Hilferuf, Weckruf, Schlag ins Gesicht: Wie auch immer man den anonym verfassten Brief einer Mitarbeiterin des Jobcenters Dortmund bezeichnen möchte. Der Inhalt ist brisant und wirft kein gutes Licht auf die Situation innerhalb der Behörde. Zu viele offene Stellen, Druck von oben und die Erkenntnis, dass die Beratung immer schlechter wird. Die Hoffnung auf Besserung, die an die Einführung des Bürgergelds geknüpft war, ist längst verpufft.
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Mit dem Bürgergeld hat sich nur der Name geändert
Eine der wichtigsten Aussagen in dem Schreiben, auf das Harald Thomé vom Verein Tacheles aufmerksam macht:
„Jetzt, nach mehreren Monaten Bürgergeld, wird deutlich, dass sich lediglich der Name geändert hat und der erhoffte Wandel ausblieb.“
Dieser eine Satz wird – mit Bezug zum Jobcenter Dortmund – auf fünf Seiten begründet. Es ist eine schonungslose Schilderung dessen, mit dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu kämpfen haben.
Akuter Personalmangel
Stellen würden nicht besetzt oder – noch schlimmer – gar nicht erst geplant. Daher müssten weit mehr Bürger betreut werden als vom Gesetzgeber vorgesehen. Der Betreuungsschlüssel von 1 zu 75 im Bereich u25 (unter 25 Jahre) und 1 zu 150 im Bereich ü25 (über 25) liege in Dortmund bis zu viermal höher. Darunter leide die Betreuung. Schaffe man es nicht, die gewünschte Kontaktdichte zu erreichen, werde auf Gruppeninformationen zurückgegriffen. Erfolg oder Inhalt seien dann zweitrangig. Hauptsache, die Zahlen stimmen.
Hauptsache, die Zahlen stimmen
Das gelte vor allem bei der Besetzung von Maßnahmen. Schafften Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht die nötige Zahl an Zuweisungen, werde mehr Druck ausgeübt. Das münde in erzwungenen Angeboten für Bürgergeld Bedürftige, schade der vertrauensvollen Zusammenarbeit und werde der Grundidee des Bürgergelds nicht gerecht. Vielmehr leide von Anfang an das Verhältnis zwischen leistungsbeziehender Person und Berater. Das führe zu Resignation.
Man setzt auf kurzfristige Erfolge
Ganz konkret zum Bürgergeld und den neuen Vorgaben schreibt die Mitarbeiterin: Der Vorrang, den die Weiterbildung haben soll, werde in der Realität nicht gelebt. Die Arbeitsweise des Jobcenters habe sich nicht geändert. Man spreche weiter von Kunden, was höhnisch wirke. Da man nur auf die Zahlen und den kurzfristigen Erfolg achte, gelte in Dortmund:
„Die Qualität der Beratung oder der aufgenommenen Arbeit spielt dabei weiterhin keine Rolle.“
Keine Zusammenarbeit der Abteilungen
Erschwert werde die Arbeit außerdem, weil die Zusammenarbeit der einzelnen Abteilungen nicht funktioniere. Kollegen seien fast nie erreichbar. Der Grund: die enorme Überbelastung. Darauf sei im Umgestaltungsprozess jedoch nicht eingegangen worden. Grundlegende Probleme blieben bestehen und der positive Wandel hin zu einer modernen Behörde werde nur vorgetäuscht. Im Rahmen der Kommunikation mit Bürgergeldempfängern dürften nicht einmal E-Mails verschickt werden.
Probleme werden nicht ernst genommen
Was die Mitarbeiterin besonders ärgert: Die Beratung und Betreuung Bedürftiger werde immer schlechter. Um das zu ändern, müsste der akute Personalmangel behoben und eine Teilhabe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermöglicht werden. Mehr noch: Die Probleme und Sorgen sollen endlich ernst genommen werden.
Versprechen und Realität beim Bürgergeld klaffen auseinander
Strukturelle Mängel
Nun kann man die Situation in Dortmund nicht eins zu eins auf alle Jobcenter übertragen. Aber: Dass es zu wenig Personal gibt, ist ein offenes Geheimnis. Dadurch bleibt naturgemäß immer weniger Zeit für den Einzelnen und ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nahezu unmöglich. Das gilt umso mehr, wenn die Zahlen stimmen sollen und dafür bei der Qualität der Beratung Abstriche in Kauf genommen werden.
Minister macht auf Schönwetter
Das sind strukturelle Probleme, die von der Bundesagentur für Arbeit (BA) verschwiegen werden. Stattdessen wird von der Servicestelle SGB II, einer Initiative des Bundesministeriums für Arbeite und Soziales, Schönwetter gemacht. Die Jobcenter, die Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Rahmen seiner Bürgergeld-Tour besuchte, waren jedenfalls alle rundum glücklich – oder einfach nur auf Lächeln getrimmt.
Quelle: https://t1p.de/k332p
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