Die Sanktionen im Bürgergeld verfehlen in vielen Problemfällen ihre Wirkung. Zu diesem Ergebnis kommt der Bundesrechnungshof in seinem neuen Bericht zum Haushaltsausschuss, über den die Süddeutsche Zeitung erstmalig berichtete. Untersucht wurden 265 als „nicht kooperativ“ markierte Fälle aus Jobcentern. Ergebnis: Kürzungen bis zu 30 Prozent ändern an der fehlenden Mitwirkung häufig nichts.
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Was der Rechnungshof konkret bemängelt
Die Prüfer zeichnen ein wiederkehrendes Muster: Menschen erscheinen über Monate oder Jahre zu keinem Termin – die Leistung läuft weiter. In einzelnen Akten findet sich laut Bericht der Satz: „Sanktionen bis 30 Prozent bringen keinen Erfolg – sind dem Kunden egal.“ In Einzelfällen gab es über zwölf, teils sogar 15 Jahre kein Beratungsgespräch mit der Arbeitsvermittlung. Das Problem: Wer sich völlig entzieht, ist mit den heutigen Mitteln kaum erreichbar – Sanktionen laufen ins Leere.
Gleichzeitig betont der Rechnungshof, dass solche Totalverweigerungen eine Minderheit betreffen. Sie prägen jedoch die Debatte und erschweren die Arbeit der Jobcenter, weil viel Zeit in erfolglose Kontaktversuche fließt.
Mit Sanktionen lässt sich beim Bürgergeld kaum sparen
Rechtlicher Rahmen: Obergrenze bei 30 Prozent
Hintergrund der milden Eingriffstiefe ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019. Danach sind Sanktionen zwar zulässig, Kürzungen von mehr als 30 Prozent des Regelbedarfs aber verfassungswidrig. Der Gesetzgeber muss Härtefälle berücksichtigen und eine Rückkehr aus der Sanktion ermöglichen. Dieses Urteil beeinflusst bis heute die Praxis – und setzt klare Grenzen für Verschärfungen.
Forderung nach „einfachen, schnell wirksamen Regeln“
Im Kern empfiehlt der Rechnungshof laut SZ „neue, schnell und einfach umzusetzende Regelungen“ für Fälle, in denen sich Leistungsberechtigte der Vermittlung entziehen oder sie ausdrücklich verweigern. Gemeint sind Instrumente, die bei dauerhafter Unerreichbarkeit schneller greifen als wiederholte 10- oder 20-Prozent-Kürzungen. Welche Hebel das konkret sein könnten, lässt der Bericht offen – er adressiert jedoch ein Vollzugsproblem: Ohne verlässlichen Kontakt bleiben selbst schärfere Regeln stumpf.
Politische Lage: Reformgespräche laufen
Die Bewertung des Rechnungshofs fällt mitten in Gespräche über eine Neuordnung der Grundsicherung. Schließlich habe die CDU bereits angekündigt, das Bürgergeld durch eine „Neue Grundsicherung“ zu ersetzen. Dabei soll sich nicht nur der Name ändern, sondern allgemein die Mitwirkungspflichten straffer gezogen werden. Aus dem politischen Raum sind Vorschläge zu hören, in Extremfällen Leistungen vorübergehend zu stoppen. Dem stehen verfassungsrechtliche Grenzen gegenüber, ebenso der Hinweis, dass Totalverweigerer zahlenmäßig klein sind – Sparversprechen allein über härtere Sanktionen sind daher fraglich.
Tschüss Bürgergeld – Rückkehr zur Härte bei der Grundsicherung
Was das für Betroffene bedeutet
Für die große Mehrheit der Bürgergeld-Empfänger ändert sich zunächst wenig. Wer Termine wahrnimmt, Bewerbungen schreibt und an Maßnahmen teilnimmt, ist von der Kritik nicht gemeint. Der Bericht zielt auf eine kleine, aber sehr schwierige Gruppe. Für sie fordert der Rechnungshof Handhabe, die schnell wirkt und den Kontakt zum Jobcenter erzwingt – ohne die grundgesetzliche Grenze zu unterschreiten. Für alle anderen bleibt der Fokus auf Unterstützung, Qualifizierung und Vermittlung.
Einordnung aus Praxisperspektive
Die Jobcenter arbeiten mit Briefpost, Einladungen, Aufforderungen zur Mitwirkung und Sperrfristen. Kommt keine Reaktion, lassen sich Kürzungen aussprechen – mehr als 30 Prozent sind seit 2019 tabu. In den Akten zeigt sich jedoch, dass einige Betroffene gerade so viel Kontakt halten, um Sanktionen zu vermeiden, ohne in Beratung einzusteigen. Andere melden sich gar nicht. Hier braucht es aus Sicht der Prüfer Prozesse, die schneller Klarheit schaffen: Ist jemand erreichbar, erwerbsfähig, bereit zur Zusammenarbeit? Wenn ja, beginnt Förderung. Wenn nein, muss ein rechtssicheres Verfahren greifen, das nicht jahrelang Leerlauf produziert.
So greifen Sanktionen aktuell beim Bürgergeld
Auslöser
- Pflichtverletzung nach Einladung, Eingliederungsvereinbarung oder Maßnahme
- Meldeversäumnis, also Nichterscheinen zu einem Termin ohne wichtigen Grund
Höhe der Kürzung
- Erste Pflichtverletzung: 10 % des Regelbedarfs für 1 Monat
- Zweite Pflichtverletzung innerhalb von 12 Monaten: 20 % für 1 Monat
- Weitere Pflichtverletzung innerhalb von 12 Monaten: 30 % für 1 Monat
- Deckel insgesamt: 30 % des Regelbedarfs
Meldeversäumnisse
- 10 % je versäumten Termin für 1 Monat
- Mehrere Minderungen können zusammentreffen – die Gesamtminderung bleibt auf 30 % begrenzt
Was ungekürzt bleibt
- Kosten der Unterkunft und Heizung
- Kranken- und Pflegeversicherung
- Leistungen für Bildung und Teilhabe von Kindern
- Nothilfen oder Sachleistungen sind möglich, wenn das Existenzminimum gefährdet ist
Dauer und Beginn
- Minderung gilt für 1 Kalendermonat
- Start in der Regel ab dem Folgemonat nach Zustellung des Bescheids
Besonderheiten
- Unter 25-Jährige haben keine Sonderstrafen mehr – es gelten dieselben Stufen
- Härtefälle können berücksichtigt werden. Die Behörde kann Minderungen abmildern, wenn wichtige Gründe vorliegen oder Mitwirkung nachgeholt wird
Beispiel
Situation | Kürzung | Dauer |
---|---|---|
Erstes Nichterscheinen zu Maßnahme | 10 % | 1 Monat |
Zweites Versäumnis binnen 12 Monaten | 20 % | 1 Monat |
Zusätzlich ein Meldeversäumnis im selben Monat | +10 % | 1 Monat |
Gesamt im Monat | 30 % | 1 Monat |
Bürgergeld Sanktionen – Leistungskürzung durch Jobcenter