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Würden 800 Euro Bürgergeld reichen?

Hand zählt einige Euro-Geldscheine

61 Euro mehr im Monat für einen Single: Die letzte Bürgergeld-Anpassung hat für Empörung gesorgt. Niemand wollte mehr arbeiten und stattdessen direkt zum Jobcenter laufen. Hat sich dann doch keiner getraut. Nimmt man nun 813 Euro plus die Übernahme der Stromkosten in tatsächlicher Höhe, die der Paritätische Wohlfahrtsverband als fair berechnetes Bürgergeld vorschlägt, werden die Buhrufe noch lauter. Trotzdem stellt sich die Frage: Reicht das?

Faire Berechnungsgrundlage

Dass beim Bürgergeld anders gerechnet werden müsste, um einen lebensnahen Regelsatz zu erhalten und echte Teilhabe zu ermöglichen, darauf machen Wohlfahrtsverbände schon seit Jahren aufmerksam. Der Paritätische Gesamtverband fordert allerdings nicht nur, er rechnet auch vor.

Wie fair ist der Bürgergeld-Regelsatz berechnet?

So rechnet der Paritätische

Die Unterschiede zur Methode der Bundesregierung mögen zwar nur marginal sein, machen sich in Euro und Cent aber deutlich bemerkbar. Einerseits setzt der Paritätische auf eine statistisch besser geeignete Referenzgruppe. Andererseits wird darauf verzichtet, Verbrauchsausgaben als nicht regelbedarfsrelevant aus der Kalkulation zu streichen.

Die gesetzlichen Vorgaben

Ansonsten hält man sich an die Vorgaben des Gesetzgebers. Der sieht eine Mischkalkulation aus Inflation und Lohnentwicklung vor. Diese Basisfortschreibung wurde mit dem Bürgergeld um eine erweiterte Fortschreibung ergänzt, mit der die aktuelle Teuerung besser berücksichtigt werden soll. Das hat mit Blick auf Lebensmittel- und Strompreise schon jetzt nur bedingt funktioniert.

Bürgergeld und die Forderung des Paritätischen

Die Unterschiede bei der Berechnung der Regierung und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gehen aus der Tabelle hervor (Quelle):

RegelbedarfBürgergeld 2025Paritätischer
Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke195,40 Euro203,60 Euro
Alkoholische Getränke, Tabak0,00 Euro27,90 Euro
Bekleidung, Schuhe46,70 Euro52,70 Euro
Wohnen, Energie, Instandhaltung47,70 Euro2,40 Euro
Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände34,30 Euro38,70 Euro
Gesundheitspflege21,50 Euro39,10 Euro
Verkehr50,50 Euro115,10 Euro
Nachrichtenübermittlung50,30 Euro53,30 Euro
Freizeit, Unterhaltung, Kultur54,90 Euro112,20 Euro
Bildungswesen2,00 Euro9,10 Euro
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen14,70 Euro66,50 Euro
Andre Waren und Dienste44,90 Euro56,00 Euro
Mitgliedsbeiträge0,00 Euro6,80 Euro
Geldspenden0,00 Euro2,20 Euro
Gerichtskosten0,00 Euro0,60 Euro
Versicherungen (private Haftpflicht, Kfz, Hausrat)0,00 Euro26,90 Euro
GESAMT562,90 Euro813,10 Euro
Gesamt ohne Strom (45,70 Euro)517,20 Euro813,10 Euro

Um nur einige Punkte herauszupicken, in denen sich die beiden Berechnungen unterscheiden:

  • Bildung: Statt lächerlicher 2,00 Euro hält der Paritätische 9,10 Euro für angemessen. Damit kommt man zwar auch nicht weit, hat aber mehr als vier Mal mehr Spielraum für Bücher und Co.
  • Gaststättendienstleistungen: 14,70 Euro, um mal außer Haus zu essen oder zu nächtigen. Da lässt sich an fünf Fingern abzählen, wie weit man kommt. Hier geht die Regierung davon aus, dass man die Ausgaben durch häusliches Essen ersetzen könne. Mit 66,50 Euro wäre zumindest etwas soziokulturelle Teilhabe möglich, statt nur in den eigenen vier Wänden zu hocken.
  • Mitgliedsbeiträge: Auch die Tatsache, dass Mitgliedsbeiträge berücksichtigt werden sollen, trägt dazu bei, Bürgergeld Bedürftigen mehr Möglichkeiten zur Teilhabe zu bieten. Denn für Erwachsene gibt es, anders als bei Kindern und Jugendlichen, keine Leistungen aus dem Bildungspaket (BuT)..
  • Versicherungen: Statt sie ganz auszublenden, obwohl sie teils verpflichtend oder von Verbraucherschützern als absolut notwendig empfohlen werden, sollen im Bürgergeld Regelsatz hierfür knapp 27,00 Euro vorgesehen sein. Derzeit werden Versicherungen nur als Freibetrag beim Einkommen berücksichtigt. (Ausnahme: Haftpflicht, wenn im Mietvertrag gefordert)
  • Freizeit: Auch hier ist die Tendenz hin zu mehr Teilhabe unverkennbar. Diese Facette des Alltags wird beim Bürgergeld bislang eher stiefmütterlich behandelt und in vielen Bereichen ganz übersehen.
  • Gesundheitspflege: Dass auch hier mehr Geld nötig ist – weil viele Bürgergeld Bedürftige hohe Zuzahlungen zu Medikamenten sowie Pflege- und Hilfsmitteln leisten müssen – beweisen die vielen Hinweise auf X zum Hashtag #IchBinArmutsbetroffen. Auch der Trend, kostenlose Hygieneartikel für Frauen zu verteilen oder in öffentlichen Gebäuden vorzuhalten, unterstreicht die Tatsache, dass der Regelsatz hierfür zu knapp bemessen ist.

Thema Stromkosten

Deutlich geschrumpft sind in der Übersicht des Paritätischen die Energiekosten. Grund: Strom soll nicht im Regelsatz enthalten sein, sondern mit den Wohnkosten in tatsächlicher Höhe übernommen werden. Dieser Wunsch steht schon seit Jahren im Raum und hat durch die stetig steigenden Energiekosten an Brisanz gewonnen.

Auswertung offenbart Minus: Bürgergeld reicht nicht für Strom

Würde man den Strom aus dem aktuellen Regelsatz herausrechnen, blieben von 563 Euro für einen Single noch knapp 517 Euro zum Leben und zur Teilhabe. Das ist sehr knapp und angesichts der hohen Preise nicht wirklich realistisch. Die Differenz zu den 813 Euro des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes: 296 Euro!

So viel fehlt beim Bürgergeld

Fair berechnet, müsste das Bürgergeld Stand heute also rund 813 Euro betragen bzw. 785 Euro, wenn man Alkohol und Tabak außen vor lässt. Ausgezahlt werden jedoch nur 563 Euro, ohne Strom 517 Euro. Daraus ergibt sich ein gewaltiger Unterschied: 268 Euro beziehungsweise 222 Euro.

Dabei hat der Paritätische im Rahmen der Berechnungen weder Luxus noch Sinnloses hinzugefügt. Es geht schlicht um Fairness und Teilhabe – von beidem ist man aktuell noch sehr weit entfernt. Dass es sich daran etwas ändert, ist eher ungewiss.