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Veraltetes Gutachten: BSG kippt Bürgergeld-Ablehnung

Junge Frau liegt beim Psychologen auf der Couch, symbolisch für Gutachten

Das Jobcenter darf einen Weiterbewilligungsantrag für Bürgergeld nicht aufgrund eines veralteten Gutachtens ablehnen, wenn damit die Erwerbsunfähigkeit der antragstellenden Person nicht zweifelsfrei belegt wird. Zu diesem Schluss kam das Bundessozialgericht (B 14 AS 13/19 R).

Bürgergeld setzt Erwerbsfähigkeit voraus

Erwerbsfähigkeit ist Voraussetzung für den Bezug von Bürgergeld-Leistungen. Wer aus gesundheitlichen Gründen als erwerbsunfähig eingestuft wird, hat stattdessen Anspruch auf Sozialhilfe nach dem SGB XII. Laut dem BSG muss das hierfür herangezogene Gutachten aber aktuell und verlässlich sein, nur dann ist eine sachgerechte Entscheidung möglich.

Jobcenter muss Bürgergeld trotz Zweifel an Erwerbsfähigkeit zahlen

Gutachten nicht weitergeleitet

Eine Heilbronnerin bezog seit 2005 Leistungen vom Jobcenter, das heutige Bürgergeld. Im Jahr 2014 lehnte sie es ab, ein ärztliches Gutachten aus dem Jahr 2010 an die Deutsche Rentenversicherung, zur Überprüfung ihrer Erwerbsfähigkeit, weiterzuleiten. Das Jobcenter verweigerte daraufhin die Weiterbewilligung der Leistungen und stellte die Zahlung ein. Der Grund: Es unterstellte der Frau eine Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht, indem sie die Übermittlung des Gutachtens verweigerte.

Gutachten nicht zutreffend

Aus Sicht der Klägerin war der Fall jedoch ganz anders gelagert. Das Gutachten war 2010 ohne ihr Wissen durch einen früheren Betreuer veranlasst worden. Laut Gutachten verfüge die Frau aufgrund psychischer Probleme über kein Leistungsvermögen – dies sei jedoch falsch und nicht aktuell. Der zuständige Gutachter habe sein Urteil lediglich anhand der Aktenlage und nicht etwa über eine persönliche Untersuchung gefällt. Darüber hinaus verletze die Weitergabe der Unterlagen an die Rentenversicherung das Recht der Frau auf informationelle Selbstbestimmung.

Überholtes Gutachten unzureichend

Das Bundessozialgericht entschied in letzter Instanz zugunsten der Klägerin, jedoch aus anderen Gründen als von ihr vorgetragen. Das Gericht stellte fest, dass die Verweigerung der Übermittlung eines veralteten Gutachtens keine Verletzung der Mitwirkungspflicht darstellt, wenn das Gutachten nicht mehr ausreichend verlässlich ist. Im vorliegenden Fall war das Gutachten vier Jahre alt und somit zu veraltet, um als Grundlage für die Entscheidung über die Erwerbsfähigkeit der Klägerin herangezogen zu werden.

Gericht rügt Jobcenter: Bürgergeld auch ohne unnötige Nachweise

Zweifelsfreie Feststellung der Erwerbsfähigkeit erforderlich

Das Gericht betonte, dass das Jobcenter die Erwerbsfähigkeit nicht einfach unterstellen und Bürgergeld Leistungen verweigern kann, ohne eine zweifelsfreie Grundlage. Das Jobcenter muss bei begründeten Zweifeln an der Erwerbsfähigkeit aktuelle und verlässliche Beweismittel heranziehen. Veraltete Gutachten erfüllen diese Anforderung nicht, insbesondere wenn gesundheitliche Probleme wie psychische Erkrankungen vorliegen, die sich im Laufe der Zeit verändern können.

Sachverhaltsaufklärung nicht erschwert

Das Gericht stellte klar, dass eine Verletzung der Mitwirkungspflicht nur dann vorliegt, wenn die Verweigerung der Zusammenarbeit die Sachverhaltsaufklärung erheblich erschwert. Da das Gutachten veraltet und für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht mehr aussagekräftig war, konnte die Weigerung, es weiterzuleiten, die Sachverhaltsaufklärung nicht erschweren.

Leistungsverweigerung ungerechtgertigt

Das BSG hob die Entscheidung des Jobcenters auf, da es die Weiterbewilligung der Leistungen zu Unrecht verweigert hatte. Die Klägerin war nicht verpflichtet, das überholte Gutachten weiterzugeben, da es keine ausreichende Grundlage mehr für die Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit darstellte. Das Jobcenter hätte aktuelle Beweismittel beschaffen müssen, um die Frage der Erwerbsfähigkeit zweifelsfrei zu klären.

Gutachten hätte auf persönlicher Untersuchung beruhen müssen

Das Gericht stellte abschließend fest, dass das Gutachten nicht allein auf der Aktenlage hätte beruhen dürfen. Angesichts der psychischen Probleme der Klägerin wäre eine persönliche Untersuchung notwendig gewesen, um ihr Leistungsvermögen korrekt einzuschätzen. Auch aus diesem Grund war die Versagung der Leistungen durch das Jobcenter ungerechtfertigt.