Kernaussage formulierte das Thüringer Landessozialgericht und bestätigte damit die Praxis, dass Schwerbehindertenausweise grundsätzlich auf fünf Jahre zu befristen sind.
Antrag auf neuen Ausweis – Sachverhalt
Der 1977 geborene Kläger stellte 1991 beim damaligen Versorgungsamt den ersten Feststellungsantrag. Mit Bescheid aus Dezember 1998 erkannte die Behörde einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Merkzeichen RF an. stellte die Behörde zusätzlich die dauerhafte Gehörlosigkeit fest und erkannte zugleich die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht an.
Als die Verwaltung Anfang 2014 das Scheckkarten-Format einführte, beantragte der Kläger lediglich einen neuen Ausweis, weil sein bisheriges Dokument nach seiner Darstellung ohne Ablaufdatum erteilt worden war. Die Behörde stellte die neue Karte nur bis 31.12.2019 aus. Gegen diese Befristung legte der Kläger erfolglos Widerspruch ein und unterlag anschließend erstinstanzlich vor dem Sozialgericht Gotha – Az. S 36 SB 2075/19. Im März 2019 stellte er erneut den Antrag auf einen unbefristeten Ausweis und führte an, sein Gesundheitszustand könne sich nie mehr bessern, weshalb das regelmäßige Verlängerungsverfahren für ihn eine unzumutbare Belastung darstelle.
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Befristung ist Regelfall – Entfristung nur bei atypischer Härte
Auch die Berufung schaffte keine Abhilfe: Das Landessozialgericht betonte, dass nach § 152 Abs. 5 S. 3 SGB IX die Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises befristet werden soll. Die Behörde müsse den Ausweis also im Regelfall auf höchstens fünf Jahre befristen und dürfe nur bei atypischer Härte hiervon abweichen. In der Urteilsbegründung heißt es:
„Der Kläger muss darlegen, dass der Verlängerungsaufwand ihn deutlich stärker belastet als andere schwerbehinderte Menschen – eine dauerhafte Behinderung allein genügt nicht.“
Das Gericht hielt den Aufwand – Passbild, Formular, postalische Übersendung – für jedermann gleich gering – zusätzliche Barrieren ergäben sich durch die schriftliche Kommunikation nicht einmal aus der festgestellten Gehörlosigkeit. Damit liege kein atypischer Fall vor, der eine Entfristung rechtfertigen könnte.
Ausdrücklich verweisen die Erfurter Richter auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.06.2016 (B 5 RE 1/15 R). Dort legte das BSG fest, dass eine Soll-Vorschrift im Regelfall zwingend bindet und erst der Nachweis einer atypischen Härte die Verwaltung in eine Ermessensentscheidung führt. Dies ergibt sich auch aus § 6 Abs. 2 SchwbAwV, der eine Entfristung zwar zulässt, aber grundsätzlich keinen Anspruch vermittelt.
Wann läge ein atypischer Fall vor?
Ein atypischer Fall liegt nur vor, wenn der Verlängerungsaufwand deutlich höher ist als bei anderen Schwerbehinderten – beispielsweise, wenn Sie wegen vollständiger Immobilität kein aktuelles Passfoto anfertigen können, mangels Pflegeperson weder Formulare eigenhändig ausfüllen noch per Post versenden können oder wenn kognitive beziehungsweise schwere Kommunikationseinschränkungen eine eigenständige Antragstellung praktisch ausschließen.
Auch eine dauerhafte Heimunterbringung fern jeder Behörde kann als außergewöhnliche Belastung gelten, weil wiederkehrende Behördengänge faktisch unmöglich werden.
Dagegen reicht ein stabiler Gesundheitszustand, eine hohe Pflegegradeinstufung oder der bloße Besitz eines früher unbefristeten Ausweises nicht aus, solange Sie die üblichen Verlängerungsschritte – Passbild, Formular, Versand – mit vertretbarem Aufwand bewältigen können.
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Bedeutung für Betroffene
Für schwerbehinderte Menschen bedeutet das Urteil: Ein unbefristet festgestellter Grad der Behinderung (GdB) oder eine dauerhaft unveränderbare gesundheitliche Beeinträchtigung – etwa Gehörlosigkeit – schaffen allein keinen Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis ohne Ablaufdatum.
Wer eine Entfristung anstrebt, muss konkret darlegen, warum gerade der Verlängerungsprozess für ihn eine außergewöhnliche Härte darstellt, zum Beispiel wegen fehlender Mobilität, fehlender Assistenz oder unüberwindbarer Kommunikationshindernisse. Ohne diesen Nachweis bleibt es bei fünf Jahren Gültigkeit. Der festgestellte GdB und die Merkzeichen gelten jedoch weiter, auch wenn der Ausweis abläuft – Vergünstigungen können bis zum Erhalt der neuen Karte mit dem Feststellungsbescheid belegt werden. Empfehlenswert ist deshalb, die Verlängerung einige Monate vor Fristablauf zu beantragen, um lückenlos von Nachteilsausgleichen zu profitieren.


